Der renommierte Virologe Hendrik Streeck sieht sich einem Sturm der Entrüstung grüner Politiker ausgesetzt. Der Auslöser: ein Focus-Interview, in dem er die gesellschaftliche Ausgrenzung Ungeimpfter während der Corona-Pandemie kritisch beleuchtete.
Streeck, der sich seit Beginn der Pandemie eher durch besonnene Analysen als durch Panikmache hervorgetan hat, zog dabei historische Parallelen zu anderen Fällen von gesellschaftlicher Stigmatisierung während Gesundheitskrisen. Er verwies auf die mittelalterliche Verfolgung von Juden während der Pest-Epidemie und die Diskriminierung Homosexueller in der HIV-Krise – beides historisch belegte Beispiele für die fatale Suche nach Sündenböcken in Zeiten gesundheitlicher Bedrohungen.
Was als differenzierte Warnung vor gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen gedacht war, wurde jedoch schnell zum Gegenstand heftiger Attacken. Besonders Politiker der Grünen interpretierten Streecks Aussagen in einer Weise, die dem ursprünglichen Kontext nicht gerecht wird. Sie unterstellten dem Virologen eine Verharmlosung der Shoa, obwohl sich seine Ausführungen eindeutig auf die mittelalterliche Pestzeit bezogen.
Die Reaktionen der Grünen-Politiker erscheinen dabei wie ein Lehrbuchbeispiel für verzerrte Wahrnehmung: Marlene Schönberger sprach von einem „Tabubruch“, Konstantin von Notz konstruierte eine vermeintliche Nähe zu Verschwörungstheoretikern, und Janosch Dahmen warf Streeck „Geschichtsvergessenheit“ vor.
In einer ausführlichen Klarstellung auf X betonte Streeck den Kern seiner Aussage: Es ging ihm nicht um einen Vergleich des Leids verschiedener Gruppen, sondern um die Warnung vor einem wiederkehrenden gesellschaftlichen Mechanismus – der Tendenz, in Krisenzeiten Minderheiten zu Sündenböcken zu erklären.
Besonders bemerkenswert an dieser Kontroverse ist die Tatsache, dass ausgerechnet der Versuch, aus historischen Fehlern zu lernen und vor gesellschaftlicher Ausgrenzung zu warnen, nun zum Anlass für neue Ausgrenzung wird. Streecks Mahnung, dass der wahre Feind das Virus sei und nicht der Mensch, unterstreicht dabei den konstruktiven Charakter seiner Kritik.
Die Episode wirft ein bezeichnendes Licht auf den aktuellen Zustand der öffentlichen Debattenkultur: Statt einer sachlichen Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen zur gesellschaftlichen Spaltung während der Pandemie dominieren vorschnelle Urteile und politisch motivierte Fehlinterpretationen die Diskussion.