Die Ukraine steht vor einer gewaltigen Herausforderung – und Europa soll zum Retter in der Not avancieren. Nach anhaltenden Schäden an der heimischen Energieinfrastruktur und schwindenden Gasreserven plant Kiew, gigantische Mengen Gas aus der EU zu importieren. Dabei hat die EU selbst Probleme mit der Versorgung.
Dmitriy Sakharuk, Chef von D.Trading, dem Handelszweig des ukrainischen Energiekonzerns DTEK, spricht von bis zu fünf Milliarden Kubikmetern Gas für die Periode von April 2025 bis April 2026. Ein Rekord, der die Dringlichkeit unterstreicht – früher lag der Höchstwert bei gerade einmal einer Milliarde Kubikmetern. Die Lage spitzt sich zu, während der europäische Gasmarkt enger wird und die Preise steigen. Doch es gibt auch Lichtblicke: Eine potenzielle Feuerpause im Schwarzen Meer könnte Entspannung bringen.
Die ukrainische Energieinfrastruktur hat schwere Zeiten hinter sich. Gezielte Angriffe – Folgen des seit Jahren schwelenden Krieges mit Russland – haben Sammelpunkte zerstört, an denen Gas aufbereitet und verteilt wird. In jüngster Zeit trafen Schläge auch Produktionsanlagen, etwa des staatlichen Konzerns Naftogaz, dessen Förderung um rund ein Drittel eingebrochen ist. Die strategischen Puffer in unterirdischen Speichern sind fast leer, und ein Teil des Gases wird allein dafür benötigt, diese Reserven wieder aufzufüllen. Sakharuk betonte: „Diese Bestände sollten wieder aufgefüllt werden. Deshalb sind die benötigten Mengen auch entsprechend hoch.“
Die Unsicherheit bleibt groß. Niemand weiß exakt, wie viel Gas Kiew für den nächsten Winter braucht, denn die Schäden sind schwer abzuschätzen. Jetzt will die Ukraine mit Rekordimporten aus Europa die Versorgung sichern. Sakharuk bleibt vorsichtig optimistisch: „Selbst wenn die Angriffe jetzt ausbleiben, dauert es, bis die Produktion wieder läuft.“ Ein langer Weg, aber machbar – vor allem, wenn die jüngsten Entwicklungen halten.
Europa als Zahlmeister: Teurer Zukauf bei knappem Markt
Der Blick richtet sich nach Westen. Doch der Zeitpunkt für die Ukraine ist alles andere als günstig: Der europäische Gasmarkt zieht wieder an, die Preise klettern vor der Einlagerungssaison. Kiew muss tief in die Tasche greifen, um den Ausfall der eigenen Produktion zu kompensieren. Gleichzeitig gibt es Hoffnung. Die US-Regierung meldet eine Einigung zwischen Russland und der Ukraine auf eine Feuerpause im Schwarzen Meer sowie Mechanismen zum Schutz von Energieanlagen. Ein Schritt, der die Lage stabilisieren könnte – wenn er hält.
Die Abhängigkeit von Importen ist für die Ukraine ein Balanceakt. Ohne eigene Reserven bleibt nur der Zukauf aus der EU, um Haushalte und Industrie über den Winter zu bringen. Sakharuk mahnt dennoch zur Vorsicht: „Wir schließen neue Angriffe nicht aus. Das sollten wir auch nicht tun.“ Ein realistischer Blick, der zeigt: Die Ukraine bereitet sich auf alle Szenarien vor, setzt aber auf europäische Solidarität.
Eine baldige Feuerpause im Schwarzen Meer könnte ein Wendepunkt sein. Russland und die Ukraine arbeiten unter Druck aus Washington an Vereinbarungen, um Angriffe auf die Energieinfrastruktur zu unterbinden – ein Zeichen, dass beide Seiten an Deeskalation interessiert sind. Für Kiew bedeutet das eine Atempause, um die Versorgung zu sichern. Die Schäden an der Infrastruktur sind erheblich, doch mit (wenngleich teurem) europäischem Gas und etwas Zeit könnte die Ukraine ihre Position stärken. Die fünf Milliarden Kubikmeter sind eine Ansage – doch es stellt sich die Frage, wer das alles bezahlen soll. Auch angesichts des Umstandes, dass die Europäer jetzt schon unter den hohen Gas- und Energiepreisen leiden – und dafür zur Kasse gebeten werden.
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