Am 19. Mai 2024 stürzten der iranische Präsident Ebrahim Raisi, sein Außenminister Hossein Amir-Abdollahian und sieben ihrer Begleiter in der Nähe der Grenze zu Aserbaidschan mit einem Hubschrauber ab. Die einen beklatschten seinen Tod, die anderen trauerten. Wer aber war Ebrahim Raisi wirklich? Wie kam er zur Macht und welche Grausamkeiten legte er an den Tag?
Von Guido Grandt (gugramediaverlag)
Wie der Unfallort des Hubschrauberabsturzes des zweitmächtigsten Mannes der Islamischen Republik Iran, ist auch Ebrahim Raisis Karriere mit Leichen übersät. Vor allem mit denen von Zivilisten und politischen Gefangenen, wie es heißt. So besaß er schon zu Beginn seiner Karriere als „Hardliner-Staatsanwalt“, zwei Jahre nach der iranischen Revolution, initiiert von dem messianischen Geistlichen Ayatollah Ruhollah Khomeini, den Ruf eines Mannes mit einer grausamen Ader.
Raisis kometenhafter Aufstieg
Der am 14. Dezember 1960 in der Heiligtümerstadt Maschhad geborene Sohn einer klerikalen Familie, besuchte mit fünfzehn Jahren ein Priesterseminar in Ghom, dem Zentrum des schiitischen islamischen Establishments und danach die Ayatollah-Borujerdi-Schule. Dementsprechend begeisterte er sich wenige Jahre darauf auch für Khomeinis puritanische Vision der sogenannten „Herrschaft durch Rechtslehre“ (Velayat-e-Faqih). Aus diesem Grund ist es kaum verwunderlich, dass Raisi zeit seines Lebens ganz im Geiste der Revolution von 1979 vorging. Denn diese war eines der epochalsten Ereignisse des späten 20. Jahrhunderts, das das Land nachdrücklich veränderte, den liberalen Fortschritt umkehrte und einen ultrakonservativen, autoritären islamischen Staat schuf.
Zunächst jedoch knüpfte Raisi bereits mit zwanzig Jahren enge Beziehungen zum Zentrum der Macht – zu Ayatollah Khomeini und 1989 nach dessen Tod zu seinem Nachfolger Ali Khamenei. Schnell stieg er die Stufen der theokratischen Leiter nach oben. 1981 wurde Raisi zum Staatsanwalt von Karaj, einer Großstadt in der Nähe von Teheran, ernannt und kurz darauf zum Staatsanwalt der Provinz Hamadan. 1985 wurde er stellvertretender Staatsanwalt von Teheran. Danach hatte Raisi hohe Richterämter inne und übernahm 2012 bis 2021 zudem die Rolle des Sonderstaatsanwalts am geistlichen Gericht sowie die des Leiters der Justiz.
Mitglied des geheimen „Todeskomitees“
Bereits 1988 ernannte der oberste Führer des Iran, Ayatollah Khomeini, Raisi zu einem Mitglied des geheimen, „Todeskomitees“, das einst auf dessen Befehl eingerichtet worden war. Andere Personen, die diesem angehörten, besaßen ebenfalls Verbindungen zum Justiz- und Geheimdienstministerium.
Das „Todeskomitee“ war für die Hinrichtungen von mindestens fünftausend politischen Gefangenen verantwortlich, überwiegend von Mitgliedern der oppositionellen Volksmudschahedin (MEK). Aber auch Linke wurden zuvor gefoltert und danach exekutiert, mitunter im Teenageralter. Oftmals zur Abschreckung aufgeknüpft an Baukränen. Den Familien wurde anschließend nicht einmal mitgeteilt, wo ihre Angehörigen begraben wurden. Der Schriftsteller und Aktivist Iraj Mesdaghi, der sein Todesurteil überlebte und heute im Exil in Schweden lebt, berichtete später, dass Raisi in einigen Fällen die Hinrichtungen sogar persönlich überwacht hätte. Gerade deshalb bekam Raisi den Beinamen der „Schlächter von Teheran.“
„Manipulierte Wahlen“ zum iranischen Präsidenten?
2021 wurde der Hardliner und Oberste Richter Ebrahim Raisi zum Präsidenten des Iran gewählt. Kritiker sprachen von einer manipulierten Abstimmung, weil etwa moderate Konservative von der Wahl ausgeschlossen wurden. Aber auch wegen der historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 48,8 Prozent sowie der 3,7 Millionen nicht gezählten Stimmen.
Agnes Callamard von der Menschenrechts-NGO Amnesty International sagte: „Dass Ebrahim Raisi Präsident wurde, anstatt dass gegen ihn wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, erzwungenes Verschwindenlassen und Folter zu ermitteln, ist eine düstere Erinnerung daran, dass im Iran Straflosigkeit herrscht.“
Jonathan Greenblatt, Geschäftsführer der „Anti-Defamation League“ in den USA warf Raisi vor, er sei ein „in der Wolle gefärbter Antisemit und Israelhasser und habe ab 2016 als Chef einer Stiftung unter anderem die Verbreitung der antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion gefördert. Wortwörtlich: „Raisis zwanghafter Hass auf den jüdischen Staat Israel ist dokumentiert.“ Und auch das „American Jewish Committee (AJC)“ tat kund: „Die EU ist ohne Zweifel darüber im Bilde, dass Ebrahim Raisi der Mörder Tausender Iraner ist. Es ist ein Skandal, dass die EU durch die Teilnahme an der Amtseinführung diesem Henker auch noch diplomatische Ehren erweist. Ebenso ist es nicht nur ein Verrat an den europäischen Grundwerten, sondern auch an den unterdrückten Menschen im Iran, an deren Seite die EU stehen sollte.“
Aufgrund dieser und anderer Warnungen und Drohungen erklärte General Hussein Salami, Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden: „Die, die uns drohen, sollten sich der gefährlichen Konsequenzen ihrer Rhetorik bewusst sein und besser aufpassen, was sie sagen.“ Dies betreffe vor allem Israel. Der Iran sei „für jedes militärische Szenario“ gerüstet.
Nach Raisis Wahl verschlechterte sich das Leben im Iran weiter
Während der Wahl versprach Raisi, Korruption, Armut und Diskriminierung zu bekämpfen. Doch unter seiner Führung geriet die Wirtschaft ins Stocken. Zudem verschlechterte sich die Lebensqualität vieler Iraner weiter, was teilweise darauf zurückzuführen war, dass Militärausgaben gegenüber anderen Bereichen Vorrang erhielten. Trotz einiger Verurteilungen wegen Bestechung hielt auch die Korruption an.
Raisis hartes Vorgehen gegen „ungehorsame“ Frauen
Zudem schränkte Raisi die persönlichen Freiheiten, insbesondere von Frauen, stark ein. Denn nach seiner Wahl zum Präsidenten wurde ihr hartes Los noch schlimmer. Und das hatte Tradition!
Seit der iranischen Revolution von 1979 waren die Rechte der Frauen stark beschnitten worden. So riskieren sie seit 1983, inhaftiert zu werden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch präsentieren. Als Präsident verschärfte Raisi diese Beschränkungen sogar noch, indem er unter anderem das sogenannte „Hijab-Gesetz“, das Frauen zum Tragen einer Kopfbedeckung verpflichtete, noch strenger durchsetzen ließ. Dazu gehörte beispielsweise auch der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware in öffentlichen Verkehrsmitteln, um Frauen zu identifizieren, die sich nicht an diese Vorschriften halten. Damit nicht genug: Im Juli 2022 rief Raisi den ersten nationalen „Tag des Hijab und der Keuschheit“ ins Leben.
Im September 2022 wurde die 22-jährige Mahsa Amini durch die Behörden bei der Durchsetzung des „Hijab-Gesetzes“ getötet, die sich scheinbar nicht an die strenge Kleiderordnung für Frauen hielt. Augenzeugen gaben an, dass Mahsa starb, nachdem sie von der Sittenpolizei festgenommen und geschlagen worden war.
Blutige Niederschlagung von Protesten
Nach Mahsa Aminis gewaltsamen Tod folgten landesweite Proteste. Tausende Iraner gingen im Zuge der Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ auf die Straße. Einige Iranerinnen wagten es sogar, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopfbedeckung zu zeigen, ihren Hijab zu verbrennen und das in den sozialen Medien auch noch zu posten und zu teilen (Hashtag „NoToHijab“). Daraufhin wurden mehrere Frauen verhaftet.
Zudem begegneten Raisi und seine Hardliner den öffentlichen Protesten mit brutaler Gewalt. Sicherheitskräfte töteten mindestens 500 Demonstranten und nahmen mehr als 20.000 weitere fest. Manche wurden hingerichtet. Zudem gab es Berichte über weit verbreitete Vergewaltigungen und Folter durch die Behörden. Erst Mitte 2023 gelang es der Regierung, die Bewegung mit ihren brutalen Gewaltmethoden niederzuschlagen. Raisi und andere Hardliner führten daraufhin noch weitere Freiheits-Einschränkungen für Frauen ein.
Ebrahim Raisi sollte das Oberhaupt des Iran werden
Als Belohnung für Raisis erbarmungslose Orthodoxie im Sinne der iranischen Revolution wurde er sogar als Nachfolger des 85-jährigen Ali Chamenei gehandelt, Oberster Führer und politisches und religiöses Oberhaupt des mehrheitlich schiitischen Iran. Chamenei ist in diesem Sinne zudem auch eine Art „Revolutionsführer“ im Range eines „Ajatollah“, des höchsten religiösen Titels des zwölferschiitischen Islams sowie Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte.
Doch der tragische Hubschrauberabsturz am 19. Mai 2024 beendete Raisis Karriere schlagartig. Er hinterlässt seine 1983 geheiratete Frau Jamileh Alamolhoda, eine Schriftstellerin und Wissenschaftlerin und zwei Töchter.
Während Oppositionelle im Exil und einige Menschen im Iran sowie in den Sozialen Medien symbolisch auf Raisis Grab „tanzten und feierten“ und die politischen Beileidsbekundungen aus dem Westen – wenn überhaupt – nur äußerst knapp ausfielen, reagierten Russland und China bestürzt. Der russische Präsident Wladimir Putin nannte Raisi „einen wahren Freund Russlands“, dessen Tod ein „unwiederbringlicher Verlust“ sei. Die chinesische Führung drückte Ähnliches aus.
Indes übernahm Vizepräsident Mohammed Mochber geschäftsführend die Rolle des iranischen Staatspräsidenten. Somit ist er hinter dem Obersten Führer Ajatollah Ali Chamenei der zweitmächtigste Politiker des Landes. Zumindest bis zu den Neuwahlen, die innerhalb von fünfzig Tagen nach Raisis Tod abgehalten werden müssen.
Bis heute und wohl auch noch lange danach wird Ebrahim Raisi eine höchst umstrittene politische Figur im Iran bleiben, die nach wie vor das In- und Ausland polarisiert.
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