Der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr, der lange Jahre für die WHO tätig war und selbst in der Impfstoffentwicklung bei Novartis gearbeitet hat, ist für seine kritischen Ansichten zur Covid-Politik der Bundesregierung bereits wohlbekannt. Am gestrigen Sonntag fand er im Interview mit der „Welt“ erneut klare Worte zum krampfhaften Festhalten am Impf- und Maskenzwang in Deutschland. Stöhr gibt den politisch Verantwortlichen – insbesondere Karl Lauterbach – die Schuld an der Situation in Deutschland: Der Glaube, dass sich Infektionen langfristig verhindern ließen, ist für den Virologen schlichtweg falsch. Nur die Durchseuchung bringe das Ende der „Pandemie“.
Wörtlich hielt Stöhr fest: Jedes Pandemie-Ende ist identisch.
In der letzten Phase werden sich alle infizieren. Ob man das möchte oder nicht. Das ist die Realität. Ob man das mag oder nicht. Da müssen jetzt alle durch.
Die Impfung betrachtet Stöhr zwar positiv, da sie seiner Ansicht nach die Auswirkungen von Infektionen reduzieren könnten. Doch Infektionen – sprich: die Durchseuchung der Bevölkerung – sind fürs Ende der Pandemie notwendig – andernfalls würden die Impfungen in Dauerschleife stattfinden. Die Lockerung bzw. Aufhebung von Maßnahmen ist ergo richtig: Auch Masken würden „das Drama immer nur weiter nach hinten [verschieben]“, so Stöhr. Dass Menschen immer noch glauben, dass sich Infektionen verhindern ließen, betrachtet er als falsch: Das ginge schlichtweg nicht.
Ungeimpfte sind nicht verantwortlich
Ungeimpfte stellen auch Stöhr zufolge keine Gefahr für das Allgemeinwohl dar und belasten Kliniken und Intensivstationen nicht. In anderen Ländern, etwa Schweden, Dänemark oder Großbritannien, habe man Infektionen schon früher zugelassen und verzeichne nun dank höherer Anteile von natürlich Immunisierten auch sinkende Inzidenzen. Es seien nicht die Ungeimpften, die die Probleme in Deutschland verursachen: Dies werde falsch kolportiert. Den gesetzlichen Impfzwang betrachtet Stöhr dementsprechend kritisch (und auch der Moderator hält fest, dass Ungeimpfte sich selbst von einer Impfpflicht nicht überzeugen lassen werden). Die angebliche Impflücke, die in Deutschland stetig bemängelt wird, müsse mit Zahlen und Daten belegt werden, sollte es sie überhaupt geben. Der Impfstatus hierzulande unterscheide sich nicht sehr von dem in anderen Ländern.
Stöhr macht die Politik und insbesondere Gesundheitsminister Karl Lauterbach für die Lage in Deutschland verantwortlich. Risikobewertungen fanden nicht auf der Grundlage eines normalen Krisenmanagements statt. Man habe „auch eine Krisenkommunikation hingelegt, die unterirdisch ist. Nicht umsonst wurde das große Vakuum in der Krisenkommunikation genutzt von vielen – einschließlich des Gesundheitsministers, der dann auch auf eine gewisse Art und Weise für die aktuelle Situation verantwortlich ist.“ Dass die menschen Angst und Panik hätten, sei auf eine „ganze Menge Warnen auf evidenzfreier Grundlage“ zurückzuführen – bekanntlich eine der Königsdisziplinen von Karl Lauterbach.