Hat der europäische Pinguin bis ins 20. Jahrhundert überlebt?

Bild: John James Audubon, Bird Artist of America. (1785 -1851) Public Domain

Der Name Pinguin erweckt Assoziationen mit lärmenden Vogelkolonien im Schnee und Eis der Antarktisküste wie man sie aus zahllosen Dokumentationen kennt. Was nur wenige wissen: diese Pinguine wurden nach Vögeln benannt mit denen die alten Seefahrern Europas von ihren Nordatlantikfahrten wohl vertraut waren. Die Tiere wurden von Wissenschaftler mit dem Namen Pinguinus impennis [1] bedacht, möglicherweise abgeleitet von pinguis was auf Latein fett oder dick [2] bedeutet und sich vermutlich auf das Unterhautgewebe dieser flugunfähigen Seevögel bezieht. Laut allgemeinem Konsensus [3] gelten die Riesenalke seit mehr als 170 Jahren als ausgestorben. Sichtungen aus dem Nordosten Norwegens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts lassen optimistischere Interpretationen als zumindest nicht völlig ausgeschlossen erscheinen.

Von Wolfgang Walter

Erscheinung und Lebensweise

Auch wer eine Lumme oder einen Tordalk sieht wird zunächst denken er habe es mit einem kleinen Pinguin zu tun, dies sind nahe Verwandte des Riesenalks. Typisch für alle Alken ist das weiße Bauchgefieder und der schwarze Rücken und Kopf, sie alle sind ausgeprägte Taucher und die kleinsten Arten ernähren sich von Krabben und Garnelen (Krabbentaucher), die mittleren von Fischen (Tordalk, Trottellumme, Papageientaucher). Hauptsächlich lassen sie sich am Kopf und Schnabel unterscheiden, am markantesten ist in dieser Hinsicht der Papageientaucher mit seinem leuchtend geschmückten Schnabel; der Riesenalk wies einen deutlich sichtbaren weißen Fleck vor den Augen auf.

Auffällig ist bei allen Alken, daß sie bei ihrer Anpassung ans Tauchen längst nicht so weit gegangen sind wie die antarktischen Pinguine. Alle oben genannten Arten können fliegen, je größer und schwerer der Vogel ist, um so weniger läßt sich die Flugtüchtigkeit unter Wasser allerdings mit der in der Luft vereinbaren; bei gleichmäßiger Größenzunahme auf das Doppelte wächst die notwendige Flügelfläche auf das achtfache. Wegen der kleinen Schwingfläche ist der Flug der Alken nicht wendig; der Riesenalk war doppelt so groß wie der Tordalk oder eine Lumme und ganz flugunfähig, besaß aber noch rudimentäre Schwungfedern an den verkleinerten Flügeln. Mit den Pinguinen der Antarktis sind die europäischen Alke nicht näher verwandt, die äussere Ähnlichkeit ergibt sich aus einer ähnlichen Lebensweise als tauchende Fischfresser, die zu einer sogenannten Konvergenz geführt hat [4].

Die Riesenalke waren wegen ihrer Flugunfähigkeit nicht in der Lage steile Felsen und Klippen als Nistplätze zu nutzen, die größten historisch verbürgten Nistkolonien waren daher eher auf flacheren Eilanden [5]. Die Tiere hielten sich monatelang auf hoher See auf um Fisch zu jagen und hatten eine weitaus geringere Bindung an das Land als ihre nahen Verwandten. Wie alle Seevögel konnten sie dabei Seewasser trinken und das überschüssige Salz über eine Drüse im Schnabel los werden [6]. Auf hoher See bestanden ihre Fressfeinde vermutlich vor allem aus Orcas und Seeadlern, an Land wurden Eisbären und Eisfüchse den Brutkolonien gefährlich [7]. Gegen ihren größten Feind, den Menschen, hatten die nordischen Pinguine keine Chance.

Was führte zur Ausrottung der Tiere?

Durch die Ausdehnung des Walfanges im 17. und 18. Jahrhundert in immer küstenfernere Gebiete des Nordatlantiks zur Gewinnung des Trans von Meeressäugern (Wale und Robben) für Lampenöl und später für frühindustrielle Anwendungen [8] kamen die Walfänger in Kontakt mit den Brutkolonien des Riesenalks und verfolgten die wenig scheuen und an Land relativ unbeholfenen Tiere [9] ähnlich wie die gleichfalls flugunfähige Taube Dodo auf Mauritius [10] und eine nahe verwandte andere fluguntaugliche Taubenarten auf einer Nachbarinsel, der Rodrigues Einsiedler [11] im indischen Ozean. Die Tiere waren einst so zahlreich, dass auf kleinen vegetationslosen Inseln gestrandete Seefahrer die fettreichen Tiere zum Feuermachen verwendeten und sich darauf andere Alke brieten; die Populationszahlen gingen einst in die Millionen [12]. Die Eier wurden gesammelt, die zutraulichen Tiere ließen sich leicht einfangen, wurden zusammengetrieben, umgebracht und eingepökelt. Teilweise wurden Jungtiere auch zusammen mit Geflügel gemästest und dann erst geschlachtet wie dies von Neufundland beschrieben wurde. Aus Modegründen wurden um 1650 die gefragten Federn für Kissen durch Jagd erbeutet.

Schiffe brachten die Rattenplage

Schiffsratten, die die Nistplätze besiedelten und Eier und Jungtiere fraßen gaben vielen Kolonien den Rest. Die Akkordfolge für die Schlusskadenz in diesem Trauerspiel wurde von Wissenschaftlern geliefert: statt sich für den Erhalt der letzten Tiere einzusetzen sorgten die inflationären Preise für Bälge für hektische Aktivitäten bei den Naturkundemuseen. Man sandte Jäger aus um auch noch der Tiere die dem allgemeinen Schlachten entkommen waren habhaft zu werden und sie für Sammlungen auszustopfen [13].1840 wurde ein Tier an der schottischen Insel St. Kilda von Fischern gefangen [14], die Bälge des letzten 1844 gesammelten Brutpaares stammen von der Island vorgelagerten Felseninsel Eldey und befinden sich im Kopenhagener Naturkundemuseum. Hätte es vor 200 Jahren schon Einsicht und Gesetze gegen die übermäßige Nutzung der Tiere gegeben wären sie sicherlich noch heute eine weit weitläufig vertretene Art. Tatsächlich war das bekannte Verbreitungsgebiet riesig und reichte von der Atlantikküste Nordamerikas und Europas bis an die Nordseeküsten, im Nordatlantik bis an die Ufer Grönlands und im Osten bis in die russische Barentsee was für die Anpassungsfähigkeit des Riesenalks spricht. Knochenfunde weisen darauf hin, dass es Populationen im westlichen Mittelmeer, Marokko und in Nordamerika im Süden bis hinunter nach Florida gab. In Holland wurden Knochen aus Abfallgruben aus römischer Zeit mit der Radiokarbonmethode datiert, die letzten Funde stammen aus dem 15. Jahrhundert [15] und zeigen eine starke Nutzung der Vögel für die menschliche Ernährung.

Wiederauferstehung des Alk

Es gibt zahlreiche unter starker medialer Aufmerksamkeit angekündigte Projekte um ausgestorbene Tierarten wieder zu erwecken [16], bekannt ist ein Projekt für Tundren-Megafauna wie Mammuts [17]. Ganz ähnlich wurde diskutiert mittels DNA Extraktion aus Museumsmaterial den ausgestorbenen Riesenalk aus dem Totenreich zurück holen [18].

Spätere Sichtungen im 19. und 20. Jahrhundert

Allgemein werden die 1844 auf dem Felsen Eldey vor der Westküste Island getöteten Tiere als das letzte Brutpaar angesehen. Es gab allerdings eine Vielzahl von späteren Sichtungen, so wurde 1852 vor der Küste Neufundlands von einem renommierten Ornithologen ein Riesenalk gemeldet, 1853 wurde angeblich ein totes Exemplar in der Trinity Bay gefunden und drei Jahre später kam es zu einer erneuten Sichtung vor der Küste Neufundlands. 1867 wurde laut einem norwegischen Forscher ein Tier von einem grönländischen Einheimischen verspeist. 1880 wurde die Sichtung eines (mutmaßlichen) Riesenalks vor der westschottischen Insel Arran in beschrieben. Vor den norwegischen Lofoten wurden laut wissenschaftlichen Journalen 1927 und nochmals 1929 jeweils Einzeltiere gesichtet. Nicht allzu weit entfernt, im äußersten Nordosten Norwegens, nahe der russischen Grenze war es 1849 zum Abschuss eines Tieres aus einer Gruppe von vier Exemplaren gekommen. All diese Angaben wurden einem Artikel [19] der auf einem Buch von Errol Fuller basiert [20] entnommen

7119. Lofoten. Raftsund; Unbekannter Fotograf, Nationalbibliothek von Norwegen

Riesen(a)ulk 2012

In einem offensichtlichen Aprilscherz der Boulevardzeitung Express aus London wurde im 2012 von einer unmittelbar bevorstehenden Pressekonferenz der Ornithologischen Gesellschaft der Faröer berichtet. Auf Nachfrage bei einer Mitarbeiterin der Ornithologischen Gesellschaft der Faröer hieß es die Art sei definitiv ausgestorben. Drei führende wissenschaftliche Kapazitäten der selbstverwalteten “Wikingerrepublik” unter dänischer Landeshoheit [21] sollten die Weltsensation verkünden. Der Autor stützt sich dabei auf eigene Nachforschungen und die Berichte eines Informanten aus dem Forschungsprojekt. 2002 hätten Fotos des Militärs von einer kleinen Vulkaninsel ca. 125 km westlich der Faröerinselkette Riesenalke gezeigt. Zunächst wurden Eierschalenscherben gefunden, dann Mauserungsfedern (Schwungfedern) der Flügel und schließlich konnte ein Tier gefangen und gefilmt werden [22].

Pinguine auf den Lofoten

Um eine weitere humoristisch wirkende Meldung handelte es bei einem Bericht von Riesenalken auf den norwegischen Lofoten, einer Inselgruppe im Nordwesten Norwegens. Bei den beobachteten Tieren handelte es sich um Kaiserpinguine aus der Antarktis. Norwegische Walfänger hatten sich aus Spaß eine kleine Gruppe von neun Kaiserpinguinen aus der Antarktis mitgenommen. Als sie der Tiere überdrüssig wurden haben sie sie ausgesetzt, die letzten beiden Tier starben 1944 [23].

Nachwort: sind ausgestorbende Arten immer “ausgestorben”?

Die Wiederentdeckung von als ausgestorben geltenden Tierarten, sogenannte Lazarusarten, benannt nach dem gleichnamigen Heiligen, den Jesus von den Toten wieder auferweckt haben soll (Joh. 11) sind keine Seltenheit [24]. Es gibt sogar eine Sendung, Extinct or Alive, die sich diesem Thema widmet und immer wieder spektakuläre Erfolge vorzuweisen hat. Ist eine Fortexistenz von einzelnen Populationen des Riesenalks völlig unmöglich?

In den zahlreichen abgelegenen Inseln und Felsen des Nordatlantiks könnten theoretisch durchaus isolierte kleine Kolonien überlebt haben, ohne dass Wissenschaftler davon Kenntnis haben müssen, in den dünn besiedelten und zerklüfteten Küstengebiete Nordnorwegens und der russischen Kolahalbinsel hat es die letzten vermeldeten Sichtungen gegeben. Da die Tiere in Kolonien mit anderen Seevögeln und besonders den mit ihnen verwandten und ähnlich aussehenden anderen Alkenarten brüten, wäre aus der Entfernung für Laien ohne Fernglas nur die Größe ein Unterscheidungsmerkmal.

Quellen

  1. artensterben.de, Suchbegriff: Riesenalk
    https://www.artensterben.de/index.php/2018/03/21/riesenalk/
  1. navigium.de, Suchbegriff: pinguis
    https://www.navigium.de/latein-woerterbuch.html?form=pinguius
  1. wikipedia.org, Suchbegriff: Riesenalk
    https://de.wikipedia.org/wiki/Riesenalk
  1. Urania Tierreich, Band Vögel, S. 220, Urania Verlag Berlin, 2000
  1. wikipedia.org, Suchbegriff: Riesenalk
    https://de.wikipedia.org/wiki/Riesenalk
  1. Schmid-Nielsen K. (1960) The salt-secreting gland of marine birds. Circulation, XXI, 955-967
    https://www.ahajournals.org/doi/pdf/10.1161/01.CIR.21.5.955
  1. wikipedia.org, Suchbegriff: Riesenalk
    https://de.wikipedia.org/wiki/Riesenalk
  1. wikipedia.org, Suchbegriff: Tran
    https://de.wikipedia.org/wiki/Tran
  1. Mikai Andrei (22.1.2021) The uneasy story of how the great auk went extinct. zmscience.com
    https://www.zmescience.com/other/pieces/great-auk-extinct-tragic/
  2. wikipedia.org, Suchbegriff: Dodo
    https://de.wikipedia.org/wiki/Dodo
  1. wikipedia.org, Suchbegriff: Rodrigues Solitär
    https://de.wikipedia.org/wiki/Rodrigues-Solit%C3%A4r
  1. Errol Fuller (1999) The great auk. Harry N. Abram 1rst edition
    https://www.amazon.de/Great-Auk-Errol-Fuller/dp/0810963914
  1. Karl Shuker (22.3.2019) Late survival of the lost auk? Carefowl, great auks, and a pardox of penguins. karlshuker.blogspot.com
    http://karlshuker.blogspot.com/2019/03/late-survival-of-lost-auk-garefowl.html
  1. Lucas Reilly (28.8.2018) Bizarre story of Britains last great auk. Mentalfloss.com
    https://www.mentalfloss.com/article/552948/bizarre-story-britains-last-great-auk
  1. Thomas JE, Carvalho GR, Haile J, Rawlence NJ, Martin MD, Ho SY, Sigfússon AÞ, Jósefsson VA, Frederiksen M, Linnebjerg JF, Samaniego Castruita JA, Niemann J, Sinding MS, Sandoval-Velasco M, Soares AE, Lacy R, Barilaro C, Best J, Brandis D, Cavallo C, Elorza M, Garrett KL, Groot M, Johansson F, Lifjeld JT, Nilson G, Serjeanston D, Sweet P, Fuller E, Hufthammer AK, Meldgaard M, Fjeldså J, Shapiro B, Hofreiter M, Stewart JR, Gilbert MTP, Knapp M. Demographic reconstruction from ancient DNA supports rapid extinction of the great auk. Elife. 2019 ;8:e47509. doi: 10.7554/eLife.47509. PMID: 31767056; PMCID: PMC6879203.
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6879203/
  1. wikipedia.org, Suchbegriff: Wiederbelebung_ausgestorbener_Tierarten
    https://de.wikipedia.org/wiki/Wiederbelebung_ausgestorbener_Tierarten
  1. Reviverestore.org, Wooly Mammuth revival.
    https://reviverestore.org/projects/woolly-mammoth/
  1. Stewart Brand (4.2.2016) Is the great auk a candidate for de-extinction? Blog.longnow.org;
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  1. wikipedia.org, Suchbegriff: Faroe Islands
    https://en.wikipedia.org/wiki/Faroe_Islands
  1. Stuart Winters (1.4.2012) No kidding the great auk lives.
    https://www.express.co.uk/comment/blogs/311750/No-kidding-the-great-auk-lives
  1. Karl Shuker (22.3.2019) Late survival of the lost auk? Carefowl, great auks, and a pardox of penguins. karlshuker.blogspot.com
    http://karlshuker.blogspot.com/2019/03/late-survival-of-lost-auk-garefowl.html
  1. 2017 Lazarus effect and Lazarus taxon. Accesscience.com
    https://www.accessscience.com/content/lazarus-effect-and-lazarus-taxa/BR0221171

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