Nach dem Ende des Kalten Krieges verschwand die latente Gefahr eines Nuklearkrieges in den verstaubten Asservaten der Geschichte. Doch die Ukraine-Krise bringt das alte Säbelrasseln wieder in die Gegenwart zurück. Im April 2022 veröffentlichte das russische Staats-TV Rossija 24 eine Warnung, wohl im Auftrag von Regierungs-Verantwortlichen: Anhand einer Grafik wurde simuliert, wie ein Atomschlag auf drei europäische Hauptstädte enden würde – mit »keinen Überlebenden!«
Buchauszug aus Guido Grandt: Nuklearschlag gegen Deutschland: Hintergründe – Auswirkungen – »Vorsorge«
Tatsächlich wären in wenigen Minuten die größten Metropolen Westeuropas zerstört. Von der russischen Enklave Kaliningrad (ehemals Königsberg) würden abgeschossene Raketen in 106 Sekunden in Berlin, in 200 Sekunden in Paris und in 202 Sekunden in London einschlagen, so die Moderatoren des Senders.
Doch nicht nur Russland betrachtet den Einsatz von Atomwaffen als probates Mittel einer militärischen Eskalation, sondern ebenso die USA. Warum sonst modernisieren die Amerikaner seit Jahren ihr diesbezügliches Arsenal und geben weiterhin zig Milliarden US-Dollar dafür aus? Dass US-Regierungen keine Hemmschwelle damit haben, zeigten bereits die beiden Atombombenabwürfe am Ende des Zweiten Weltkriegs im japanischen Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945).
Wie ernst die aktuelle Lage ist, zeigt auch ein Artikel vom 30. März 2023 im Handelsblatt: Darin heißt es unter anderem: »Zu (…) existenziellen Bedrohungen zählt für die Commerzbank aufgrund ihres Geschäftsmodells beispielsweise (…) ein taktischer Atomanschlag auf Frankfurt am Main als neuralgisches Finanzzentrum Deutschlands.«
So jedenfalls steht es im Geschäftsbericht der Commerzbank über das Jahr 2022, der Ende März 2023 veröffentlicht wurde. Konkret wird der taktische Atomanschlag auf Frankfurt am Main im Kapitel zu »Risikostrategie und Risikosteuerung« aufgeführt. Aber dennoch geht das Finanzinstitut nicht weiter auf das Risiko ein. Eine Sprecherin der Commerzbank erklärte: »Aufgrund der geopolitischen Lage und der fortschreitenden Verbreitung von Atomwaffen und der neuralgischen Bedeutung Frankfurts wurde dieses Szenario erwähnt.« Also all jene, die die »Existenz der Bank bedrohen würden.« Wie auch ein »Ausfall von Deutschland«, der »Zerfall der Euro-Zone« und weitere Katastrophen, wie eben eine Gefahr durch Atomwaffen. Explizit wird jedoch betont, dass es »keine Strategie gegen einen möglichen Atomschlag« gebe, obwohl der Geschäftsbericht eigentlich vorsieht, gegen existenzielle Bedrohungen Strategien zu entwickeln, um das Ausmaß des Schadens zu reduzieren.
Was aber, wenn es tatsächlich zu einem solchen Nuklearschlag kommen würde? Und wie stehen die Chancen, einen thermonuklearen Angriff überhaupt zu überleben?
Im Jahr 2020 wurde von Greenpeace eine Analyse mit dem Titel Auswirkungen einer Atombombe auf Deutschland (Autorin: Oda Becker) veröffentlicht. Dabei wurde allerdings »bewusst von relativ ‚kleinen‘ Atomwaffeneinsätzen ausgegangen. Tatsächlich verfügen die beiden Weltmächte USA und Russland über Atomwaffen, die bis zu tausendfach stärkere Sprengköpfe haben.«
In Frankfurt am Main und damit dem dort ansässigen Finanzzentrum Deutschland wäre die Explosion einer im russischen Arsenal gängigen Atombombe mit einer Sprengkraft von 550 Kilotonnen wahrlich verheerend!
Bei einem durch die Explosion der Atombombe entstehenden Feuerball würde alles in einem Radius von 990 Metern (Fläche 3,07 Quadratkilometer) verdampft. Betroffen wären davon mehr als 9.300 Einwohner. Schwere Explosionsschäden in einem Radius von 1,78 Kilometer (Fläche 9,99 Quadratkilometer) würden erhebliche Beschädigungen von Betongebäuden herbeiführen oder diese vollends zerstören. 100 Prozent der davon Betroffenen würden sterben (rund 30.000 Menschen). 50.000 würden bis in einer Entfernung von 2,32 Kilometern und einer Gesamtfläche von 16,9 Quadratkilometern im Freien eine Sofortstrahlung von 5 Sievert erhalten, die für die meisten tödlich wäre. Hinzu kämen zusätzliche Verletzungen durch die Druck- und Hitzewelle.
27 Prozent der Überlebenden würden im Laufe ihres Lebens eine schwere oder tödliche Krebserkrankung erleiden. Bei einem Prozent würden genetische Schäden auftreten.
Der »moderate Zerstörungsradius« der explodierten Atombombe beziffert sich auf 3,75 Kilometer (Fläche von 44,2 Kilometer). Betroffen davon wären rund 134.000 Menschen. Auch hier würden die meisten Gebäude zerstört; die Brandgefahr extrem hoch sein. In einem Umkreis von 8,24 Kilometern würde es zu Brandverletzungen dritten Grades kommen.
Ferner heißt es in der Greenpeace-Analyse: »Das betroffene Gebiet hat eine Fläche von 213 km². Auf dieser Fläche wohnen in Frankfurt etwa 646.000 Menschen. Das Programm NUKEMAP ermittelt für das hier betrachtete Szenario aus den Daten für die durchschnittliche Umgebungsbevölkerung insgesamt 206.080 Todesfälle und 226.360 Verletzte (ohne Berücksichtigung der Falloutstrahlung).«
Im Falloutgebiet von 20 bis 50 Kilometern, das 301 Quadratmeter beträgt, leben 90.000 Menschen. Bei einer Strahlendosis von 10 Gray/h würden die meisten schon nach einer Stunde sterben.
Im Falloutgebiet bis in eine Entfernung von 135 Kilometern (Fläche von 2.669 Kilometern) wohnen zirka 790.000 Menschen. Bei einer angenommenen Strahlendosis zwischen 1-10 Gy/h würden Zehntausende umkommen. Bei den Überlebenden würden etwa 115.000 Menschen das zusätzliche Risiko aufweisen, eine tödliche oder schwere Krebserkrankung zu erleiden. Mehr als 4.000 Menschen würden strahlenbedingte genetische Schäden vorweisen, sodass sie Nachkommen mit Erbschäden bekämen.
Im Falloutgebiet in einer maximalen Entfernung von 219 Kilometern leben auf einer Fläche von 5.420 Kilometern rund 1,46 Millionen Menschen. Bei einer Strahlendosis zwischen 0,1-1 Gy/h würden dennoch einige Zehntausende eine tödliche Strahlung erhalten. Die Sterblichkeitsrate bei einer Dosis von 1 Sv läge bei ungefähr 12 Prozent. Bei einer Strahlung von 0,1-1 Sv würden 7.700 bis 77.000 Menschen an Krebs erkranken und 280 bis 2.800 genetische Schäden erleiden.
Im Falloutgebiet in einer maximalen Entfernung von 303 Kilometern (Fläche 8.170 Quadratkilometer) wohnen mehr als 1,4 Millionen Menschen. Bei einer Strahlendosis zwischen 0,01-0,1 Gy/h würde es wohl keine Strahlentoten geben. Allerdings würden 770 bis 7.700 schwer oder tödlich an Krebs erkranken und 28 bis 280 Nachkommen mit Erbschäden bekommen.
Fazit: Bei dem beschriebenen Szenario einer 550-Kilotonnen-Atombombenexplosion in Frankfurt am Main würden zirka 300.000 Tote durch die Fallout-Strahlung zu beklagen sein. Mit jenen Opfern, die durch Druck- und Hitzewelle umkommen, sowie der Sofortstrahlung, würden sich die Todesfälle auf etwa 500.000 summieren, zuzüglich der noch rund 165.000 späteren Verluste durch eine Krebserkrankung. Insgesamt wäre also mit 665.000 Toten zu rechnen.
Buchauszug aus Guido Grandt: Nuklearschlag gegen Deutschland: Hintergründe – Auswirkungen – »Vorsorge«