Mit freundlichen Worten und geopolitischem Kalkül sichert sich Brüssel Zugriff auf Islands strategische Position. Ursula von der Leyen umgarnte Premierministerin Kristrún Frostadóttir. Wird die nordatlantische Insel ein neuer Vorposten gegen Russland?
Ursula von der Leyen besuchte vor wenigen Tagen das NATO- und EFTA-Mitglied Island, um dort – so die offizielle Verlautbarung – über eine engere Kooperation in Sicherheits- und Verteidigungsfragen zu sprechen. Doch hinter Formulierungen wie “Partnerschaft” und „Resilienz“ verbirgt sich ein klares geopolitisches Kalkül. Es geht nämlich darum, die spärlich besiedelte Insel in den Sog von Aufrüstung und Konfrontation mit Russland zu ziehen.
Während ihrer Rede auf dem NATO-Stützpunkt Keflavík betonte von der Leyen Islands “entscheidende Rolle” in der nordatlantischen Verteidigung. Der Ort war dabei gut gewählt: Die ehemalige US-Luftwaffenbasis ist ein Überbleibsel des Kalten Krieges – und ist nun angesichts der anhaltenden Spannungen mit Moskau offensichtlich wieder gefragt. Der neue “Security and Defence Partnership”-Deal, den die EU mit Island verhandelt, ist nichts anderes als ein Einstieg in die formelle Einbindung Islands in die militärstrategischen Strukturen der Europäischen Union.
Mehr noch verlässt Reykjavik damit den bisherigen Kurs der relativen Neutralität (welchen man trotz NATO-Mitgliedschaft bislang aufrecht erhielt), um sich sicherheitsstrategisch stärker der EU anzunähern. Wie schon in anderen Fällen dient der Begriff “hybride Bedrohungen” als politischer Hebel. Gemeint ist alles und nichts: Cyberangriffe, Desinformation, kritische Infrastruktursabotage. Auf dieser schwammigen Grundlage werden Milliardenprogramme wie “SAFE” auf den Weg gebracht – ein 150-Milliarden-Euro-Projekt zur sicherheitspolitischen Koordination innerhalb der EU, das nun auch Island einbinden soll. Zugang zu Satellitennetzwerken wie Govsatcom und IRIS2 inklusive. Island soll damit stärker unter strategische Kontrolle Brüssels gelangen – und damit zur erweiterten Frontlinie gegen Russland.

Wie üblich durfte jedoch auch der mittlerweile ganz alltägliche Klimawahn nicht fehlen. Von der Leyen sprach in Island von den “dramatischen Folgen des schmelzenden Eises” und der Notwendigkeit, gemeinsam mit Island die sogenannte “Klimaresilienz” zu stärken. Dabei ist offensichtlich, dass der angebliche Klimafokus vor allem ein diplomatisches Feigenblatt für machtpolitische Interessen ist. Doch gleichzeitig machte von der Leyen deutlich, dass Brüssel nicht mehr nur auf Diplomatie, sondern auch auf militärische Präsenz setzt. Und das auf einer Insel, die sich selbst entmilitarisiert hat, um trotz NATO-Mitgliedschaft eine gewisse Neutralität zu wahren.
Island wird in den kommenden Jahren vermehrt zur Drehscheibe für militärische Manöver, Überwachung und Kommunikation avancieren. Die geostrategische Lage – zwischen Grönland, Großbritannien und Norwegen – ist schlichtweg einfach zu wertvoll, um von den Brüsseler Strategen nicht genutzt zu werden. Die Rede von gleichberechtigter Partnerschaft ist dabei auch nur eine Illusion. Was soll die rund 400.000 Einwohner zählende Nation der ungleich mächtigeren EU auch entgegensetzen?
