Blind vor Wut verspricht das offizielle Israel für die Mordanschläge des 7. Oktober Rache und Vergeltung. Dabei wurden von offiziellen Regierungsvertretern und Amtsträgern offen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen angekündigt. So verständlich der Zorn und der Schmerz nach diesem unmenschlichen Terror-Überfall auch sein mögen – man kann Unrecht nicht mit Unrecht ungeschehen machen. Die westliche Zivilisation muss ihre vermeintlichen Werte vorleben, um glaubwürdig zu bleiben.
Ein Kommentar von Willi Huber
Ob der israelische Premierminister Netanyahu im Amt bleiben kann, ist fraglich. Denn die überwältigende Mehrheit der israelischen Bevölkerung sieht ihn und seine Regierung in der Pflicht, die Verantwortung für die Folgen des Terroranschlages vom 7. Oktober zu übernehmen. Zu viele Fragen sind offen – niemand hält es für glaubwürdig, dass die am besten ausgestatteten Geheimdienste der Welt diesen Angriff nicht kommen sahen. Darüber hinaus versteht keiner, dass die vielleicht am besten gesicherte Grenze der Welt so leicht zu überwinden war und dass hinter der Grenze alle Schutzmechanismen und alle Sicherheitskräfte versagten. Israel-Insider führen aus, dass es undenkbar ist, dass das Musikfestival, wo 260 junge Menschen sinnlos abgeschlachtet wurden, nicht von Soldaten und Polizisten geschützt wurde.
Um es sehr vereinfacht auszudrücken: rund um diesen Terroranschlag „stinkt“ alles. Die einen sagen False Flag, die anderen Deep State, wieder andere sagen, der Angriff wurde geduldet, damit man eine Gelegenheit zum Gegenschlag und zum Krieg gegen den Iran hat. Nicht gänzlich außer Acht zu lassen ist dennoch menschliches Versagen, wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit. Ob wir je die Wahrheit erfahren, ist fraglich – bei vielen anderen traumatisierenden Ereignissen der Menschheitsgeschichte wie 9/11 ist nicht einmal ein Bruchteil der Wahrheit aufgeklärt worden. Fest steht, dass es auf der Seite Israels auf vielen Ebenen massives Versagen gegeben haben muss, dass dieser Anschlag möglich war und so viele Leben kostete. Dabei darf man nicht übersehen, dass dieses Versagen auch in Israel gerade auf breiter Ebene diskutiert wird. Gerade erst wurde die Umweltschutzministerin aus einem Krankenhaus gejagt, wo sie Opfer besuchen wollte. Wer die Regierung Israels blind mit der Bevölkerung des Landes oder gar „den Juden“ gleichsetzt, macht es sich zu leicht.
Nun verlässt aber das offizielle Israel inmitten von Trauer, Hass, Angst, Wut, Verzweiflung und vielen anderen Gefühlen immer mehr den Pfad der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Man will Feuer mit Feuer bekämpfen. Der Gazastreifen ist tatsächlich weitgehend vom Wohlwollen Israels abhängig, was die Versorgung mit Strom, Wasser und auch Lebensmitteln betrifft. Hier könnte man natürlich die Frage stellen, weshalb das so ist – und man wird rasch auf die Antwort stoßen, dass eben nicht Israel daran schuld ist, dass Milliardenhilfen der ganzen Welt lieber in Millionärsvillen verprasst oder für Waffen und Terrortunnel ausgegeben werden, anstelle eine ordentliche und nachhaltige Infrastruktur zu errichten. Das ist aber ein schwacher Trost für die Menschen in Gaza, die nicht nur unter ihrer eigenen islamistischen Regierung leiden, sondern nun den vollen Zorn des offiziellen Israels zu spüren bekommen.
Das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung ist ein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Der gesamte Paragraph 11 des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs ist hier relevant. Und im Grunde genommen hat die israelische Regierung angekündigt, gegen jeden einzelnen Punkt davon verstoßen zu wollen:
Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) § 11 Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung
(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt
- mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen richtet, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen,
- mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten,
- mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht,
- eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Schutzschild einsetzt, um den Gegner von Kriegshandlungen gegen bestimmte Ziele abzuhalten,
- Das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung einsetzt, indem er ihnen die für sie lebensnotwendigen Gegenstände vorenthält oder Hilfslieferungen unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht behindert,
- als Befehlshaber anordnet oder androht, dass kein Pardon gegeben wird, oder
- einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei meuchlerisch tötet oder verwundet,
Der Angriff der „Palästinenser“ sowie das Verhalten bis jetzt verstößt klar gegen viele dieser Punkte. Doch rechtfertigt dies, dass man als solchermaßen Überfallener selbst alle moralischen Maßstäbe über Bord wirft? Die Hamas hat, wenn man das deutsche Völkerstrafgesetzbuch heranzieht, gegen die Punkte 1,2,3,4,6 und 7 verstoßen. Israel hat von höchster Ebene aus deklariert – und teilweise schon durchgeführt – zumindest gegen die Punkte 1,2,3,5 und 6 zu verstoßen.
Wie aber kann man für sich in Anspruch nehmen, selbst ein Mensch zu sein, der nach hohen Maßstäben lebt und handelt, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit respektiert, wenn die höchsten Politiker ohne Scham und völlig offen zum Gesetzesbruch aufrufen? Es ist auf keiner Seite zu bejubeln, wenn die Zivilbevölkerung zum Ziel der Stellvertreterkriege dunkler Hintermänner wird. Wichtig ist aber, dass man in der Beurteilung der Vorgänge das richtige Maß findet. Es sind eben nicht „die Juden“ daran schuld, wenn diese Kriegsverbrechen großflächig begangen werden – sondern deren aktuelle Regierung. Es gibt auf beiden Seiten der Grenze genügend Menschen, die nur in Ruhe und Frieden leben wollen.
Und eine weitere Sache darf man nicht vergessen. Die Jugendlichen im Gazastreifen werden – finanziert durch die EU, die USA und die UN – bereits in den ersten Lebensjahren verhetzt und zu Mord und Totschlag indoktriniert. Wenn sie in der Realität aber keine Gewalt und Brutalität erfahren würden, könnten manche von ihnen diesen falschen Weg hinterfragen. Wenn jetzt aber brutalste, ziellose, willkürliche Intensivgewalt gegen 2 Millionen (oder mehr) Menschen ausgeübt wird, wird diese Todfeindschaft weitere Generationen bestehen bleiben. Die angeblich so erhabene westliche Demokratie wird jeden Funken an Glaubwürdigkeit verlieren und für die Gegenseite ganz gewiss nicht erstrebenswert sein, wenn man alle Prinzipien über Bord wirft.