Hat Deutschlands Staatsoberhaupt ein Problem mit der Demokratie?

Bild: Rabenspiegel / Pixabay

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) blies in seiner Rede zum 9. November zum Angriff auf die Opposition und forderte das Hochhalten der Brandmauer. Ein Parteiverbot wäre ebenso wenig undemokratisch wie der Ausschluss von Personen von Wahlen, befand er. Wen er damit meinte, war auch ohne direkte Nennung überdeutlich. Aus der AfD wirft man Steinmeier nun Amtsmissbrauch vor; Julian Reichelt bezeichnete ihn als “Fall für den Verfassungsschutz”. Auch unser Gastautor findet: Dem Amt des Bundespräsidenten und dem Vertrauen in die Demokratie wird durch derartige Agitation schwer geschadet.

Ein Gastkommentar von K. F.:

Diese Stunde ist eine Bewährungsprobe für die Demokratie. Der Satz des Bundespräsidenten, wonach niemand Richter, Lehrerin oder Soldat sein könne, der sich gegen den freiheitlichen Kern der Verfassung stelle, ist als abstrakter Rechtsgrundsatz zutreffend. Er ist Ausdruck der wehrhaften Demokratie und verweist auf Pflichten, die im Beamtenrecht und im Soldatengesetz verankert sind. Entscheidend ist jedoch der Kontext. In einer Lage, in der große Teile der Öffentlichkeit seine Worte eindeutig einer bestimmten Partei zuordnen, kippt eine eigentlich richtige Formel in eine politisch fatale Botschaft. Ein Staatsoberhaupt, das nicht ausdrücklich zwischen allgemeinem Prinzip und konkreter Parteinennung trennt, sendet ein Signal der Vorverurteilung. Genau das schadet Vertrauen, Legitimation und Zusammenhalt.

Die Demokratie lebt von klaren Verfahren und von der Unterscheidung zwischen Kritik und Ausschluss. Über Parteien urteilen nicht Stimmungen und auch nicht Reden, sondern Gerichte und die Regeln des Grundgesetzes. Artikel 21 bestimmt die Hürden für ein Parteiverbot. Diese Hürden liegen bewusst hoch, denn Mehrheitsopinion soll nicht zur Waffe gegen Opposition werden. Beobachtungen durch Behörden sind kein Verbot. Disziplinarrechtliche Maßnahmen im öffentlichen Dienst verlangen sorgfältige Einzelfallprüfung. Wer in einer Spitzenrede beides vermischt, verschiebt die Wahrnehmung von der Ebene des Rechts auf die Ebene der Lager. Genau dort beginnt die Erosion demokratischer Kultur.

Die Rolle des Bundespräsidenten verlangt Mäßigung, Präzision und Einhegung. Er soll Räume öffnen, nicht schließen. Er soll Konflikte zivilisieren, nicht polarisieren. Wird der abstrakte Hinweis auf Verfassungstreue in einer aufgeheizten Debatte als Chiffre gegen eine konkrete Partei verstanden, entsteht der Eindruck eines staatlichen Blocks gegen politische Konkurrenz. Das beschleunigt Radikalisierungsschleifen. Menschen, die sich moralisch aus dem legitimen Spektrum herausdefiniert fühlen, wenden sich erst recht ab. Eine Demokratie, die Gegner integrieren will, darf ihre eigenen Symbole nicht als Bannspruch einsetzen.

Klarheit ist möglich, ohne die Überparteilichkeit des Amtes zu beschädigen. Eine kluge Rede hätte drei Sätze sauber getrennt. Erstens die nüchterne Feststellung, dass Beschäftigte des Staates Verfassungstreue schulden. Zweitens die Zusicherung, dass über jeden Eingriff rechtsstaatliche Verfahren entscheiden, und zwar im Einzelfall. Drittens die Einladung an alle demokratisch gewählten Kräfte, sich in offener Debatte messen zu lassen, ohne pauschale Etiketten und ohne moralische Kollektivurteile. So entsteht Autorität durch Gelassenheit und Verbindlichkeit durch Verfahren.

Ich widerspreche daher nicht dem Prinzip der Verfassungstreue. Ich widerspreche dem politischen Gebrauch einer Formel, die unter den Bedingungen der Gegenwart unausweichlich als Schlag gegen eine bestimmte Partei gehört wird. Solange keine gerichtliche Feststellung vorliegt, die eine Partei außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verortet, ist sie Teil des demokratischen Wettbewerbs. Diesen Wettbewerb schützt man nicht durch pauschale Exkommunikation, sondern durch offene Auseinandersetzung, strenge Rechtsbindung und faire Verfahren.

Ein Bundespräsident hat die stärkste Stimme, gerade weil sie nicht exekutiv ist. Wer diese Stimme so einsetzt, dass sie wie ein vorweggenommenes Verdikt klingt, beschädigt die neutrale Höhe des Amtes. Unsere Demokratie braucht in angespannten Zeiten weniger Pathos der Grenzziehung und mehr Ethos der Verfahrenssicherheit. Sie braucht das versöhnende Wort, das differenziert, wo andere zuspitzen, und das erinnert, dass der Souverän am Ende nicht die Deutung des Tages ist, sondern das Recht.

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