Der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Ulrich Kutschera erklärt im Interview mit Florian Machl die biologischen und psychologischen Muster der Kriegstreiberei. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, wie rasch sich öffentliche Stimmungen drehen können. Kutschera ordnet diese Dynamik in evolutionsbiologische Konzepte ein und zieht dabei auch Parallelen zum Verhalten von Schimpansen.
Kutschera betont, er greife das Thema nicht aus politischer Motivation auf, sondern weil es in der Fachliteratur wieder stärker präsent sei. In seinem jüngst aktualisierten Lehrbuch „Evolutionsbiologie. Vom Ursprung der Sexualität zum modernen Menschen“ verweist er auf zahlreiche Quellen und beschreibt Krieg als Thema, das auch in verhaltensbiologischen Kontexten diskutiert werde.
Das biologische Muster: Wir gegen die Anderen
Den Kern der Kriegstreiberei fasst Kutschera als „Us versus them“ zusammen. Menschen seien wie andere soziale Lebewesen auf Gruppenzugehörigkeit geprägt, was Innengruppen-Solidarität stärkt, aber zugleich die Abgrenzung gegen Außen begünstigt. Für ihn ist diese Spannung ein Schlüssel, um Propaganda zu verstehen, die das Eigene moralisch auflädt und das Fremde dämonisiert.
Als anschauliches Beispiel nennt er Schimpansen, die territorial leben und Grenzen patrouillieren. Gerät ein Männchen einer anderen Gruppe in die Reichweite, könne es in tödliche Gewalt eskalieren. Für Kutschera ist das keine Randnotiz, sondern ein Hinweis darauf, dass hochsoziale Arten zugleich zu organisierter Außengruppenaggression fähig sind, während innerhalb der eigenen Gruppe häufig Kooperation, Fürsorge und Konfliktbegrenzung dominieren.
Ressourcen, Gewalt und die Rolle der Männer
Auch die Vorstellung, Krieg sei erst mit Sesshaftigkeit und Staatenbildung entstanden, relativiert Kutschera. Er verweist auf Befunde, die auch in Jäger-und-Sammler-Kontexten tödliche Konflikte nahelegen, besonders dann, wenn Ressourcen knapp werden. Nahrung, Lebensraum und Sicherheit seien in solchen Situationen Treiber eskalierender Rivalität gewesen.
Deutlich wird Kutschera, wenn er Unterschiede zwischen Männern und Frauen biologisch begründet und Gewalt als überwiegend männlich dominiertes Feld beschreibt. Zugleich betont er Variabilität innerhalb von Gruppen und stellt die These auf, dass die Mehrheit der Männer eine starke Tötungshemmung habe, während ein kleiner, besonders aggressiver Anteil die Gewalt anführe und andere mobilisiere. Diese Aussagen rahmt er als Schlussfolgerungen aus evolutionärer Psychologie und Verhaltensforschung und verbindet sie mit historischen Beispielen.
Propaganda, Identität und Kriegsbereitschaft
Auf die Gegenwart übertragen sieht Kutschera den Mechanismus „Wir gegen die Anderen“ als Werkzeug politischer Steuerung. Er beschreibt, wie durch wiederholte Feindbildpflege und moralische Vereinfachungen Zustimmung erzeugt werde, während die Komplexität realer Konflikte ausgeblendet bleibe. Mit Blick auf den Russland-Ukraine-Krieg schildert er zudem persönliche Eindrücke aus Kontakten mit Wissenschaftlern aus Russland und der Ukraine und warnt vor einer Debatte, die nur noch in Lagerlogik funktioniere.
Ein weiterer Strang des Gesprächs ist die Frage nach Kriegsfähigkeit moderner Gesellschaften. Identität und Zugehörigkeit würden im Westen geschwächt, während zugleich militärische Mobilisierung gefordert werde. In diesem Spannungsfeld verortet er auch Kulturkampf-Narrative und die symbolische Aufladung von Geschlechter- und Wertefragen, die aus seiner Sicht zur inneren Spaltung beitragen und den Blick auf Kosten, Opfer und Eskalationsrisiken verstellen.
Prof Dr. Ulrich Kutschera – Evolutionsbiologie – Vom Ursprung der Sexualität zum modernen Menschen
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Prof. Dr. Ulrich Kutschera (geb. 1955 in Freiburg i.Br.) ist ein in Deutschland und den USA tätiger Evolutionsbiologe, Autor und Musiker. Mit ca. 350 wissenschaftlichen Publikationen und 18 Fachbüchern ist er bei „ResearchGate” in der Top-Kategorie aller Naturwissenschaftler weltweit verzeichnet. Seine Kompositionen werden u.a. im Stanford-Radio (California, USA) und Radio WigWam (UK) gespielt. Webpage: www.evolutionsbiologen.de
