Bis zur Aufklärung wurden Frauen in Europa als „Hexen“ verurteilt und hingerichtet. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei – doch Rufmorde erfolgen heute nach genau demselben Muster. Erkennen wir eine Massenhysterie, bevor es zu spät ist?
Eine “Verschwörungstheorie” von damals. Die Hexe war der klassische Sündenbock. Sie war die Projektionsfläche für die kollektiven Ängste einer unaufgeklärten Gesellschaft. Im Vergleich zu heutigen Formen der sozialen Ausgrenzung gibt es erschreckende Parallelen.
Hätten Sie‘s gewusst?
- Die Hauptanklage gegen vermeintliche Hexen war die Manipulation des Wetters (Stichwort: Klimasünder)
- Wer eigenständig dachte und lautstark seine Meinung vertrat, wurde eher verdächtigt, eine Hexe zu sein (Stichwort: Querdenker)
- Die Hälfte aller Hexenprozesse in Europa – rund 25 000 – fanden im deutschsprachigen Gebiet statt.
- Der Großteil der Hexenprozesse wurde nicht im „finsteren Mittelalter“, sondern in der frühen Neuzeit durchgeführt.
- Die Hexenprozesse waren nicht der kirchlichen Inquisition, sondern weitgehend weltlichen Gerichten unterstellt.
Im späten Mittelalter entwickelte sich eine Vorstellung, die Europa für Jahrhunderte prägen sollte: die Idee einer geheimen Gruppe von Menschen, die angeblich im Bunde mit dem Teufel standen. Diese „Hexen“ wurden mit bizarren Zuschreibungen überzogen. Sie sollten Sex mit Dämonen haben, auf Besen durch die Nacht fliegen, an geheimen Treffen teilnehmen und durch Magie Schaden anrichten.
Schon damals diente das Konstrukt der Hexe weniger der Beschreibung realer Handlungen als vielmehr der Ausgrenzung. Jedes Verhalten, das als normabweichend empfunden wurde, konnte zum Verdachtsmoment werden. Häufig reichte auch einfach nur Neid und Missgunst, um eine Dorfbewohnerin als Hexe zu brandmarken. Der Hexenwahn war ein sozialer Mechanismus, um Menschen nicht nur zu diffamieren, sondern buchstäblich zu verteufeln.
Eine der letzten Frauen, die in Europa der Hexerei beschuldigt und hingerichtet wurden, war die Schweizerin Anna Göldi. Sie arbeitete als Dienstmagd für einen wohlhabenden Arzt und Richter. Als möglicher Hintergrund der Anklage gilt eine Affäre mit ihrem Dienstherrn. Trotz Zensur rief der Prozess gegen Göldi im Jahr 1782 über die Schweizer Landesgrenzen hinaus öffentliche Empörung hervor.
Parallelen zur Gegenwart
Wer glaubt, Hexenjagden seien nur ein Relikt alter Zeiten, der irrt. Auch heute begegnen wir ähnlichen psychosozialen Mustern – wenn auch in neuem Gewand. Verschwörungsfantasien über „Wissenschaftsleugner“, „Esoteriker“ oder „Rechtsextreme“ dominieren mittlerweile politische Debatten und soziale Medien. Wie einst den Hexen werden auch heute bestimmten Gruppen irrationales Denken und zerstörerische Absichten unterstellt.
Andersdenkenden wird moralische Minderwertigkeit zugeschrieben, die Kommunikation mit ihnen verweigert, ihre Ausgrenzung gerechtfertigt. So wie vor 500 Jahren der Hexenglaube den sozialen Zusammenhalt durch ein gemeinsames Feindbild – kurzfristig – stabilisierte, dienen auch heutige Sündenböcke dazu, die Deutungshoheit über die Massen zu bewahren.
Schauprozesse gegen Hexen finden aber nicht mehr auf Marktplätzen statt, sondern im digitalen Raum. Ein unbedachtes Zitat, eine missliebige Meinung, ein nicht konformes Verhalten – und schon rollt der Shitstorm. „Cancel Culture“ verdrängt unliebsame Stimmen aus dem öffentlichen Raum. Wer als „politisch unkorrekt“ gebrandmarkt wird, verliert mitunter seinen Arbeitsplatz oder seine soziale Existenz.
‘People who menstruate.’ I’m sure there used to be a word for those people. Someone help me out. Wumben? Wimpund? Woomud?
— J.K. Rowling (@jk_rowling) June 6, 2020
Opinion: Creating a more equal post-COVID-19 world for people who menstruate https://t.co/cVpZxG7gaA
Ein faszinierendes Beispiel, über das selbst die härtesten Inquisitoren nur den Kopf geschüttelt hätten: Im Juni 2020 wurde die rothaarige Fantasy-Autorin J. K. Rowling von einem Online-Mob als „transphob“ denunziert, weil sie an die reale Existenz von Frauen glaubt. Einige Transgender-Fans erklärten, sie würden ihre Bücher aus Protest nicht mehr lesen. Prominente Menschenrechtsaktivisten äußerten öffentlich ihre Enttäuschung über Rowlings persönliche Ansichten. Im Internet blieb es nicht bei Beleidigungen – Trolle richteten sogar Morddrohungen gegen sie. Bemerkenswert ist dabei nicht nur die Absurdität der Anschuldigungen, sondern auch, wie leicht Ausgrenzung und Diffamierung einer Person heute per Mausklick geschehen.
Ein wiederkehrendes Muster
Besonders brisant: Im Namen des Kampfes gegen „Hass und Hetze“ entstehen neue Formen von Hass. Online-Foren und soziale Netzwerke, die Toleranz propagieren, verwandeln sich zu Schauplätzen hemmungsloser Aggression. Die Feindbilder, die dort medial geschürt werden, haben reale Folgen – wie etwa in dokumentierten Fällen von impfskeptischen Lehrern, Ärzten und Richtern. Sie haben ihre berufliche Existenz verloren, weil sie das politisch gewollte Narrativ infrage stellten.
Ob Hexenprozesse oder Shitstorms – das Muster ist dasselbe. Es geht in erster Linie nicht um ein moralisches „Vergehen“ des Einzelnen, sondern um die Besänftigung einer verunsicherten Gemeinschaft. Im Kern geht es um Macht und die Kontrolle über die öffentliche Meinung. Derjenige, der bestimmt, wer als Teil der Gemeinschaft gilt und wer ausgeschlossen gehört, herrscht über die Gesellschaft. Die Macht der Masse wird gezielt dafür eingesetzt, gesellschaftliche Feindbilder zu entwickeln und zu pflegen. So gesehen sagen Dämonisierungen weniger über die angeblichen „Hexen“, „politisch Unkorrekte“ oder „Verschwörungstheoretiker“ aus, als über die Ängste und Interessen jener, die diese Bilder produzieren.
Die Geschichte lehrt: Sündenbock-Mechanismen lösen keine Konflikte – sie erzeugen sie. Dabei können sie massiven, irreparablen Schaden anrichten. Die Frage ist nicht, ob wir solche Mechanismen je vollständig überwinden können, denn sie sind die Folge des Massenwahns – ein grundlegendes Phänomen, das in immer neuen Formen wiederkehrt. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Lassen wir uns so blenden, dass wir selbst Teil einer aufgebrachten Masse werden?
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