Zum ersten Mal könnte Marine Le Pen im zweiten Wahlgang bei der Stichwahl Präsident Macron schlagen, so eine neue Umfrage. Sollte sie tatsächlich Präsidentin Frankreichs werden – welche Auswirkungen hätte dies auf die Europäische Union und die Russland-Politik?
Bislang war es oftmals so, dass die französische rechtskonservative Politikerin Marine Le Pen (Rassemblement National) in den Umfragen zwar stets gute Werte beim ersten Wahlgang hatte, bei der Stichwahl dann jedoch gegen Macron unterlegen war. Nun jedoch wendete sich das Blatt zum ersten Mal. Ausgehend von den Umfragedaten, die der französische Journalist Alexandre Léchenet erhoben hat, liegen Macron und Le Pen in der ersten Wahlrunde am Sonntag deutlich vor dem Rest des Feldes. Macron führt das Feld im Durchschnitt mit etwas über 25 Prozent an, Le Pen liegt an zweiter Stelle in den niedrigen 20er-Prozenten. Nur ein weiterer Kandidat, der weit links stehende Jean-Luc Mélenchon, liegt in den Umfragen über 10 Prozent.
Tatsächlich liegen die Umfragen zwischen Macron und Le Pen so dicht beieinander, dass Le Pen nur noch ein normales Umfragedefizit vom Sieg entfernt ist: Bei den französischen Präsidentschaftswahlen von 1969 bis 2017 lag die durchschnittliche Abweichung zwischen dem Umfrageergebnis zwei Wochen vor der Wahl und dem Ergebnis der Stichwahl bei etwa 4,6 Punkten, und die Durchschnittswerte der Meinungsumfragen von Politico und Reuters beziffern Macrons Vorsprung in der Stichwahl jeweils auf 6 Punkte. Mit anderen Worten: Ein etwas größerer Fehler als normal könnte Le Pen zur nächsten Präsidentin Frankreichs machen. Und es ist immer noch Zeit, dass sich das Rennen weiter zuspitzt, da die wahrscheinliche Stichwahl zwei Wochen nach der ersten Runde stattfinden wird.
Macron kann zwar außenpolitisch wegen der Ukraine-Krise punkten, doch innenpolitisch wächst der Gegenwind. Unter anderem auch wegen seiner harten Linie gegen die „Gelbwesten“, sein Impfzwang-Regime und wegen seines Versuches, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Hinzu kommt, dass die Umfragen in Frankreich die unentschlossenen Wähler nicht berücksichtigen und vor allem sehr weit links stehende Wähler im zweiten Wahlgang zu Hause bleiben könnten – anstatt „zwischen Pech und Schwefel“ zu wählen. Das heißt, Macrons „Leihstimmen“ aus dem linken Lager könnten im zweiten Wahlgang dieses Mal deutlich geringer ausfallen. Dies gibt Le Pen eine größere Chance auf einen finalen Wahlsieg.
Was würde sich ändern?
Ein Sieg Le Pens könnte vor allem die bisherige Außenpolitik der Europäischen Union und der NATO deutlich beeinflussen. Die resolute Politikerin gilt als Putin-freundlich und als Vertreterin einer freundlicheren Politik gegenüber Russland. Le Pen hat ihr Interesse bekundet, Frankreich aus dem integrierten NATO-Kommando zu entfernen, falls sie zur Präsidentin gewählt wird. Nach Angaben des französischen Außenministeriums ist Frankreich „der drittgrößte Beitragszahler für den militärischen und zivilen Haushalt der NATO“.
Auch Frankreich leidet unter den hohen Dieselpreisen, die vor allem die Landwirtschaft und das Transportgewerbe treffen. Ein potenzieller Deal zwischen Le Pen und Putin (wenn Frankreich unter ihrer Führung aus dem westlichen Sanktionsregime aussteigt) könnte eine Motivation für diese Wählergruppen sein, für die RN-Chefin zu stimmen (oder zumindest nicht gegen sie). Immerhin trifft die Inflation auch die Franzosen hart, so dass finanzielle Gründe durchaus die Wahlentscheidung beeinflussen könnten.
Auf EU-Ebene würde ein Frankreich unter Führung Marine Le Pens zu einem Bruch der „Achse Berlin-Paris“ führen, die sich vor allem unter Merkel und Macron gefestigt hatte. Le Pen möchte eine „europäische Allianz der Nationen“ aufbauen, erklärte die Politikerin auf ihrer Pressekonferenz zur französischen Präsidentschaft am Dienstag. Ein Ziel, „das im Gegensatz zu dem von Emmanuel Macron vertretenen steht. […] Das Ziel der Europäer, die die Völker vergessen und die Nationen beherrschen“, fügte sie hinzu. Le Pen nahm die EU wegen ihrer Grenzpolitik ins Visier. Diese sei „ein Handelshemmnis und verstößt gegen das mittlerweile religiöse Dogma der Freizügigkeit“ aufgrund der „globalistischen und ‚entgrenzten‘ Ideologie“ und des „Dogmas von Schengen“.
Le Pen warf Brüssel vor, es wolle „alles auslöschen, was […] uns an unsere Wurzeln, unsere Identitäten erinnern könnte“ und „seine Gesetze über die Verfassungen der Staaten stellen“. Die Politikerin fügte hinzu, sie begrüße den „Akt des Widerstands“ der polnischen und ungarischen Regierungen, die sich „weigerten, sich dem Brüsseler Diktat zu unterwerfen“. Ihr zufolge wird es „keine europäische Souveränität geben, weil es kein europäisches Volk gibt“. Sollten die Franzosen ihre Kandidatur unterstützen, würde Le Pen nicht nur „Frankreich vor der organisierten Dekonstruktion retten, sondern auch Europa vor einer programmierten [demografischen] Unterwanderung“, fügte sie hinzu.