Nachdem die Georgier anders wählten als es Washington und Brüssel möchten, droht man seitens des US-Außenministeriums mit „Konsequenzen“. Demokratie ist es für den Westen offensichtlich nur dann, wenn das Wahlergebnis auch entsprechend „passt“. Was die Menschen in Georgien tatsächlich wollen, spielt dabei augenscheinlich keine Rolle.
Georgien steht vor einer schweren Bewährungsprobe. Die jüngsten Parlamentswahlen, bei denen die Regierungspartei „Georgischer Traum“ 54 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte, haben zu einer tiefen Spaltung der gesellschaftlichen und politischen Kräfte geführt. Besonders bemerkenswert ist der offene Konflikt zwischen Premierminister Irakli Kobakhidze und Präsidentin Salome Zourabichvili. Während Kobakhidze den Wahlsieg seiner Partei verteidigt, spricht Zourabichvili von „totalem Betrug“ und ruft die Bevölkerung zum Protest auf. Die Situation eskalierte am Montagabend, als sich Tausende Georgier vor dem Parlament versammelten.
Der Westen, allen voran die USA, verschärft nun den Ton gegenüber Tiflis. State Department-Sprecher Matthew Miller droht unverhohlen mit „Konsequenzen“ und fordert die georgische Führung auf, ihre Position zur „euro-atlantischen Gemeinschaft“ zu überdenken. Eine bemerkenswerte Aussage, wenn man bedenkt, dass die USA selbst eine lange Geschichte der Einmischung in georgische Angelegenheiten vorweisen – nicht zuletzt bei der „Rosenrevolution“ 2003.
Die Wurzeln der aktuellen Krise reichen tief. Georgien kämpft mit einer Arbeitslosenquote von über 26 Prozent, explodierenden Immobilienpreisen und einer Migrationswelle aus Russland, Belarus und der Ukraine. Etwa 90.000 Menschen sind allein in den Jahren 2022 und 2023 ins Land gekommen. Die Mieten sind um bis zu 50 Prozent gestiegen. Doch der Konflikt hat auch eine geopolitische Dimension. Das umstrittene „Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme“ sowie Verbote von geschlechtsangleichenden Operationen und gleichgeschlechtlichen Ehen haben den Unmut westlicher Regierungen erregt. Dabei zeigen Umfragen, dass ein Großteil der georgischen Bevölkerung diese konservativen Positionen unterstützt.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zur EU gestalten sich für Georgien zunehmend problematisch. Trotz des vor zehn Jahren unterzeichneten Freihandelsabkommens exportiert die EU viermal mehr nach Georgien, als sie importiert. Mit den eurasischen Staaten ist das Handelsverhältnis ausgeglichener. Der Schatten des Ukraine-Kriegs liegt ebenfalls schwer über dem Land. Die NATO-Beitrittsperspektive, die Georgien 2008 in Bukarest in Aussicht gestellt wurde, hat sich als zweischneidiges Schwert erwiesen. Russland sieht darin eine Bedrohung seiner Sicherheitsinteressen – eine Parallele zur Ukraine-Krise ist unübersehbar.
Die Geschichte lehrt uns, dass externe Einmischung selten zu nachhaltigen Lösungen führt. Der ehemalige Präsident Micheil Saakaschwili, heute inhaftiert, wurde 2008 durch amerikanische Sicherheitszusagen zu riskanteren Entscheidungen ermutigt. Der darauffolgende Konflikt um Südossetien endete in einer militärischen Niederlage. Die Drohungen aus Washington könnten sich jedoch als kontraproduktiv erweisen. Georgien steht vor der Herausforderung, seinen eigenen Weg zwischen westlicher Integration und regionaler Stabilität zu finden – eine Aufgabe, die durch externe Pressionen nicht einfacher wird.