Moskau reißt langsam der Geduldsfaden. Die ständigen Drohungen und Warnungen aus Washington und London mit neuen Sanktionen und dem Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem SWIFT sorgen dafür, dass man seitens der Russen nun mit einem völligen Lieferstopp von Rohstoffen droht. Sämtliche Lieferungen von Erdgas, Erdöl und Metallen würden dann eingestellt.
Schon seit Monaten steht seitens Washingtons und Londons die Drohung im Raum, Russland aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT auszuschließen. Ein Schritt, der als „finanzielle Atombombe“ gilt, da ein solcher Ausschluss es beispielsweise russischen Unternehmen und Privatleuten, aber auch den staatlichen Kassen faktisch unmöglich machen würde, grenzüberschreitende Zahlungen vorzunehmen. Zumindest in Bezug auf den Westen. Mit Ländern wie China oder dem Iran haben die Russen bereits alternative Zahlungssysteme etabliert. Doch für die russische Wirtschaft wäre dies ein harter Schlag, zumal viele Geschäftspartner im Westen sitzen und auch viele europäische Unternehmen beispielsweise Produktionsstätten in Russland besitzen.
Eine solche Maßnahme hätte jedoch auch Konsequenzen für die Versorgung der europäischen Länder mit Erdgas, Erdöl und Metallen aus Russland. So könnten die europäischen Unternehmen, die ihre Rohstoffe von dort beziehen, diese nicht mehr akkurat bezahlen. Zwar wäre es möglich, dass beispielsweise Gazprom oder Rosneft europäische Bankkonten zur Zahlungsabwicklung nutzen – doch Rücküberweisungen nach Russland wären von dort aus quasi unmöglich. Kein Wunder also, dass diese Drohungen zu entsprechenden Gegendrohungen aus Moskau führen. Sollte das Land tatsächlich ausgeschlossen werden, wird Russland weder Erdgas noch Erdöl noch Metalle mehr nach Europa liefern.
Washington und London auf Eskalationskurs
Am Dienstag erklärte der britische Premierminister Boris Johnson, er führe Gespräche mit den Vereinigten Staaten, um Russland aus dem globalen Zahlungssystem SWIFT auszuschließen, und nannte es eine „sehr mächtige Waffe“. Verständlich, zumal dies enorme wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen hätte. „Ich fürchte, sie kann nur mit Hilfe der Vereinigten Staaten eingesetzt werden. Wir sind in Gesprächen darüber“, fügte er hinzu. Nikolay Zhuravlev, stellvertretender Sprecher des Föderationsrates, reagierte auf Johnsons Drohung und sagte der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS, dass Europa unter den Folgen eines solchen Schrittes leiden würde.
„SWIFT ist ein Abwicklungssystem, es ist eine Dienstleistung. Wenn Russland von SWIFT abgekoppelt wird, werden wir keine [ausländische] Währung erhalten, aber die Käufer, in erster Linie die europäischen Länder, werden unsere Waren nicht erhalten – Öl, Gas, Metalle und andere wichtige Bestandteile ihrer Importe. Brauchen sie das? Ich bin mir nicht sicher“, sagte Zhuravlev, der darauf hinwies, dass SWIFT zwar bequem und schnell ist, aber nicht die einzige Lösung für Finanztransaktionen darstellt. „SWIFT ist ein europäisches Unternehmen, eine Vereinigung, an der viele Länder beteiligt sind. Um eine Entscheidung über die Abschaltung zu treffen, bedarf es eines einzigen Beschlusses aller beteiligten Länder. Die Entscheidungen der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs sind definitiv nicht ausreichend. Ich bin mir nicht sicher, ob andere Länder, vor allem diejenigen, die einen großen Anteil am Handel mit Russland haben, die Abschaltung unterstützen werden„, sagte er weiter. In den letzten Jahren hat Brüssel im Zuge der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen regelmäßig das Thema der Abkopplung Russlands von SWIFT aufgeworfen. Zum ersten Mal forderte das Europäische Parlament 2014 in einer nach der Wiedervereinigung der Krim mit Russland verabschiedeten Entschließung, die Russische Föderation vom Interbankenzahlungssystem abzukoppeln.
Ersatzlieferungen aus den USA?
Die Vereinigten Staaten führen unterdessen Gespräche mit wichtigen Energie produzierenden Ländern und Unternehmen auf der ganzen Welt, um einen Notfallplan für die Energieversorgung Europas im Falle eines (ohnehin völlig unwahrscheinlichen) russischen Einmarsches in der Ukraine auszuarbeiten, berichtet Reuters unter Berufung auf hochrangige Beamte der Regierung Biden. „Wir arbeiten daran, zusätzliche Mengen nicht-russischen Erdgases aus verschiedenen Regionen der Welt zu identifizieren, von Nordafrika und dem Nahen Osten bis hin zu Asien und den Vereinigten Staaten“, sagte ein hochrangiger Regierungsbeamter unter der Bedingung der Anonymität und fügte hinzu: „Entsprechend sind wir … in Gesprächen mit großen Erdgasproduzenten rund um den Globus, um ihre Kapazität und Bereitschaft zu verstehen, die Erdgasproduktion vorübergehend zu erhöhen und diese Mengen europäischen Käufern zuzuweisen.“
Kritiker werfen den Amerikanern seit langem vor, die Erdgaspipeline Nord Stream 2 deshalb zu sanktionieren und zu torpedieren, um mehr eigenes Fracking-Gas in Europa verkaufen zu können. Immerhin steht die US-Frackingindustrie unter starkem Druck, zumal die Schulden exorbitant hoch sind und immer mehr dieser Unternehmen in Richtung Konkurs taumeln. Eine durch diese Eskalation ausgelöste richtige Energiekrise in Europa könnte zu einer neuen Hochkonjunktur bei den Fracking-Unternehmen in den USA führen – und damit der US-Wirtschaft massive Profite bescheren.
Neue Eskalationskampagne?
Angesichts dessen, dass das „Invasionsszenario“ in Bezug auf die Ukraine gerade auch wegen der Deeskalationsmaßnahmen wichtiger europäischer NATO-Mächte faktisch vom Tisch ist, suchen die Scharfmacher in Washington und London nun nach neuen Möglichkeiten, den russischen Bären zu reizen. Dies könnte nun der Auftakt zu einer neuen Eskalationskampagne der Amerikaner und Briten sein, um die letzten verbleibenden Bande zwischen Russland und der Europäischen Union zu zerschneiden. Ganz zu schweigen davon, dass dies die europäischen Länder in eine neue Rezession stürzen würde.