Permanente Angriffe auf Atomkraftwerk Saporischschja: Ukraine zündelt rücksichtslos

Das ukrainische AKW Saporischschja (Bild: Ralf1969 CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7343361)

Der öffentlich-rechtliche Sender ORF berichtete heute auf der “blauen Seite” ausführlich über den Zustand des in der Ukraine gelegenen, aktuell russisch kontrollierten Atomkraftwerks Saporischschja – dem größten Kernkraftwerk Europas. Man verschweigt den Lesern allerdings, wer für die extreme Gefährdung der Anlage durch permanente Angriffe verantwortlich ist: Kriegsherr Selenskyj und sein Militär. Doch das AKW war schon vor dem Krieg eine tickende Zeitbombe.

Die sechs Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Saporischschja (Südost-Ukraine, Enerhodar) wurden in der Sowjetzeit geplant und zwischen 1985 und 1996 in Betrieb genommen. Es handelt sich um VVER-1000/320-Druckwasserreaktoren der zweiten Generation. Die Gesamtleistung lag bei rund 5,7 GW elektrisch – damit ist die Anlage die größte Europas. Gebaut wurde sie durch sowjetische Kombinate, betrieben wurde sie bis 2022 von Energoatom. Seit März 2022 steht sie unter faktischer russischer Kontrolle. Als Kühlquelle diente das Kachowka-Stausee-System. Zu den inhärenten Risiken der Anlage zählen vor allem der Verlust externer Stromversorgung, Schäden an Kühlsystemen und Fehlbedienung durch Personalmangel oder Zwangslagen.

Schon vor dem Krieg gab es Hinweise auf akuten Verbesserungsbedarf: 2021 schloss die WANO (World Association of Nuclear Operators) eine Peer-Review am Standort ab und dokumentierte konkrete „Areas for Improvement“ in Führung, Betrieb, Instandhaltung und Ausrüstungszuverlässigkeit – klassische Alterungsthemen eines 1980er-Jahre-Designs. Europäische Behörden kritisierten im Zuge der Laufzeitverlängerungs-UVP zudem lückenhafte Darstellungen, etwa zur Sprödigkeit der Reaktordruckbehälter und zum Umsetzungsstand des EU-weiten „Topical Peer Review“ zu Alterungsmanagement; die ukrainische Aufsicht (SNRIU) legte hierfür einen nationalen Aktionsplan bis 2024 auf.

Somit galt das Kernkraftwerk Saporischschja als ein Sorgenkind der europäischen Nuklearsicherheitsbehörden. Im Rahmen des EU-finanzierten „Stress Tests“-Programms nach Fukushima (2011–2013) stellte die Europäische Kommission erhebliche Mängel in Wartung und Organisation fest. Auch Energoatom, der ukrainische Betreiber, räumte wiederholt Modernisierungsrückstände ein. Im Jahr 2017 kritisierte die Staatliche Atomaufsicht der Ukraine (SNRIU) öffentlich den „ungenügenden Zustand technischer Systeme“ sowie Verzögerungen bei der Umsetzung empfohlener Nachrüstungen.

Ukraine lagerte Atomabfälle im Freien

Besonders brisant: Inspektoren der IAEA und internationale Beobachter der WANO bemängelten, dass radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennelemente im Freien gelagert wurden – teilweise in provisorischen Betoncontainern ohne ausreichende physische Sicherung. Diese Zwischenlagerung galt als kurzfristige Notlösung, wurde aber über Jahre nicht verbessert. Der Bericht der Ukrainian Nuclear Society von 2018 sprach offen von einem „anhaltenden Sicherheitsrisiko durch mangelhafte Infrastruktur und fehlende Budgetmittel“.

Fotos und Dokumente aus den Jahren 2019–2021 zeigen korrodierte Rohrleitungen, Risse in Betonbecken und teils unzureichend geschützte Kabeltrassen. Auch die EU-Bank EBRD, die mehrere Modernisierungsprogramme finanzierte, wies in ihren Jahresberichten auf „unzureichende technische Umsetzung“ durch ukrainische Auftragnehmer hin. Kurz vor Kriegsbeginn warnte das Institute for Radiological Protection and Nuclear Safety (IRSN, Frankreich) in einer Studie über „rising safety concerns“ bei mehreren ukrainischen Standorten, darunter Saporischschja.

Die Verantwortung für diesen Zustand lag eindeutig bei der ukrainischen Betreiberfirma Energoatom und der nationalen Aufsicht SNRIU. Politisch wurde das Thema in Kiew zwar regelmäßig als Fortschrittsprojekt verkauft, in der Praxis fehlten jedoch Investitionen, Ersatzteile und Fachpersonal. Damit befand sich Europas größtes Atomkraftwerk bereits lange vor der russischen Invasion in einem kritischen Zustand, in dem jeder externe Schock – technischer oder militärischer Art – zum Risiko werden konnte.

Russland besetzte die Anlage am 4. März 2022

Seit dem 4. März 2022 ist die Anlage besetzt; die IAEA bestätigte die russische Kontrolle und entsandte ab September 2022 dauerhaft Personal. Der Krieg verschob die Risikolage massiv: Wiederholte Beschüsse und Drohnenangriffe beschädigten Gebäude und periphere Anlagen, ohne dass es zu einer Freisetzung kam – dennoch sprach die IAEA von mehrfacher Verletzung der „physischen Integrität“ und warnte wiederholt vor einem „Spiel mit dem Feuer“. Am 20. November 2022 wurde die Anlage nach Beschuss sichtbar beschädigt; am 7. April 2024 meldete die IAEA erstmals bestätigte Drohnentreffer u. a. am Kuppelbereich von Block 6. Verursacher war durchgehend das ukrainische Militär.

Eine Zäsur war die Zerstörung des Kachowka-Damms am 6. Juni 2023, die das Stausee-Niveau und damit die traditionelle Kühlwasserbasis entfallen ließ. NATO-nahe Medien beschuldigten Moskau, doch das ergibt logisch keinen Sinn. Moskau hingegen machte Kiew verantwortlich. Seither stützt sich die Anlage auf Brunnen, Kühlteiche und Notfallprozeduren im „Cold Shutdown“.

Immer wieder Unterbrechungen der Stromversorgung

Auch die externe Stromversorgung – in einem PWR sicherheitskritisch – wurde seit 2022 immer wieder unterbrochen. Die IAEA und OECD-NEA zählen zahlreiche vollständige Blackouts und Leitungsabbrüche; im Mai 2024 fiel die letzte 750-kV-Leitung kurzfristig aus, im Sommer 2025 kam es erneut zu einem Komplettverlust mit Dieselbetrieb. Jede dieser Lagen erhöht das Risiko, weil Kühlpumpen und Mess-/Steuersysteme auf Fremdstrom angewiesen sind. Laut russischer Darstellung handelt es sich um ukrainische Sabotageakte. Auch hier würde eine andere Interpretation keinen Sinn ergeben, da Russland wohl kaum den Reaktor gefährden würde, der unter der eigenen Kontrolle steht und wo russische Einheiten zum Schutz postiert sind.

Die aktuelle Entwicklung: Nach vier Wochen Blackout haben Russland und die Ukraine lokale Waffenruhezonen zugelassen. Es begannen bereits Reparaturen an den beschädigten Einspeiseleitungen, um die externe Stromversorgung wiederherzustellen. IAEA-Chef Grossi spricht von einem „komplexen Reparaturplan“ auf beiden Seiten der Front. Dass die Leitungen instandgesetzt werden sollen, ist bestätigt – gleichwohl bleibt die Sicherheitslage fragil, solange die Anlage im Kriegsgebiet steht.

ORF übt sich einmal mehr in Weglassungsjournalismus

Dass der ORF in seiner Berichterstattung nicht klar benennt, wer für den permanenten Beschuss, die Zerstörung des Staudamms und die Unterbrechung der Stromversorgung verantwortlich ist, kann man einmal mehr als Skandal bezeichnen. Selbst wenn man die Argumente beider Seiten veröffentlicht hätte, wäre es verantwortungsvoller Journalismus gewesen – doch das öffentlich-rechtliche Medienhaus entschied sich dafür, die Ursachen zu verschleiern. Man schreibt von “Beschuss”, “Einschlägen” oder “Kriegshandlungen”, ohne auszuführen, wer ein Interesse an einem Angriff oder gar an einem Atomunfall haben könnte.

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