Am Samstag, dem 14. Oktober, war der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg im Radioformat „Ö1 Mittagsjournal“ zu Gast. Bei seinem Interviewbeitrag zeigte er zwar einerseits, durchaus gut über den Nahost-Konflikt informiert zu sein, rechtfertigte aber überschießende staatliche Gewalt in einem befremdlichen Maße. Dabei muss beachtet werden, dass er im Namen der Österreicher spricht. Schallenberg entstammt einer alten Adelsfamilie, welche die Freimaurerei nach Österreich brachte.
Ein Kommentar von Florian Machl
Kriegsverbrechen sind Verstöße gegen das Völkerrecht.
Zu den in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln des Völkerrechtes, die zusammenfassend auch als Humanitäres Völkerrecht bezeichnet werden, zählen namentlich u. a. die Haager Landkriegsordnung (1907), die Genfer Konventionen (1949) sowie deren beiden Zusatzprotokolle aus dem Jahre 1977.
Wikipedia, abgerufen am 16.10.2023
Es ist international unstrittig, dass vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung und auf zivile Objekte Kriegsverbrechen darstellen. Auch wenn die Zahl der zu erwartenden zivilen Opfer in einem inakzeptablen Anteil der gesamt zu erwarteten militärischen Vorteile steht, handelt es sich um ein Kriegsverbrechen.
Der unsägliche Terrorangriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober hat zahlreiche Punkte erfüllt, die als Kriegsverbrechen gelten. Welche auch immer historisch erlittenen Niederlagen, Vertreibungen, Schmähungen oder sonstigen Vorkommnisse als Rechtfertigung geltend gemacht werden – es gibt keine Entschuldigung, keine Verharmlosung und keine Verniedlichung von willkürlichem Mord und Terror an der Zivilbevölkerung.
Dies gilt aber für beide Seiten. Die Gegenschläge Israels erweckten den Eindruck, weit über das Ziel hinauszuschießen. Ob die Opferzahlen auf „palästinensischer“ Seite, die von einer Behörde der Hamas verkündet wurden, auch wirklich zutreffen – auch hinsichtlich Frauen und Kinder – kann nicht von neutraler Seite geprüft oder bestätigt werden.
Der österreichische Außenminister Schallenberg äußerte sich während der ORF-Sendung einerseits wörtlich, dass die Basis seiner Politik das Humanitäre Völkerrecht sei, das auch nicht verhandelbar wäre. Andererseits sagte er aber:
Und ich möchte schon betonen, den massiven Unterschied: Man darf ja auch keine Opfer-Täter Umkehr betreiben. Die Israelis warnen jedes Mal vor. Auch bei den Einzelbombardements warnen sie vor, dass sie jetzt da vorgehen werden. Das heißt, sie wollen keine Zivilisten als Opfer haben. Die Hamas will genau Zivilisten massakrieren und abschlachten und sie als menschliche Schutzschilde verwenden. Und ich finde es ja einen Zynismus sondergleichen, dass die Hamas die Bevölkerung daran hindert, den Norden Gazas zu verlassen, weil sie eben solche Bilder auch erzeugen will. Die wollen, dass die arabische Welt in Flammen aufgeht. Und die Frage ist, ob man das zulassen kann. Und das ist auch irgendwo eine Frage auch an die Bevölkerung in Gaza selbst, ob sie das langfristig mit sich machen lassen. Denn Umfragen zufolge ist es nur eine Minderheit der Bevölkerung, die hinter der Hamas steht, die jetzt seit Jahren den Gazastreifen beherrschen. Und man darf auch nicht vergessen, weil das immer wieder verwechselt wird. Es gibt keine israelische Okkupation im Gazastreifen. Es gibt keine israelischen Siedlungen im Gazastreifen. Es gibt überhaupt keine Israelis in Wirklichkeit dort. Das war Selbstverwaltung. Und wie schaut dieser Gazastreifen aus, nach Jahren der Hamas-Beherrschung? Schrecklich! Die haben nichts gemacht.
Und weiter:
Man muss ja unterscheiden zwischen dem palästinensischen Volk, der Hamas und der Fatah. Da muss man klare Unterscheidungen vornehmen. Und es ist auch irgendwo der Aufruf an das palästinensische Volk, sie müssen sich dagegen wehren. Sie sind regelmäßig Opfer. Und jedes zivile Opfer im Gazastreifen ist der Hamas zuzuschreiben. Hätten sie letzten Samstag nicht dieses Massaker gemacht und hätten tausende oder hunderte Israelis abgeschlachtet, vergewaltigt und als menschliche Schutzschilde verschleppt, dann wäre gar nichts von dem geschehen.
Damit macht Schallenberg es sich sehr leicht. Denn wir alle wissen – die Regeln und Gesetze macht überall auf der Welt diejenige Gruppe, welche die meisten bewaffneten Kräfte befehligt und die meisten Waffen hat. Das ist die Hamas, die über den Gazastreifen eine brutale Gewaltherrschaft ausübt und zahlreiche eigene Mitbürger foltert und hinrichtet.
Rechtlich bedenklich erscheint die Aussage, dass jedes zivile Opfer der Hamas zuzuschreiben ist. Benutzt man das Ursache-Wirkung-Prinzip, mag darin eine gewisse Logik stecken. Doch genauer betrachtet kann man Kriegsverbrechen, die man selbst begeht, nicht der Gegenseite unterjubeln. Man hat in den meisten Fällen immer noch die Wahl, ob man selbst Mensch bleiben will, selbst Recht und Gesetz einhalten will und selbst Menschenleben schützen möchte. Blindwütiges flächendeckendes Bombardement beispielsweise ist nur akzeptabel, wenn damit klar definierte militärische Ziele erreichbar sind – aber nicht, wenn es sich um Strafe und Rache handelt. Speziell – und da hat Schallenberg recht – unter der Berücksichtigung, dass die Menschen in Gaza, die Zivilbevölkerung, dort ebenso de facto als Geiseln und Schutzschilde der Hamas gehalten werden. Gerade aber unter diesem Gesichtspunkt ist ziviles Menschenleben zu schonen. Will man, dass sich die Menschen in Gaza gegen die Hamas auflehnen, muss man ihnen perfekt vorleben, was Moral und Gesetzestreue ist. Wird man aber den eigenen Regeln und Ansprüchen untreu, dürfte man den ohnehin schon ewigen Hass auf der Gegenseite noch weiter verstärken.
Das Völkerrecht kennt jedenfalls keinen Passus, der die Annahme erlaubt, dass die Gegenseite daran schuld ist, wenn man selbst Kriegsverbrechen begeht.