Am Freitag hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass bei Asylanträgen von afghanischen Frauen nur deren Geschlecht und Staatsbürgerschaft berücksichtigt werden müssen, um in einem EU-Land als „Flüchtling“ anerkannt zu werden. Es muss bei der Prüfung der Asylanträge nicht festgestellt werden, dass ihnen bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich Verfolgungshandlungen drohen. Dieses Urteil eröffnet über 20 Millionen Afghaninnen die Möglichkeit, Asyl in einem EU-Land zu erhalten.
Dem Urteil des EuGH liegen Vorlagefragen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) zugrunde. Dabei geht es um die Klagen von zwei Afghaninnen, die von den österreichischen Behörden nicht als Flüchtlinge anerkannt worden waren, ihnen war lediglich subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Dagegen hatten beide Berufung eingelegt und argumentiert, die Situation der Frauen unter der Taliban-Herrschaft in Afghanistan allein rechtfertige schon die Gewährung des Flüchtlingsstatus. Auch der österreichische Verwaltungsgerichtshof vertrat die Auffassung, dass die Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundrechte von Frauen hätte, da diese zahlreiche diskriminierende Maßnahmen eingeführt hätten.
So würden Frauen keine rechtlichen Mittel zur Verfügung gestellt, um Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt sowie Zwangsheiraten zu erhalten. Außerdem müssten sie ihren Körper vollständig bedecken und ihr Gesicht verhüllen, der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen würde ihnen erschwert, ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt und sie dürften einer Erwerbstätigkeit nicht oder nur in eingeschränktem Ausmaß nachgehen. Zudem würde der Zugang zu Bildung für Frauen eingeschränkt und sie würden auch vom politischen Leben ausgeschlossen. Der Gerichtshof hatte beim EuGH angefragt, ob die genannten Diskriminierungen insgesamt betrachtet als Verfolgungshandlungen eingestuft werden könnten und ob ein EU-Mitgliedsstaat einer afghanischen Frau allein aufgrund ihres Geschlechts Asyl gewähren könne. Beide Fragen wurden vom Europäischen Gerichtshof bejaht.
Der EuGH vertritt die Ansicht, dass Zwangsverheiratung und der fehlende Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt schon für sich genommen als Verfolgung eingestuft werden müsse. Zwangsverheiratung sei einer Form der Sklaverei gleichzustellen. Andere Maßnahmen wie die Pflicht, sich vollständig zu verhüllen sowie die Einschränkung des Zugangs zu Bildung, Beruf und ärztlicher Versorgung und der Ausschluss vom politischen Leben seien zusammengenommen auch Verfolgung. Somit würden afghanischen Frauen die mit der Menschenwürde verbundenen Grundrechte vorenthalten.
Der EuGH erklärte, unter den gegebenen Umständen sei es nicht erforderlich, im Rahmen des Asylverfahrens die Situation einer Asylantragstellerin aus Afghanistan zusätzlich daraufhin zu prüfen, ob ihr bei einer Rückkehr „tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen“ drohten. Es genüge, lediglich ihre Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht zu berücksichtigen. Das österreichische Gericht ist nun bei seinen Entscheidungen zu den beiden Klagen an die Rechtsauffassung des EuGH gebunden.
Die Entscheidung des EuGH, dass alle afghanischen Staatsbürgerinnen, die einen Asylantrag stellen, in den europäischen Staaten als Flüchtlinge anerkannt werden müssen, unabhängig von ihrer individuellen Situation, könnte weitreichende Folgen haben. So könnte sich die Anzahl der Asylanträge von Afghaninnen deutlich erhöhen. In Afghanistan leben schätzungsweise 20 Millionen Frauen, die nun in der EU einen Asylantrag stellen könnten, der nicht abgelehnt werden darf. Angehörige können dann über den Familiennachzug in die EU nachgeholt werden.
Der AfD-Sozialpolitiker René Springer äußerte auf X scharfe Kritik an dem Urteil des EuGH:
„Afghanische Frauen haben Anspruch auf Asyl, nur weil sie Frauen sind. Über Familiennachzug können dann ALLE Angehörigen nachkommen. Eine gesichtslose Bürokratie entscheidet hier über das Schicksal unserer Zivilisation. Diese EU muss sterben, damit Deutschland leben kann.“
Offen bleibt bislang, ob eine formelle Identifizierung als Frau nicht auch gleich allen afghanischen Männern die Pforten in die EU öffnen könnte…