In der Schweiz funktioniert die politische Zusammenarbeit zwischen den Parteien recht gut. Alle großen Parteien sind in der Regierung vertreten, und im Nationalrat herrscht ein freies Spiel der Kräfte. Wäre dies auch eine Option für Deutschland, oder mangelt es in der Bundesrepublik einfach an demokratischer Reife dafür?
Ein Kommentar von Heinz Steiner
Der Eklat in Thüringen rund um die Wahl des Landtagspräsidenten offenbart eine politische Kultur, die mehr auf das Gegeneinander als auf das Miteinander fokussiert ist. Man ändert die Geschäftsordnung, nur um der AfD nicht neben dem Alterspräsidenten auch den Landtagspräsidenten zu überlassen, obwohl ihr der Tradition nach dies zugestanden hätte. Gleichzeitig gibt es ein Problem mit der Regierungsbildung, da niemand mit der AfD koalieren möchte und die CDU neben der SPD auch das BSW (plus die Unterstützung der Linkspartei) bräuchte, um eine Regierungsmehrheit zu erhalten.
In Sachsen und Brandenburg, wo die AfD und das BSW ebenfalls stark abschnitten, sieht es ähnlich kompliziert aus. Und es ist zu erwarten, dass auch nach den nächsten Bundestagswahlen die Regierungsbildung schwieriger wird, da sowohl AfD als auch BSW recht stark werden dürften. Sind schon Zweierkoalitionen wegen der notwendigen Kompromisse schlecht für die parteipolitische Profilierung der Regierungsparteien – umso schlechter sind Dreier- oder Viererkoalitionen. Insbesondere dann, wenn sie nur als Zweckbündnis gegen eine andere starke Partei geschlossen werden.
Insofern stellt sich die Frage, ob Deutschland sich nicht ein wenig stärker am Schweizer Regierungsmodell orientieren sollte. Mithilfe eines festgelegten Schlüssels werden den größeren Parteien Ministerposten zugewiesen, während gleichzeitig im Parlament selbst ein freies Spiel der Kräfte gilt. Jede Partei kann Gesetzesvorschläge einbringen und darüber abstimmen lassen, ohne dabei an Koalitionskorsette gebunden zu sein. Gleichzeitig verliert keine Partei ihr Profil (so wie die FDP in der Ampel derzeit immer wieder Gesetze mittragen muss, die eigentlich gegen ihre Prinzipien sind).
Variable Mehrheiten möglich
Nimmt man den aktuellen Bundestag als Beispiel (in der Schweiz gilt keine Prozenthürde im klassischen Sinne, weshalb dort auch Kleinparteien im Nationalrat vertreten sind), können sich variable Mehrheiten bilden und die Interessen der jeweiligen Wähler umfassender vertreten werden. Gleichzeitig könnten beispielsweise AfD und BSW ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen, weil sie eben auch Ministerposten zugewiesen bekommen. Wenn man dann die Posten des Bundestagspräsidiums prinzipiell nach Stärke der Parteien festlegt und den jeweiligen Fraktionen die Wahl überlässt, fallen solche Eskapaden wie in Thüringen ebenfalls weg.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die deutsche Politik überhaupt die dafür notwendige demokratische Reife besitzt. Denn derzeit zeigt das allgemeine Verhalten der Vertreter der Altparteien keine entsprechenden Tendenzen auf. Unvereinbarkeitsbeschlüsse, „Brandmauern“, wüste Anschuldigungen und politisch motivierte Änderungen von Geschäftsordnungen zeugen nicht gerade von einem Verhalten, welches man in einer reifen und gefestigten Demokratie erwarten würde. Insbesondere von Vertretern jener Parteien, die sich selbst als „demokratisch“ bezeichnen – und dann den Wählerwillen ignorieren.