Proteste in der Türkei: Erdogan unter Druck

Symbolbild (C) R24/KI

Präsident Recep Tayyip Erdogan ließ seinen größten politischen Rivalen, den Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, verhaften. Daraufhin brachen in mehreren Städten Proteste aus. Hunderte Demonstranten wurden festgenommen. Die Türkei steht vor Massenunruhen gegen den “Sultan vom Bosporus”, dessen Felle langsam davonschwimmen.

In der Türkei brodelt es. Die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu hat landesweit Proteste ausgelöst, die an die massiven Demonstrationen von 2013 erinnern, als die Bürger gegen die Zerstörung des Gezi-Parks aufbegehrten. In der Nacht zum Samstag meldete das Innenministerium, dass 343 Menschen in mehreren Städten, darunter Istanbul und Ankara, festgenommen wurden. Diese Maßnahmen wurden mit dem Argument gerechtfertigt, die öffentliche Ordnung aufrechterhalten zu müssen. Die Realität ist allerdings viel komplexer und wirft Fragen über die demokratischen Grundrechte in der Türkei auf.

Die Proteste, die am 19. März begannen, sind nicht nur eine Reaktion auf die Festnahme Imamoglus, sondern spiegeln eine tiefere Unzufriedenheit mit der politischen und wirtschaftlichen Lage im Land wider. Der Bürgermeister wurde in seinem eigenen Zuhause wegen Terrorismus- und Korruptionsvorwürfen festgenommen, was viele als politisch motivierte Aktion ansehen. „Es gibt eine große Wut. Die Menschen gehen spontan auf die Straße. Einige junge Leute werden zum ersten Mal politisiert“, erklärte Yuksel Taskin, ein Abgeordneter der als sozialdemokratisch geltenden Republikanischen Volkspartei (CHP), zu den aktuellen Entwicklungen.

Imamoglu, der als ernstzunehmender Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt, war für den 23. März als Kandidat seiner Partei CHP für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2028 vorgesehen. Seine Festnahme könnte als Versuch gewertet werden, die politische Opposition zu schwächen und die Kontrolle über die öffentliche Meinung zu festigen. „Ich sehe heute während meiner Vernehmung, dass ich und meine Kollegen mit unvorstellbaren Anschuldigungen und Verleumdungen konfrontiert sind“, äußerte sich Imamoglu während seiner Befragung durch die Polizei.

Die Vorwürfe gegen ihn sind gravierend: von der Leitung einer kriminellen Organisation über Korruption bis hin zur Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Diese Anschuldigungen sind nicht nur rechtlich, sondern auch politisch brisant. Sie zielen darauf ab, Imamoglu und seine Unterstützer zu diskreditieren und die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren. Die Tatsache, dass die Universität von Istanbul einen Tag vor seiner Festnahme sein Diplom für ungültig erklärt hat, verstärkt den Eindruck, dass hier ein politisches Manöver im Gange ist. In der Türkei dürfen nur Menschen mit Hochschulabschlüssen für politische Ämter kandidieren.

Die Reaktion der Regierung auf die Proteste ist ebenso besorgniserregend. Innenminister Ali Yerlikaya gab bekannt, dass Hunderte von Konten in sozialen Medien identifiziert und 37 Nutzer wegen „provokativer Beiträge, die zu Verbrechen und Hass aufrufen“, festgenommen wurden. Dies zeigt, dass die Regierung nicht nur gegen die Protestierenden vorgeht, sondern auch gegen die digitale Meinungsäußerung. Die Einschränkungen auf sozialen Plattformen sind ein weiteres Zeichen für die wachsende Repression in der Türkei.

Die Proteste sind nicht nur ein Ausdruck des Unmuts über die Festnahme Imamoglus, sondern auch ein Zeichen für die weit verbreitete Frustration über die wirtschaftliche und soziale Lage im Land. „Das Gefühl, in allen Bereichen – wirtschaftlich, sozial, politisch und sogar kulturell – gefangen zu sein, ist bereits weit verbreitet“, sagte der Journalist und Autor Kemal Can. Diese Empfindungen sind in der Bevölkerung tief verwurzelt und könnten zu einem Wendepunkt in der politischen Landschaft der Türkei führen.

Die in der laizistischen, kemalistischen Tradition von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk stehende CHP hat ihre Anhänger dazu aufgerufen, friedlich zu demonstrieren und betont, dass die Festnahmen politisch motiviert sind. Die Partei sieht sich in der Verantwortung, die Stimme der Bürger zu vertreten und gegen die repressiven Maßnahmen der Regierung zu kämpfen. Die aktuellen Ereignisse könnten als Weckruf für viele Bürger dienen, die sich bisher aus der Politik herausgehalten haben.

Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob diese Proteste zu einer breiteren Bewegung führen können, die die politischen Verhältnisse in der Türkei grundlegend verändert. Die großosmanisch orientierte Regierung Erdogans, bestehend aus der islamistischen AKP und der islamistisch-nationalistischen MHP, hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie bereit ist, mit harter Hand gegen jede Form von Opposition vorzugehen. Doch die Wut der Bürger könnte ein unberechenbarer Faktor sein, der die politischen Berechnungen der Regierung durcheinanderbringt.

Andererseits gilt es zu bedenken, dass sich Erdogan mit seiner großosmanischen und ambivalenten Politik im Westen (insbesondere bei NATO, USA und EU) nicht viele Freunde gemacht hat. Ein Wechsel hin zu einem “verlässlicheren” prowestlichen Präsidenten wie Imamoglu würde gerade dem transatlantischen Militärbündnis in die Hände spielen. Die Türkei könnte in diesem Fall Aufgaben im Nahen Osten und im Kaukasus von den Vereinigten Staaten übernehmen, die sich ohnehin stärker auf Ostasien – China und Nordkorea – fokussieren wollen.

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