Bei den gesetzlichen Krankenkassen klafft ein Milliarden-Loch. Um dieses zu stopfen, kam aus der Regierung bereits der Vorschlag einer drastischen Beitragserhöhung. Fast zeitgleich fordert ein Krankenkassen-Chef nun massive Leistungskürzungen für Versicherte: Gespart werden soll unter anderem bei der zahnärztlichen Versorgung. Diese sollen die Beitragszahler dann fortan selbst finanzieren.
Um die milliardenschweren Defizite bei den gesetzlichen Krankenkassen abzubauen, sprachen sich SPD und Grüne für eine Anhebung der Beitragsbemessungs- und der Versicherungspflichtgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung aus. Für Besserverdienende würde dies einen massiven Beitragsanstieg und für viele Unternehmen eine Explosion der Lohnzusatzkosten bedeuten – Report24 berichtete.
Nun kommt ein neuer Vorstoß von Ralf Hermes, dem Chef der IKK-Innovationskasse mit rund 300.000 Versicherten. Im Interview mit dem Handelsblatt sagte er: „Die steigenden Gesundheitsausgaben bringen das System schon jetzt an seine Grenzen.“ Und weiter: „Leistungskürzungen dürfen deswegen kein Tabu sein, sondern sind alternativlos.“
Zahnärztliche Versorgung keine Kassenleistung mehr?
Er fordert drastische Leistungskürzungen in den Bereichen zahnärztliche Behandlungen, Zahnersatz und Homöopathie. „Der Lage angemessen wäre es, die komplette zahnärztliche Versorgung aus dem Leistungskatalog zu streichen“, erklärte Hermes. Nach seinen Vorstellungen müssten Patienten zukünftig beispielsweise Zahnfüllungen, Wurzelkanalbehandlungen und auch Vorsorgeuntersuchungen selbst bezahlen. Seine Begründung lautet, dass Patienten durch gute Pflege starke Prävention ausüben könnten. Wer sich im Wesentlichen zweimal am Tag ordentlich die Zähne putzen würde, bekomme „fast keine Probleme“. Auch hätten Versicherte die Möglichkeit, sich privat abzusichern. Die gesetzliche Krankenversicherung würde dann nur noch die Behandlung von Zahnproblemen, die durch unverschuldete Unfälle oder schwere Erkrankungen entstanden sind, übernehmen.
Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen stiegen im vergangenen Jahr auf 263,41 Milliarden Euro. Die Kosten für zahnärztliche Behandlungen beliefen sich dabei auf knapp 13 Milliarden Euro.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) arbeitet an einer Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist davon auszugehen, dass damit auf die Versicherten deutlich höhere Beiträge zukommen. Diese müssen von den Versicherten, also den Arbeitnehmern, und von den Arbeitgebern bezahlt werden, während Leistungskürzungen nur die Versicherten treffen würden. Hermes argumentiert dagegen, höhere Beiträge würden noch mehr Geld in das Krankenversicherungssystem pumpen und so würden dringend notwendige Reformen weiter verzögert.
Bisher keine Zustimmung
Bisher stoßen die Vorschläge des Krankenkassen-Chefs jedoch nicht auf Zustimmung. Dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung zufolge soll sich die Finanzlage der Krankenkassen im kommenden Jahr bessern. Anstatt eines von der Regierung erwarteten Defizits in Höhe von 8 Milliarden Euro, geht der Verband von einem Minus zwischen 3,5 und sieben Milliarden Euro aus. In diesem Jahr ist eine Finanzierungslücke von 17 Milliarden Euro zu erwarten.
Die Regierung spricht sich ebenfalls gegen Leistungskürzungen aus. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Andrew Ullmann, äußerte dazu: „Wir sind uns in der Regierungskoalition einig, dass wir an den grundsätzlichen und evidenzbasierten medizinischen Leistungen nichts kürzen können, wollen und dürfen.“ Mit dieser Aussage klammert er die Homöopathie dann wohl aus.
Über die Vorschläge des Krankenkassen-Chefs kann man nur den Kopf schütteln. Zum einen sind die Zuzahlungen gerade bei zahnärztlichen Behandlungen schon jetzt so massiv, dass sich die Frage aufdrängt, was die Krankenkasse überhaupt noch bezahlt. Zum anderen mutet die Aussage, dass mit regelmäßigem Zähneputzen, was für den größten Teil der deutschen Bevölkerung selbstverständlich sein dürfte, Zahnarztbehandlungen vermieden werden können, lächerlich an. Die finanzielle Schieflage der gesetzlichen Krankenkassen ließe sich mit sehr großer Wahrscheinlich schon merklich verringern, wenn nicht immer mehr Nicht-Einzahler Leistungen in Anspruch nehmen würden. Es kann nicht angehen, dass die Versicherten bei steigenden Beiträgen noch weniger Leistungen erhalten.