In den letzten Tagen geisterten viele Nachrichten durch soziale Medien, dass es um die Gesundheit von Gunnar Kaiser schlecht bestellt wäre. Tatsächlich hat er seit längerer Zeit nichts mehr publiziert. Dem sympathischen Lehrer und Autor im Widerstand (“Ich mach da nicht mit”) hat im Dezember von einem Arzt eine niederschmetternde Diagnose erhalten. Am 26. März meldete er sich nun via YouTube zu Wort und fragt: “Habe ich genug getan?” Wir haben die Audiobotschaft für all jene transkribiert, die lieber lesen oder aus sonstigen Gründen keine solchen sehen können oder wollen.
Wer die Worte von Gunnar Kaiser selbst hören möchte, dem sei dieses Video, eigentlich diese Audiodatei, ans Herz gelegt. Leider steht es sehr schlecht um Gunnar – doch seine Worte klingen zunächst beschwingt. Er stellt die Frage: “Habe ich in meinem Leben genug getan?” Es ist eines der berührendsten Werke der letzten Jahre, erfüllt von Gedanken zu Spiritualität und Religion.
Hallo und herzlich willkommen bei Kaiser.tv. Ja, heute vielleicht mal mit einem etwas persönlicheren Video. Normalerweise geht es ja hier immer so etwas abstrakter zu und allgemeingültiger, etwas mehr auf der philosophischen, kulturellen Ebene mit ganz abstrakten Erkenntnissen. Heute wird es ein bisschen persönlicher, ein bisschen mehr um mich gehen, auch aber vielleicht auch um Erkenntnisse, die für euch interessant sein könnten.
Es heißt ja, Philosophieren lernen heißt Sterben lernen
Es heißt ja, Philosophieren lernen heißt Sterben lernen und dann wäre der Philosoph einer, der gut sterben kann, der das irgendwie gelernt hat. Und das ist auch gleich schon mein Thema. Deswegen wird es heute bisschen persönlicher. Seht es mir nach, wenn ich ein bisschen um meine eigene Erfahrung und Leidensgeschichte herumschwurbele, auch ein bisschen erzähle, denn ich hab sehr viele Anfragen bekommen und auch sehr viel Anteilnahme, gute Wünsche!
“Ja, so lange Zeit haben Sie nicht mehr.”
Dafür möchte ich ganz, ganz herzlich danken für all die Nachrichten, die ich bekomme von euch, weil sich irgendwie herumgesprochen hat, dass es mir nicht so gut geht. Das stimmt tatsächlich. Mir ging es schon besser. Seit eigentlich im Oktober, November letzten Jahres geht’s mir, geht’s mit mir rasant bergab, kann ich sagen, und im Dezember habe ich dann eine etwas ausführlichere Untersuchung gemacht, wo mir dann auch ein Arzt gesagt hat: “Ja, so lange Zeit haben Sie nicht mehr.” Also wo es dann so eine Art Ultimatum gibt, so eine Art soll man sagen, “Moratorium”, und das musste ich natürlich erst mal verkraften, auch damit ein bisschen zurechtkommen.
Es ist mir eben auch körperlich und dann auch seelisch sehr schlecht gegangen. Ich konnte sehr wenig tun, sehr wenig leisten, überhaupt gar nichts lesen. Ich glaube, ich habe in den ganzen – wie viele sind das jetzt? – vier, fünf, sechs Monaten nur zwei, drei Bücher gelesen. Nicht mal viel nachgedacht hab ich, sondern einfach versucht, so ein bisschen auch da reinzufühlen in diese neue Situation.
Dann eben die letzten Dinge zu tun, das ist mein Thema
Was macht das mit dir? Wenn du hörst, “bereiten Sie mal ihre letzten Dinge vor, lange haben Sie nicht mehr!” Es ist gar nicht mal so ein Grübeln gewesen, sondern eben so ein Versuch, das abzuwägen, zu wissen, wie soll man noch kämpfen und wie viel soll man akzeptieren? Also wie viel soll man da reingehen und sagen, okay, wenn das das jetzt ist, wenn das der Schicksalsspruch ist, dann ist es vielleicht am besten, diesen Weg auch zu gehen, anzunehmen und dann eben auch die letzten Dinge zu tun. Das ist eigentlich mein heutiges Thema, mein Thema in letzten Wochen und Monaten, was mich dabei umtreibt, weil ich angefangen habe zu beten, ja so kann man es nennen, also mehr als nachdenken, habe ich eigentlich versucht zu beten.
“Wann ist es denn eigentlich genug damit?”
Zu bitten, aber gar nicht so sehr darum, “lass mich wieder gesund werden, nimm diesen Kelch von mir!” Sondern mehr, ja, man kann sagen für meine Seele, für mein Seelenheil okay, wenn das jetzt zu Ende geht, dann möchte ich alles tun, um meine Seele ins Himmelreich kommen zu lassen. Und darum bitte ich. Und da stellte sich, stellte sich für mich das Problem auf: Wann ist es denn eigentlich genug damit? Habe ich denn irgendwann mal genug gebetet, habe ich genug gebeten? Also, im Leben selber hat man das ja oft genug, dass man sich das fragt, “habe ich genug getan”? Und ich habe mich das auch oft gefragt, auch öffentlich. Zum Beispiel bei, sagen wir mal politischem oder gesellschaftlichem Engagement, dass man sagt: Okay, ich habe viele Aktionen gemacht, ich habe viele Gedanken entwickelt. Ich habe viele Interviews geführt, ich habe viele Worte geäußert. War das genug? Ja. Habe ich genug getan, um diesem Problem zu begegnen, diesem gesellschaftlichen Problem?
Aber das gibt es ja auf jeder Ebene, allein der Gesundheit, natürlich. Habe ich mich gesund genug ernährt? Habe ich genug Sport getrieben? Habe ich genug geschlafen? Habe ich mich genug entspannt und so weiter? Oder in der Beziehung, hab ich genug Zeit, genug tolle Momente mit meiner Frau verbracht? Als Vater habe ich genug Zeit mit meinen Töchtern verbracht, habe ich genug Vorbildfunktion auch gezeigt, habe ich ihnen genug Möglichkeiten gegeben. Im Leben, habe ich genug getan?
Zweifel, ob man genug getan hat
Und das ist so eine Logik, natürlich, die, glaube ich, sehr normal ist für unser Menschenleben, der Verhältnismäßigkeit. Dass wir unser unseren Einsatz hinterfragen und uns immer wieder fragen müssen und immer wieder auch daran zweifeln müssen: War es genug oder war es zu wenig für den Ertrag beziehungsweise wird es den Ertrag bringen? Man sieht ihn ja nicht. Man sieht ihn nicht bei den politischen und gesellschaftlichen Problemen, die man versucht zu tangieren, bei der Gesundheit auch nicht immer. Das ist manchmal etwas verborgen. Bei der Beziehung oder gerade eben in der Erziehung von Kindern. Da kann es manchmal sein, dass man dann die Zweifel hat und sagt, also offensichtlich habe ich nicht genug getan, aber was hätte ich denn noch mehr tun können. Und diese Verhältnismäßigkeit von Einsatz und Ertrag, das muss man immer wieder hinterfragen.
Die Verhältnismäßigkeit im Leben kann man erfahren
Aber darum geht’s gar nicht heute bei mir! Oder ging es in den letzten Wochen und Monaten gar nicht bei mir, diese Verhältnismäßigkeit auf das Leben im Allgemeinen bezogen, denn da kann man ja auch mit einer gewissen Erfahrung dann rechnen. Dann sagt man, gut, das und das habe ich getan, an Ernährung und Sport und gute Erholung und so und so sieht meine Gesundheit aus. Da scheint es doch eine gewisse Korrelation zu geben, um nicht zu sagen, Kausalität. Und diese Erfahrung kann man machen.
Jetzt geht es bei mir, bei diesem Beten für mein Seelenheil und der Frage “habe ich genug getan, habe ich genug gebetet?”, aber nicht um diese Art von Logik. Nicht um diese Art von Verhältnismäßigkeit. Oder? Ich weiß es gar nicht. Das ist nämlich genau die offene Frage, die ich hier auch, glaube ich, heute offenlassen werde. Wenn es um mein Nachleben geht, also um das Beten, um das Himmelreich und das Seelenheil, ist das dann die gleiche Logik der Verhältnismäßigkeit von Einsatz und Ertrag? Dass ich sagen kann, ich habe, so und so viel gebetet und gebeten und so und so viel eingesetzt. Und dann müsste auch das und das rauskommen.
Gibt es eine Logik für das Jenseits?
Da sieht man natürlich schon, da das eine metaphysische Ebene tangiert, dass es da eben keine Erfahrungen gibt. Da gibt es keine Empirie, also zumindest habe ich da keine vorliegen. Jemand, der so und so viel gebetet hat, der wird so und so dann auch im Himmelreich sitzen. Die Frage ist ja überhaupt, kann man das überhaupt beeinflussen? Gibt es da diese Art Erfolgslogik. Also, etwas soll ja erfolgen, wenn wir etwas einsetzen. Ich setze eben einen bestimmten, auch Betrag ein, auch tatsächlich finanziellen Betrag, um mich gesund zu ernähren und dann möchte ich auch, dass dabei etwas herauskommt. Also eine Erfolgslogik und da wäre natürlich die Frage, ob das auf dieser Ebene des Betens für das Seelenheil, für diese metaphysischen Fragen und für diese letzten Dinge überhaupt noch gilt.
Dass ich mich überhaupt fragen – dass wir uns überhaupt fragen – können im Leben. Sollten wir uns das überhaupt fragen? Habe ich genug gebetet? Habe ich genug getan für mein Seelenheil? Also das ist ja nicht nur beten, das sind ja auch gute Taten. Oder es ist zum Beispiel in der Bibel lesen oder Bibelverse auswendig lernen, zur Messe gehen, die heilige Kommunion empfangen, was man alles machen kann. Es ist ja nicht nur beten, aber ich möchte es heute mal darauf beschränken.
Habe ich genug Dummes unterlassen?
Außerdem kann man natürlich auch fragen, nicht nur hab ich genug getan, sondern habe ich auch genug gelassen, also hab ich genug Dummes unterlassen. Habe ich genug Schlechtes unterlassen? Also jetzt zum Beispiel bei der Gesundheit, habe ich genug Schlechtes nicht gegessen oder andere Dinge. Das ist bei dem Beten, finde ich, schwieriger, habe ich genug schlechtes Beten unterlassen? Weiß ich gar nicht. Kann man schlecht beten? Aber ja, da ist dann die nächste Frage: Nicht nur habe ich genug getan, sondern habe ich es gut genug getan, also zum Beispiel bei der Beziehung? Oder bei der Erziehung als Vater zum Beispiel. Dann würde man sich ja nicht nur fragen, hab ich Zeit genug mit meinen Töchtern verbracht, sondern, war die Zeit auch gut, die ich mit ihnen verbracht habe? War das etwas sinnvolles, was ihn wirklich zum Vorbild gereichen kann oder ihnen etwas mitgibt? Im positiven Sinne am besten, und dann kann man sich natürlich, diese Frage muss man sich natürlich auch stellen; Habe ich das gut genug getan? Die Qualität des Handelns, das ist klar.
Gutes Beten, schlechtes Beten?
Aber wie ist das wiederum beim Beten? Wie ist das wiederum bei dieser metaphysischen Frage? Was heißt denn gutes Beten? Also, wenn ich eben gefragt habe, gibt es schlechtes Beten? Ich weiß es gar nicht. Gibt es ein schlechtes Bitten, wenn es doch einigermaßen, sagen wir ehrlich ist? Aber vielleicht, man kann schon konzentrierter und weniger konzentriert beten. Man kann vielleicht auch ehrlicher und weniger ehrlich beten. Vielleicht kann man auch mit mehr Vertrauen und Zutrauen beten und mit weniger. Ähm, das wird sicherlich auch eine Frage sein. Habe ich gut genug gebetet. Aber es ist, glaube ich, kein Ersatz, so wie man sagen kann, na ja, es geht gar nicht um die Quantität, es geht nur um die Qualität. Also es geht ja auch nicht an, dass man zum Beispiel sagt, na ja, ich war ja als Vater einmal eine Stunde anwesend in der Erziehung meiner Kinder und die war echt richtig, richtig gut, das war richtige Quality time, also Qualität vor Quantität. Es muss schon eine gewisse Regelmäßigkeit sein. Das ist also kein absoluter Ersatz.
Auch das Gute muss ja öfter getan werden und ja, da reicht es nicht zu sagen, ich muss nur einmal richtig das gemacht haben. Also, ich muss nur einmal richtig gebetet haben im Leben, und dann habe ich das Himmelreich erworben. Also im Grunde genommen ist dann wieder auch diese Erfolgslogik da im Denken, dass ich mir manchmal denke, das ist so wie ich, muss das wie so einen Bergwerksstollen durchbohren. Ich muss da richtig rein drillen, und wenn ich das mit meinem Denken oder mit meinem Fühlen auch mit meinen Gedanken und mit meinem Geist so richtig durchdringen kann, so richtig intensiv, dass ich dann den Durchbruch habe, dass dann wirklich Wasser heraus spritzt, und dann ist der Durchbruch da, und dann ist ja alles klar. Dann hat Jesus Christus mich erkannt und gesagt, ah, ja, okay, habe ich gehört, das war gut genug, reicht jetzt. Und ich glaube, das ist auch wieder so eine Erfolgslogik, dass man sich dann so anstrengen muss. Man muss halt richtig, wie man ja auch richtig meditieren soll. Man soll ja lernen, nicht nur so so lasch rumzusitzen, sondern sich dabei richtig konzentrieren, fokussieren. Und die Zeit auch richtig nutzen.
Wie viel ist genug?
Aber was heißt dann wieder richtig nutzen? Beim Beten 24 Stunden am Tag? Zumindest regelmäßig, fünfmal am Tag? Man hat ja auch noch anderes zu tun. Man muss ja auch noch leben, noch mal so nebenher, und das wäre irgendwie eine komische Existenz, in die uns Gott hier geworfen hat, wenn es eigentlich nur darum ginge, 24 Stunden nicht zu leben, sozusagen also nur in diesem Gebetsgedanken zu sein und dabei gar nicht mehr zu handeln und sich des Lebens zu erfreuen. Oder auch mal nichts zu tun oder was man sonst noch so tun und entlasten kann im Leben.
Ja, wie viel ist genug, habe ich genug getan? Ich habe euch versprochen, dass ich diese Frage offenlassen werde. Wahrscheinlich werden jetzt in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten noch ein paar Videos kommen. Dann wird es vielleicht mehr auch um solche Fragen gehen und dann wird es auch weiter offene Fragen geben, wo es mich interessiert, was ihr dazu denkt. Also die Frage, habe ich genug getan, ist natürlich sehr persönlich jetzt für mich. Aber vielleicht sind für euch ja Gedanken und Erkenntnisse darin, die ihr mit uns teilen möchtet. Da wäre ich sehr gespannt drauf, wenn ihr mögt, schreibt das gerne in die Kommentare oder lasst es mir anderweitig zukommen.
Ein herzlicher Dank für all die guten Wünsche
Danke noch mal, ganz, ganz herzlichen Dank für eben all eure Wünsche und die viele Anteilnahme, die ich bekomme. Und ich kann leider nicht auf alles antworten und auch nicht so ausführlich. Das ist wirklich sehr viel. Ich hoffe, ihr seht mir das nach, wenn das etwas länger dauert oder manchmal gar nichts kommt. Aber ich lese alles und alles kommt an. Also noch mal herzlichen Dank dafür. Das war’s für heute bei Kaiser.tv und ich hoffe euch hat’s gefallen. Bis zum nächsten Mal. Macht’s gut!
Lieber Gunnar Kaiser, die Gedanken und Herzen unserer Redaktion sind bei Dir und wir wünschen Dir alles nur erdenklich Gute!
YouTube-Kanal von Gunnar Kaiser
Eine von vielen Erinnerungen an hochqualitative Produktionen während der so genannten Pandemie-Zeit: