Es war der WELT in ihrer Samstagsberichterstattung immerhin eine kurze Randnotiz wert, mittlerweile ist der Bericht nur noch durch gezielte Suche zu finden: Union und SPD diskutieren zwischenzeitlich die erneute Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite und damit einhergehend mindestens 3 weitere Monate Zwangsmaßnahmen und verfassungswidrige Grundrechtseinschränkungen. Der Aufschrei in den Medien bleibt aus.
Zwar ist der Bundestag derzeit in der Sommerpause, man bemühte sich aber stets den Eindruck aufrecht zu erhalten, man hätte die Lage absolut unter Kontrolle. Der Bundestag sei jederzeit handlungsbereit und könne kurzfristig zusammenkommen und Gesetze beschließen. Und das hat man offenbar auch vor. Im Gespräch sind unter anderem noch schärfere Einreisebestimmungen – und altbekannte Maßnahmen, die möglicherweise schon in Kürze wieder in Kraft treten könnten.
Reisefreiheit schon jetzt faktisch abgeschafft
Wer von schärferen Einreisebestimmungen spricht sollte sich vorab bewusst machen: Die Reisefreiheit, wie wir sie mal kannten, existiert schon lange nicht mehr. Die Europäische Union zeichnete sich unter anderem durch grenzkontrollfreies Reisen ohne Bedingungen aus, ein für alle spürbarer Vorteil der Staatengemeinschaft. In Verbindung mit dem Schengener Abkommen war es möglich, im Nachbarland einzukaufen, ebenso unproblematisch war tägliches Berufspendeln über Staatsgrenzen hinweg. Diese Zeiten sind längst vorbei, die bedingungslose Reisefreiheit zwischen den Staaten der EU ist vollständig außer Kraft gesetzt. Für einen EU-Grenzübertritt sind heute umfangreiche Bedingungen zu erfüllen, das Problem: Sie variieren von Land zu Land. In der Regel ist der Nachweis einer vollständigen Impfung gegen SARS-CoV2 zu erbringen oder alternativ ein negativer Antigen- oder PCR-Test. Dieser darf dann wahlweise maximal 48 Stunden alt sein, in anderen Fällen 24 Stunden, oder er muss gar tagesaktuell sein.
Regelwahn führt zu Unverständnis und Ablehnung unter Bürgern
Dieser Einreise-Regel-Irrsinn führte in Ostdeutschland vergangenes Jahr zu einer besonders bizarren Situation: Für Menschen mit Wohnsitz im Bundesland Brandenburg, die teilweise in direkter Grenznähe zu Polen leben (beispielsweise in der Stadt Frankfurt/Oder), galt bei Rückkehr aus Polen eine unbedingte Quarantänepflicht. Der Kurztrip über die Grenze zum Einkaufen oder Freunde besuchen wurde damit faktisch unmöglich. Wer aber aus dem 70km entfernten Berlin die Reise durch Brandenburg zum Grenzübergang Frankfurt/Oder antrat und nach Słubice in Polen einreiste, durfte auf Grund anderslautender Regelungen des Berliner Senats ohne anschließende Zwangsquarantäne nach Deutschland zurückkehren. Der rot-rot-grüne Senat bemühte sich seinerzeit, diese „Schlupflöcher“ anzumahnen: Das Verlassen der Wohnung sei für Berliner Bürger auf Grund einer ganztägigen Ausgangssperre im Stadtgebiet ohnehin nicht gestattet gewesen, ein Einkaufstrip nach Polen sei kein „triftiger Grund“, die Wohnung zu verlassen.
Ausnahmezustand mehrfach verlängert – trotz Ende der Corona-Saison
Die epidemische Lage von nationaler Tragweite, der faktische Ausnahmezustand, wurde zuletzt am 11. Juni 2021 um weitere 3 Monate verlängert, es war die vierte Verlängerung. Sie gewährt der Regierung weitreichende Machtbefugnisse. Gemäß einer Gesetzesänderung aus März 2021 enden die Zwangsverordnungen nach 3 Monaten automatisch, eine Verlängerung müsste durch Mehrheitsbeschluss festgestellt werden (Report24 berichtete). Ein Antrag der FDP auf „geordnete Beendigung“ der epidemischen Lage wurde durch den Bundestag unter Beteiligung aller Fraktionen – und der Enthaltung der Fraktion „Die Linke“ – abgelehnt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzte zum Bewertungszeitpunkt die Gefährdung der Bevölkerung als hoch ein, die Risikobewertung sei am 1. Juni 2021 von „sehr hoch“ auf „hoch“ angepasst worden. Die weitreichenden und grundrechtseinschränkenden Maßnahmen wurden verlängert, obwohl sich schon damals andeutete, was heute wissenschaftlicher Konsens ist: Der SARS-CoV2 Erreger verbreitet sich saisonal in den Zeiten, in denen auch Influenzaviren zirkulieren – und damit nicht im Sommer.
Steigende „Fallzahlen“ als Rechtfertigung für erneute Verlängerung
Wie die WELT berichtet bereiten sich Union und SPD nun auf die nächste Verlängerung der Pandemie-Ausnahmesituation vor, gerechtfertigt werden die Pläne mit den „steigenden Fallzahlen“. „Wenn wir bundesweit ein hohes Infektionsgeschehen haben, wäre eine Verlängerung der epidemischen Lage durchaus gerechtfertigt“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Auch von Seiten der Union zeigt man sich sehr offen für eine weitere Verlängerung, eine Entscheidung hinge aber „von der Inzidenz, von der Impfquote, von der Hospitalisierungsquote und von der Frage ab, inwieweit ansteckende Mutationen zu einer Gefährdung des Gesundheitssystems führen“, so Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU).
Normalität in weiter Ferne – es wird immer eine neue Mutanten geben
Ob tatsächlich abseits des Inzidenzwertes weitere Bewertungsgrundlagen in Betracht gezogen werden sollen, darf zumindest begründet bezweifelt werden – bislang ist der einzige Richtwert der Regierung der 7-Tage-Inzidenzwert. Auch der Hinweis auf möglicherweise neu auftretende Mutationen zeigt, man ist nicht gewillt, zur Normalität zurückzukehren.
Bei der als indische Mutation bekannt gewordenen Delta-Variante des Coronavirus (B1.617) stellte man zwischenzeitlich fest, die typischen Symptome ähneln mehr einer klassischen Erkältung: „Die Information, die wir aus Großbritannien und Europa sowie ersten Umfragen in den USA erhalten, ist, dass die Delta-Virus-Infektion eher Symptome zu produzieren scheint, die einer typischen Erkältung ähneln. Es handelt sich um Halsschmerzen, einen milden Husten und eine verstopfte Nase“, so William Powderly, US-Forscher für Infektionskrankheiten, gegenüber dem Nachrichtenportal Huffington Post. Diese belegbaren Fakten halten den „Gesundheitsexperten“ Karl Lauterbach (SPD) indes nicht davon ab, vor der Gefährlichkeit der indischen Mutation zu warnen – selbstverständlich, ohne dafür Belege anzuführen.
Verschärfung der Einreiseregeln geplant: Noch mehr Regeln und Pflichten
Die ohnehin bereits scharfen Einreiseregeln sollen noch weiter verschärft werden. Aktuell wird hauptsächlich an Flughäfen kontrolliert ob Einreisende geimpft oder den Regeln entsprechend getestet sind und entsprechende Nachweise mit sich führen. Wer aber mit dem Auto, der Bahn oder zu Fuß einreist, falle in der Regel durchs Raster. „Bei der Infektionsbekämpfung darf es keinen Unterschied machen, ob Sie mit dem Auto, dem Flugzeug oder der Bahn kommen“, so der CDU-Mann Frei. In Regierungskreisen wird diskutiert, auch die Einreise per Auto, Bahn und zu Fuß der Flugreise gleichzustellen und Impf- bzw. Testnachweise für jedermann zu jederzeit zu fordern. Der Vorsitzende der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, wies Verantwortung für die Durchführung derartiger Kontrollen am Samstag in der WELT schnell von sich: „An der Grenze haben Sie alle paar Hundert Meter Feldwege. Das lässt sich mit stichprobenartigen Kontrollen nicht überprüfen.“
„7-Tage-Inzidenzwert“ ungeeignet als Grundlage für weitere Maßnahmen
Die Bundesregierung hält weiterhin am 7-Tage-Inzidenzwert als einzigen betrachteten Wert und Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung der Maßnahmen fest. „Inzidenz“ leitet sich vom lateinischen Wort „incidere“ ab und lässt sich mit „vorfallen“ oder „sich ereignen“ übersetzen. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich beim Inzidenzwert lediglich um die Anzahl von Testpositiven, die pro 100.000 Einwohner innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums, in diesem Fall 7 Tage, an das Robert-Koch-Institut durch die Gesundheitsämter übermittelt wurden. Der Inzidenzwert sagt also nichts aus über eine mögliche tatsächliche Erkrankung der positiv Getesteten, auch berücksichtigt dieser Wert nicht die Anzahl der Verstorbenen oder der Krankenhauseinweisungen in Verbindung mit SARS-CoV2. Die Auslastung der Intensivstationen ist in diesem Wert ebenfalls nicht abgebildet, somit ist der Wert für die Beurteilung der Lage und zur Begründung einer Verlängerung von Maßnahmen gänzlich ungeeignet.
Die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen teilte am Freitag über den Mikroblogging Dienst Twitter mit, es gelten ab Montag landesweit wieder verschärfte Regeln auf Grund der nun erreichten Inzidenzstufe 1. Die Maskenpflicht wird wieder ausgeweitet, die Kundenzahl im Einzelhandel begrenzt, Kontaktnachverfolgung wird wieder verpflichtend und Volksfeste, größere Tagungen und der Betrieb von Discotheken und Clubs sind wieder untersagt. Es ist davon auszugehen, dass die Maßnahmen in den kommenden Wochen auch bundesweit weiter verschärft werden – ob dafür durch die Verantwortlichen eine legitime Begründung vorgewiesen werden kann, bleibt abzuwarten.