Der politische Disput um die Westsahara sorgt nun für neues Ungemach für die EU. Denn Algerien droht mit einem Lieferstopp von Erdgas nach Spanien, sowie mit einer neuen Flüchtlingswelle nach Europa.
Die Europäer laden sich derzeit ein Problem nach dem anderen auf. Nach den ohnehin schon desaströsen Corona-Lockdowns mit den Verwerfungen bei den Lieferketten und der Zerstörung eines Teils der wirtschaftlichen Infrastruktur, folgten im Zuge des russischen Einmarsches in die Ukraine auch noch verheerende Sanktionen (und Gegenmaßnahmen Moskaus), welche zu explodierenden Energie- und Lebensmittelpreisen führten. Nun kommt ein weiteres Problem an der Südperipherie der Europäischen Union hinzu: Algerien droht wegen des Westsahara-Konflikts mit drastischen Maßnahmen.
So hat die Führung in Algier Spanien damit gedroht, die Erdgaspreise deutlich anzuheben oder sogar die Lieferungen einzustellen. Die algerische Regierung unter Präsident Abdelmadjid Tebboune hat beschlossen, ein wichtiges Partnerschaftsabkommen mit Spanien nicht zu verlängern und die Handelsbeziehungen mit Europa einseitig einzufrieren. Dies würde die Inflation noch weiter in die Höhe treiben und die Energiesicherheit Spaniens gefährden. Algerien ist der zweitgrößte Erdgaslieferant Spaniens und deckt etwa ein Viertel des spanischen Verbrauchs. In der gesamten EU deckt Algerien etwa ein Zehntel des Gasbedarfs der Gemeinschaft. Im November letzten Jahres hat das Land bereits schon einmal die Maghreb-Europa-Gaspipeline (MEG) geschlossen, die durch Marokko nach Cordoba im spanischen Andalusien führt und eine Kapazität von 12 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr hat.
Zu all diesen Problemen kommt noch die Gefahr der illegalen Einwanderung aus Algerien hinzu, das ein wichtiger Ausgangspunkt für Migranten aus Afrika ist, die nach Europa übersiedeln wollen. Madrid befürchtet, dass Algerien die illegale Migration als politisches Mittel einsetzt, um mit Spanien und der Europäischen Union zu verhandeln. Immerhin könnten so erneut Zehntausende Migranten über Algerien nach Europa drängen. Angesichts der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der jungen Afrikaner auswandern will und dass eine drohende Nahrungsmittelkrise die Afrikaner dazu bringen könnte, Europa mit allen Mitteln zu erreichen, weiß Algerien, dass es ein starkes Druckmittel in der Hand hat. Präsident Tebboune stoppte deshalb auch ein Abkommen über die Rückführung Tausender von Flüchtlingen aus Europa nach Afrika.
Doch das ist noch nicht alles. Wie die englischsprachige Zeitung „Al-Araby“ berichtet, hat das algerische Tourismusministerium alle Anbieter von Touren angewiesen, ihre Tourismusbeziehungen zu Spanien zu suspendieren. Für Algerier ist Spanien nach Tunesien die zweitgrößte Feriendestination. Doch dank der Unterstützung Madrids für Marokkos Ansprüche auf die Westsahara wird das nun wohl vorbei sein.
Die jüngsten Schritte Spaniens dürften zu einer Verschärfung der Beziehungen zu Algerien führen – zu einem Zeitpunkt, an dem dies aufgrund des Krieges in der Ukraine nicht wünschenswert ist. Die spanische Zeitung El País schreibt sogar von einer neuen Frontlinie, die an der Südgrenze Europas entsteht. Auch die Europäische Kommission schaltete sich in den diplomatischen Kampf ein und warnte Algerien vor Sanktionen, falls es eine Handelsblockade gegen Spanien verhängen würde. Präsident Tebboune versprach daraufhin, die vertraglich vereinbarten Gaslieferungen an Spanien fortzusetzen – die EU ist jedoch zunehmend besorgt, ob die Regierung ihr Versprechen einhalten wird.
Es ist anzumerken, dass Algerien gute Beziehungen zu Moskau unterhält und sich wie die meisten Länder der Welt weigert, die antirussischen Sanktionen mitzutragen. Im Gegenteil: Der russische Gaskonzern Gazprom wird sich an der Erschließung neuer Erdgas-Lagerstätten in dem nordafrikanischen Land beteiligen. Auch sonst arbeiten Algier und Moskau gut zusammen.