Der deutsche Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier erklärt im Interview seine Enttäuschung über die Justiz und spricht über die Schikanen, denen das Pflegepersonal ausgesetzt war: „Ich habe das tatsächlich als Arschtritt für die gesamten Mitarbeiter bezeichnet, die während dieser ganzen Zeit die Gesundheitsversorgung mit aufrechterhalten haben“
Ein Interview von Aurora Peregrine
Seit 2003 ist Dirk Sattelmaier Rechtsanwalt in Köln. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hat sich seine Arbeit weitgehend verändert. Seither vertritt der gebürtige Kölner vermehrt Maßnahmenkritiker in Bußgeld-und Strafverfahren. Seine Erfahrungen im Umgang mit Maßnahmenkritikern haben seinen Glauben an die deutsche Justiz erschüttert. Als erster Vorsitzender in der Vereinigung Anwälte für Aufklärung war er unermüdlich um Aufklärung bemüht. Auf eigenen Wunsch trat er jedoch zurück, um sich wieder vermehrt seiner Anwaltstätigkeit zu widmen.
Sattelmaier hat den Schritt gewagt und ist mit seiner kritischen Meinung in die Öffentlichkeit gegangen. Zu Gast bei den unterschiedlichsten Sendeformaten führt er auch seinen eigenen Telegram-Kanal und informiert u.a. regelmäßig in seinem Format „Neues aus dem Gerichtssaal“
Im folgenden Interview gibt der renommierte Anwalt Antworten zu seiner persönlichen Einstellung der gesetzten Corona-Maßnahmen und klärt über die einrichtungsbezogene Nachweispflicht in Deutschland auf. Als Beispiel dafür spricht er über Karlsruhe im Bundesland Baden-Württemberg, in dem es zu insgesamt 803 Bußgeldverfahren für das Pflegepersonal kam, das sich gegen die Impfung aussprach.
Report24: Gab es einen Schlüsselmoment, warum Sie den Corona-Maßnahmen kritisch gegenüberstehen?
Dirk Sattelmaier: Bereits mit dem ersten Lockdown in Italien habe ich mich gefragt, was hier passiert. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es möglich war, das ganze Leben lahm zu legen und beschäftigte mich ziemlich früh mit den Gefahren, die mit den durchgeführten Maßnahmen einhergingen.
Report24: Wie können Sie sich erklären, dass so viele Anwälte dem Mainstream folgen und weniger auf der kritischen Seite stehen?
Es sind die Zeichen der Zeit, dass auch die Kollegen sehr mit ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit aufpassen müssen. Ich habe mich dennoch nach draußen gewagt. Es gibt, glaube ich, mehr kritische Anwälte als man denkt. Es ist eben gefährlich, sich öffentlich zu äußern. Vor allem in Deutschland ist das Risiko dafür sehr hoch.
In Karlsruhe gibt es 803 Bußgeldverfahren. Viele der Verfahren sind bereits abgeschlossen, einige noch offen. In den Medien wird in diesem Zusammenhang oft von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gesprochen. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Nachweispflicht. Können Sie den Begriff kurz erläutern?
Der Gesetzgeber in Deutschland hat im Dezember 2021 das Infektionsschutzgesetz (IfSG) dahingehend geändert, dass gewisse Berufsgruppen in Einrichtungen eine sogenannte Nachweispflicht zu erfüllen hatten. Bis zum Stichtag, 15. März 2022, mussten sie ihrem Arbeitnehmer einen sogenannten Immunisierungs-Nachweis vorlegen. Das konnte ein Impf-Nachweis, ein Genesenen-Zertifikat oder ein Impfbefreiungsattest sein. Auf dieser Basis konnten die Gesundheitsämter entscheiden, ob Betretungsverbote für die Arbeitsstätte ausgesprochen wurden. Auch ein Absehen der Sanktionen stand den Gesundheitsämtern offen. In einigen Bundesländern, wie zum Beispiel in Bayern, wurde diese Nachweispflicht gar nicht überprüft. In anderen Bundesländern wiederum wurden die Kontrollen dann peinlich genau durchgeführt.
Report24: Bekamen Personen mit einem Genesenen-Zertifikat ebenso Bußgelder verhängt wie jene, die mitteilten, dass sie sich nicht impfen lassen?
Ja. Ich habe so einen Fall in Karlsruhe betreut. Meine Mandantin hatte einen EU zertifizierten Genesenen-Nachweis mit der Gültigkeitsdauer von sechs Monaten vorgelegt. Der deutsche Gesetzgeber hatte allerdings in demselben Gesetz die Gültigkeit des Zertifikates auf drei Monate beschränkt. Die Dauer von drei Monaten des Zertifikates meiner Mandantin war damals aber abgelaufen. Am Ende teilte die Richterin mit, dass sie an dem Wortlaut des Gesetzes nicht vorbeikönne.
Report24: Wie ist das Verfahren ausgegangen?
Nach einem Bußgeld von EUR 350,00 kam es nach dem Einspruch zu einem Gerichtsverfahren. Die Richterin hat daraufhin das Bußgeld auf EUR 200,00 herabgesetzt. Die Höhe des Betrages führt dazu, dass ein Rechtsmittel nur unter engen Voraussetzungen erhoben werden kann, da Bußgelder bis zu EUR 250,00 vom Gesetzgeber grundsätzlich als Bagatelle eingestuft werden.
Report24: Der einrichtungsbezogene Nachweispflicht endete Ende 2022. Bleiben die Bußgeldverfahren nach wie vor bestehen?
Das Gesetz lief zum 31.12.2022 aus. Hier drohen keine weiteren Sanktionen zum Betretungsverbot. Die Bußgeldverfahren sind leider nicht eingestellt worden. Das Problem hierbei ist folgendes: Nach der Änderung des IfSG hat der Gesetzgeber ein Bußgeld angedroht und die Möglichkeit eröffnet, ein solches allein schon bei Nicht-Erbringung des Nachweises zu verhängen.
Es gab eine obergerichtliche Entscheidung in Niedersachsen, bei denen die Gesundheitsämter den Menschen ein Zwangsgeld androhten, wenn sie keinen Impfnachweis vorlegen. Ein Zwangsgeld hat den Charakter, jemanden zu etwas zu zwingen. Das OVG Niedersachsen wandte dagegen ein, da es sich nicht um ein Gesetz zur Impflicht handele, sondern um ein Gesetz, den geforderten Nachweis zu erbringen. Die freiwillige Entscheidung zur Impfung darf aber nicht angetastet werden!
Buß- und Zwangsgelder haben jedoch den gleichen Druck zur Folge. Man muss dieses Gesetz daher meines Erachtens grundrechtskonform auslegen. Denn die freiwillige Entscheidung hätte weiterhin bestehen bleiben müssen, ohne dass ein Bußgeld angedroht bzw. verhängt werden darf! Meines Wissens ist es einmalig in der Nachkriegsgeschichte der BRD, dass jemand ohne bestehende Impfpflicht deswegen mit einem Bußgeld belegt werden konnte, weil er keinen Nachweis einer Impfung erbringt – das ist ein juristischer Teufelskreis.
Report24: Wie lässt sich diese unterschiedliche Auslegung des IfSG in den Bundesländern erklären?
Im Bußgeldverfahren gibt es das sogenannte Opportunitätsprinzip. Bußgelder können, müssen aber nicht eingeleitet werden. Von Letzterem machten viele Gesundheitsämter Gebrauch. Es ging bei dem Gesetz um die Beibringung von Unterlagen, die der Behörde zur weiteren Entscheidung dienen sollten. Bußgelder haben nicht unbedingt eine Sühne-Funktion wie die Strafe, sondern vor allem einen Regelungs- und Erziehungscharakter, im Sinne von „Mach das nicht noch einmal“. In diesem Punkt des Gesetzes sehe ich die Verfassungswidrigkeit. Eine Überprüfung erreicht man aber nur vor dem Oberlandesgericht, von dort aus zum Bundesverfassungsgericht und am Ende womöglich zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
In Karlsruhe gibt es ein städtisches Klinikum, das durch eine städtische g-GmbH betrieben wird. Dieses Klinikum verfasste eine Unabkömmlichkeitsbescheinigung. Darin wurde den ungeimpften Arbeitnehmern bescheinigt, dass sie unabkömmlich sind, da ohne sie eine Sicherstellung der Gesundheitsversorgung nicht möglich gewesen wäre. Der Arbeitgeber, die Stadt Karlsruhe, hat durch das Ordnungsamt diesen Mitarbeitern dann dennoch ein Bußgeld verhängt.
Gemäß dem Opportunitätsprinzip hätte die Stadt Karlsruhe dies jedoch nicht tun müssen. Ich habe das tatsächlich – bitte entschuldigen Sie den plakativen Ausdruck – als „Arschtritt“ für die Mitarbeiter bezeichnet, die während dieser ganzen Zeit die Gesundheitsversorgung mit aufrechterhalten haben. Ich habe der Richterin damals auch gesagt: „Wenn die Gesundheitsversorgung in Karlsruhe so auf Messers Schneide stand, hätten Sie dann gewollt, dass diese Menschen nicht arbeiten und wären Sie dann gerne krank geworden? Ich nicht.“
Report24: Haben Sie darauf eine Antwort erhalten?
Nein.
Report24: Was würden Sie den Betroffenen empfehlen, die sanktioniert wurden?
Sich selbstbewusst vor das Gericht zu stellen und zu fragen: „Was habe ich denn falsch gemacht? Was werfen Sie mir vor? Dass ich mich nicht habe impfen lassen? Das Gesetz sieht schon in der Begründung durch den Gesetzgeber vor, dass meine Impfentscheidung nicht angetastet werden darf. Wo kann man mir etwas vorwerfen?“ Dann würde ich noch hinzufügen: „Ich habe trotzdem weitergearbeitet, um auch Ihre Gesundheitsversorgung sicherzustellen“
Report24: Gibt es eine Anlaufstelle für die Betroffenen Personen im Pflegebereich?
Nein. Ich persönlich wünschte mir ein Verfahren, um die sogenannte Rechtsbeschwerde vor dem zuständigen Oberlandesgericht durchführen zu können, wenn das Bußgeld höher ausgeteilt wird als EUR 250,00, also Minimum EUR 251,00. In diesen Fällen muss ein Rechtsbeschwerdeverfahren vom OLG durchgeführt werden.
Report24: Angesichts der gesamten Missstände der letzten drei Jahren: Was hat Sie am meisten enttäuscht?
Das mangelnde Verständnis der Justiz für Menschen, die möglicherweise eine andere Meinung haben. Das nahm schlimme Züge vor Gericht an. Hierzu ein Beispiel: In Deutschland gibt es vor Gericht ein Vermummungsverbot im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Trotzdem gab es diese Maskenpflicht. In zwei Fällen wurde mir angedroht, dass ich unter Zwang des Saales verwiesen werde, wenn ich denn die Maske nicht anziehen bzw. abnehmen würde. Das war mein persönlich erlebter Tiefpunkt. Denn in dem Gerichtsverfassungsgesetz kann der Verteidiger gar nicht mit Ordnungsmaßnahmen belegt werden. Denn das ist die letzte Bastion für den anklagenden Mandanten gegenüber der Macht des Staates. Ich habe beide Male nachgegeben, da ich meine Mandanten nicht alleine lassen wollte.
Report24: Was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft?
Zum einen, dass teilweise den „fiesen Kritikern“ der letzten Jahre nun immer mehr Recht gegeben wird und die Zeit dahingehend arbeitet, dass die Dinge aufgearbeitet werden. Von der Justiz, wie ich sie derzeit erlebe, erwarte ich nicht viel. Am meisten Hoffnung gibt mir die Jugend, die hoffentlich irgendwann anfängt zu fragen: „Was habt ihr damals gemacht?“
Weiterführende Links:
Vereinigung Anwälte für Aufklärung
Rechtsanwälte für Grundrechte Österreich