Wem gehören die Goldreserven der EU‑Länder? Rom übt den Aufstand gegen die Europäische Zentralbank und will die nationalen Goldbestände als Teil des Staatsvermögens klassifizieren. In Frankfurt regt sich deshalb Unmut.
Italien schärft seine Position im Streit um die nationalen Goldreserven und fordert nun in einer neuen Deutlichkeit das staatliche Eigentumsrecht an den Beständen der Banca d’Italia ein. Dies ist ein politischer Affront gegenüber der Europäischen Zentralbank. Die Regierung Meloni signalisiert damit, dass sie bereit ist, eines der heikelsten Tabus der Eurozone zu berühren: die Frage, ob das im Land lagernde Gold im Zweifel Rom oder Frankfurt gehört.
Die Goldreserven Italiens zählen mit über zweitausendvierhundert Tonnen zu den bedeutendsten der Welt. Ihr Marktwert liegt bei rund dreihundert Milliarden Dollar und macht Italien zum drittgrößten Goldhalter hinter den USA und Deutschland. Seit Jahren war dieses Thema ein juristisch eingefrorenes Minenfeld, denn die EZB pocht darauf, dass nationales Gold zwar physisch im jeweiligen Mitgliedstaat liegt, politisch und funktional jedoch Teil des Euro-Systems ist. Rom sieht das anders und betont, dass Goldreserven im Kern Staatsvermögen seien, das lediglich durch die nationale Zentralbank verwaltet wird.
Die EZB hatte bereits früher gewarnt, dass derartige Gesetzesänderungen oder formelle Eigentumsfeststellungen gegen die im EU-Vertrag verankerte Unabhängigkeit der Zentralbanken verstoßen könnten. Gerade dieser Punkt ist sensibel, denn die Unabhängigkeit der Zentralbanken gilt als Grundpfeiler der Euro-Stabilität. Sobald ein Staat beginnen würde, direkten Zugriff auf Vermögenswerte seiner Nationalbank zu reklamieren, wäre das Vertrauen in die Neutralität des Euro-Systems unmittelbar gefährdet.
Die EZB-Banker in Frankfurt sehen darin eine finanzpolitische Einflussnahme auf Währungsreserven und geldpolitische Entscheidungen. Rom hingegen argumentiert, dass es lediglich klarstellt, was ohnehin selbstverständlich sei, nämlich dass die Goldbestände einem souveränen Staat gehören und nicht einer europäischen Institution, die sich über nationale Hoheitsrechte erhebt.
In Italien wird dieses Thema seit Jahren immer wieder aufgegriffen. Spätestens seit der Neuordnung der Goldregeln durch Basel III begann sich der Konflikt zu verhärten. Die nun verabschiedete Formulierung ist daher weniger eine technische Präzisierung als vielmehr eine strategische Botschaft an Frankfurt: Das Gold liegt in Italien, und im Zweifel entscheidet Italien darüber.
Die politische Symbolik dahinter ist enorm. Gold dient seit Jahrhunderten als letzte Garantiereserve staatlicher Stabilität. Wenn eine Regierung sich öffentlich auf dieses Fundament beruft, dann geschieht das normalerweise beiläufig. Die Meloni-Regierung signalisiert damit, dass sie sich Desintegrationsrisiken im Euro-System bewusst ist und sich rechtlich wie politisch neu positioniert.
Dies wird zudem als Versuch gewertet, die Machtbalance innerhalb der Währungsunion zu verschieben. Denn wer über das Gold verfügt, verfügt im Ernstfall über die Möglichkeit, finanzielle und geldpolitische Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Für die EZB stellt dieser Vorstoß einen empfindlichen Angriff auf das Prinzip zentralisierter Reservekontrolle dar. Das Euro-System funktioniert nur, solange die Mitgliedstaaten akzeptieren, dass Währungsreserven gemeinsam organisiert und unabhängig verwaltet werden.
Wenn eines der größten Länder der Eurozone nun öffentlich erklärt, dass es seine Reserven als politische Ressource betrachtet, kann das als Präzedenzfall dienen. Andere Staaten mit eigenen wirtschaftlichen Belastungen könnten folgen und ihre Reservehoheit ebenfalls neu definieren. Genau dieses Szenario möchte die EZB verhindern.
Denn ohne die Goldreserven als technisches Backup verliert das Euro-System einen wichtigen Pfeiler. Die EZB, die inzwischen über weitreichende Befugnisse verfügt, will diesen Machtkampf unbedingt gewinnen. Es geht hierbei nämlich um die Autorität der Institution auf den Finanzmärkten.
