„Trust the Science“, predigte uns die Politik in den Corona-Jahren. Wie sieht sie denn aus, diese heilige Wissenschaft? Auf der einen Seite stockt der Erkenntnisgewinn, weil kritische Studien und solche, die keine lukrativen Entwicklungen fördern, keine Finanzierung erhalten. Auf der anderen Seite wird fröhlich manipuliert und gefälscht. Gerade ist aufgeflogen, dass ein renommierter Hirnforscher über Jahrzehnte hinweg Daten manipuliert haben soll. Auf Basis seiner Forschungen wurden und werden verschiedene Medikamente entwickelt. Ein Einzelfall ist er nicht.
Eliezer Masliah schaffte es als vermeintliche Koryphäe der Demenzforschung bis zum Direktor der Abteilung für Neurowissenschaften am National Institute on Aging, Teil der amerikanischen Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH). Unglaubliche 2,6 Milliarden Dollar Forschungsgelder verwaltete er in einem Jahr, hielt zahlreiche Vorträge und lieferte mit seinen angeblichen Erkenntnissen die Basis für etliche weitere Forschungsarbeiten und auch für pharmakologische Entwicklungen.
Doch jetzt demontiert eine umfassende Analyse sein Lebenswerk: Das Wissenschaftsmagazin „Science“ hat zahlreiche offenbar gefälschte „Western Blots“ (Grafiken, die das Vorhandensein von Proteinen belegen sollen) und verdächtige Mikrofotografien von Gehirngewebe in seinen Laborstudien entdeckt. Ein unabhängiges Team aus einem Neurowissenschaftler und forensischen Analysten bestätigte den Verdacht in einem 300-seitigen Dossier: Zwischen 1997 und 2023 wurden in 132 Publikationen solche scheinbar gefälschten Bilder entdeckt.
Dass Wissenschaftler mit einem gehörigen Bias an Forschungsfragen herangehen, liegt in der Natur der Sache. Der Fall Masliah zeigt auf, wie leicht es ist, durch entsprechende „Anpassungen“ die eigenen Thesen zu stützen. Notfalls greift man eben zu einem Bildbearbeitungsprogramm.
Tragisch ist, dass so nicht nur der gesamte Wissenschaftsbetrieb auf falsche Fährten gelockt wird, sondern auf Basis von Lügen auch die Entwicklung von Medikamenten vorangetrieben wird. Auch eine österreichische Pharmafirma arbeitete mit den Fake-Bildern und vertreibt ein Medikament, dessen Wirkung nicht einmal die FDA überzeugen kann. Charles Piller schreibt für „Science“:
Das in Österreich ansässige Biopharmaunternehmen Ever Pharma stützte sich bei der Entwicklung von Cerebrolysin, einer Mischung aus Peptiden – kurzen Aminosäureketten -, die aus Schweinegehirnen gewonnen werden, stark auf Masliahs fragliche Arbeit. Acht Studien, die in Masliahs ehemaligem Labor an der University of California San Diego durchgeführt und zum Teil von Ever Pharma finanziert wurden, wiesen darauf hin, dass die Mischung Entzündungen im Gehirn unterdrückt, das Wachstum neuer Gehirnzellen fördert und weitere Vorteile hat, die Demenzpatienten helfen könnten.
Kleine klinische Studien mit Cerebrolysin haben auf bescheidene kognitive Vorteile bei der Alzheimer-Krankheit und vaskulärer Demenz hingedeutet, und Ever Pharma vertreibt das Medikament inzwischen in Dutzenden von Ländern zur Behandlung von Demenz und Schlaganfall. In keiner der großen Studien konnte jedoch nachgewiesen werden, dass es Demenzpatienten hilft, und die Food and Drug Administration hat Cerebrolysin nicht für die Verwendung in den Vereinigten Staaten zugelassen. Und in den acht Laborstudien wurden dem Dossier zufolge verdächtige Bilder verwendet.
Die wissenschaftliche Basis dieses Medikaments steht nun unter scharfem Beschuss. Zahlreiche Studien zu Cerebrolysin scheinen nun verdächtig, andere wurden bereits zurückgezogen. Was wird hier verabreicht? Ist die Wirkung nur ein leeres Versprechen? Das wird in Zukunft hoffentlich hinterfragt und aufgearbeitet.
Weitere Arzneimittel basieren auf Masliahs zweifelhaften Forschungsergebnissen. So fand man in einer Studie mutmaßliche Fake-Bilder, die die Wirkung des Präparats Minzasolmin bei Mäusen belegen sollten. Das Mittel wird nun an Menschen getestet, erste Ergebnisse werden noch in diesem Jahr erwartet. Auf Masliahs vermeintlichen Erkenntnissen beruht zudem der Antikörper Prasinezumab, der in einer ersten Studie mit 316 Parkinson-Patienten keine Wirkung zeigte, dafür aber mit umso mehr Nebenwirkungen aufwartete.
„Science“-Autor Charles Piller hatte 2022 übrigens ganz ähnliche Fälschungen in den Forschungsarbeiten des Neurowissenschaftlers Sylvain Lesné öffentlichkeitswirksam auffliegen lassen. Auch hier wurden Grafiken in Alzheimerstudien verändert, um die eigenen Thesen zu stützen. Dieses Vorgehen ist also kein Einzelfall.
Offen bleibt, wie viel Vertrauen der Wissenschaftsbetrieb angesichts solcher milliardenschwerer Täuschungen verdient hat. Wer „Trust the Science!“ nachplärrt, entlarvt sich nicht nur als naiver Narr, sondern als Teil des Problems. Manche Menschen schlucken eben alles, was man ihnen vorsetzt – und machen so Lug und Betrug zum Kinderspiel.