Der „Wagner-Putsch“ in Russland ging so schnell vorüber, wie er begonnen hat. Ob dabei tatsächlich Menschen zu Schaden kamen oder starben, wie zu Beginn behauptet wurde, ist völlig unklar. Schon gestern vermuteten einige Kommentatoren, dass es sich um eine verdeckte Truppenverlegung handeln könne, an der Wagner, Weißrussland und Tschetschenien beteiligt sind – und natürlich auch Einheiten der russischen Armee. Die Privatarmee Wagner in Weißrussland zu stationieren, könnte ebenso eine Kriegslist sein.
Ein Kommentar von Willi Huber
In den letzten zwei Tagen überschlugen sich die Ereignisse in Russland – bis im Landesinneren wieder absolute Ruhe zu herrschen scheint. Was ist da passiert? In der westlichen Welt gab es abseits von Alternativmedien nur Einheitstexte, Einheitsformulierungen – eine Einheitsmeinung. Außer Propaganda gegen Wladimir Putin zu machen und ihn als unfähig und führungsschwach darzustellen, war den Texten kaum etwas zu entnehmen, was Sinn ergibt. Die Spindoktoren des Westens schienen unvorbereitet und überfordert zu sein.
Außer verblendeten Kommentatoren staatlich gekaufter Systemmedien wird wohl niemand den Präsidenten Russlands für einen Idioten halten. Wer dies dennoch macht, sollte sich nur eine seiner Reden durchlesen – sei es zum Thema Wirtschaft oder zum Thema Krieg. Der Mann ist hochintelligent, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte – und ein ausgezeichneter Stratege und Machtpolitiker. Putin anzuhimmeln und zu bejubeln wäre dennoch falsch. Er scheint zumindest nach außen hin das zu tun, was ein guter Politiker zu tun hat – er sorgt sich um seine Nation und sein Staatsvolk. Wenn dies aber sein primäres Interesse ist, müssen Dissidenten des Westens nicht hoffen, dass Putin irgendeine Art Erlöser wäre. Das ist er nicht und kann er aufgrund der genannten Priorität nicht sein. Und wir erinnern an unseren Grundsatz, vom ersten Tag des Krieges an: Krieg ist immer falsch. Nach geschätzt 350.000 bis 400.000 getöteten Ukrainern umso mehr, das sind Zahlen, die man sich nicht einmal vorstellen möchte.
Der Putsch, bei dem angeblich Wagner versuchte mit 25.000 Mann Moskau einzunehmen, endete nach wenigen Stunden am Verhandlungstisch. Wagner-Chef Prigoschin geht ins befreundete Weißrussland „ins Exil“, kein Soldat seiner Streitkräfte wird juristisch verfolgt. Die Verhandlungen wären vom weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko selbst abgeschlossen worden. Falls es den russischen Angriff auf das Wagner-Camp mit hundert Toten gab, bleibt die Frage offen, ob dieser ein juristisches Nachspiel hat. Es wäre möglich, dass dies Teil des Deals ist – diesbezügliche Hinweise finden sich in Prigoschin-freundlichen Kanälen, allerdings ohne Beweise. Dort wurde verlautbart, dass sich Verteidigungsminister Schoigu bereits in Haft befinden könnte. Auch der Generalkommandeur Waleri Gerassimow war von Prigoschin des Hochverrats beschuldigt worden.
Welche Möglichkeiten sind denkbar?
- Es hat sich alles so zugetragen, wie uns berichtet wurde und Putin hat seine Truppen nicht unter Kontrolle.
- Russland wollte in schneller Zeit eine große Umstrukturierung seiner Truppen vornehmen. Hier wäre denkbar, dass die Truppen Russlands, Weißrusslands, Tschetscheniens und Wagner PMC von Norden her, beispielsweise auch aus weißrussischem Territorium, gemeinsam in die Ukraine vorstoßen, eine Lücke in die Verteidigung schlagen und direkt auf Kiew vorrücken. Diese Strategie ist möglich, allerdings hat niemand den Start einer solchen Offensive verkündet.
- Vielleicht wollte Putin seine in Bevölkerung und Militär angeblich wenig geliebte Militärführung austauschen und brauchte einen guten Grund dafür. Der Fake-Putsch und die Vorwürfe gegen Schoigu und Gerassimow geben ihm jetzt die Gelegenheit, diese Personen auszutauschen.
- Die Wagner-Truppen in Weißrussland zu haben, das selbst bislang nicht in den Krieg eingegriffen hat, könnte geostrategisch von großer Bedeutung sein. Allerdings ist noch unklar, ob Wagner komplett nach Weißrussland verlegt wird oder ob nur Prigoschin seinen Hauptsitz dorthin verlegen muss.
- Man wollte so tun, als ob es in der Verteidigung der russischen Front Schwächen und Lücken gäbe, um die Ukraine zu einem Angriff zu verlocken. Ein solcher Angriff soll in der Region Bachmut auch stattgefunden haben – über den Verlauf ist nichts bekannt, da vermutlich beide Seiten nicht unbedingt die ganze Wahrheit melden.
Übrigens erwähnte Putin Prigoschin in seiner gestrigen Rede zur Lage der Nation nicht namentlich, in der er von einem Dolchstoß gegen Russland und harten Konsequenzen sprach. Somit ließ er sich alle Optionen offen. All jenen, die kommentiert haben, dass es undenkbar wäre, dass Russe gegen Russe kämpft, denen sollte vor Augen gehalten werden, dass der Ukraine-Russland-Krieg genau so ein Bruderkrieg ist. Es ist im Großen und Ganzen dasselbe Volk mit derselben Sprache, das sich hier bekämpft – nur dass auf ukrainischer Seite ausländische Interessen seit über 100 Jahren an Spaltung interessiert sind. Man kann sich das hinsichtlich des Bruderkrieges in etwa so vorstellen, dass Deutschland einen Angriff auf Österreich verüben würde.
Putin hat übrigens auch neuerlich erwähnt, dass für ihn eine Friedenslösung in der Ukraine-Frage immer noch denkbar sei. Er wäre zu Verhandlungen mit der NATO bereit.
Dass es sich bei dem „Putsch“ um eine Inszenierung handelte, kann man auch daran ablesen, dass in Wahrheit niemand wirklich zu Schaden kam. Oder hält es wirklich jemand für möglich, dass ein Konvoi mit 25.000 Mann und Kriegsgerät ungehindert bis 200 km vor Moskau rollen kann – völlig offen auf öffentlichen Autobahnen? Kein Schuss abgefeuert, kein Luftangriff, kein Nichts? Das geht dann, wenn es nicht ernst gemeint ist.