Im Gegensatz zu den Deutschen scheinen die Franzosen auf problematische Mehrheitsverhältnisse lieber mit einem gewissen Pragmatismus zu reagieren. Premierminister Barnier hält nicht viel von „Brandmauern“ und will sowohl mit Le Pens RN als auch mit der Linkskoalition zusammenarbeiten. Weiters kündigte er einen schärferen Kurs bei der Migrationspolitik an.
Der neu ernannte französische Premierminister Michel Barnier hat in seiner ersten Ansprache eine überraschende Offenheit für die Zusammenarbeit mit allen politischen Lagern signalisiert. Der konservative Politiker deutete an, keine „roten Linien“ bei der Kooperation mit Marine Le Pens rechtspopulistischem Rassemblement National oder dem linken Bündnis zu ziehen.
In einem Fernsehinterview erklärte Barnier: „Ich respektiere die Ideologie des Rassemblement National.“ Gleichzeitig betonte er seinen Willen, die in drei große Fraktionen gespaltene Nationalversammlung einen zu wollen. Seine Regierung werde neben Konservativen auch Mitglieder aus dem Lager von Präsident Emmanuel Macron umfassen. Michel Barnier, ehemaliger französischer Brexit-Unterhändler und prominenter Politiker, hat sich in seiner politischen Karriere stets als gemäßigter Konservativer präsentiert.
Barniers Ansatz steht im Kontrast zur Haltung in Deutschland, wo die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD aufgrund eines Unvereinbarkeitsbeschlusses kategorisch ausschließt. In Frankreich zeigt man sich damit inzwischen deutlich offener für parteiübergreifende Kooperationen.
Der neue Regierungschef kündigte zudem einen härteren Kurs in der Einwanderungspolitik an. „Wir müssen die Migration besser kontrollieren“, sagte Barnier. Beobachter sehen darin eine mögliche Annäherung an Positionen des Rassemblement National. Die französische Zeitung „Le Monde“ sieht in ihm allerdings einen „Premierminister, der der extremen Rechten ausgeliefert ist“.
Die Ernennung des erfahrenen Konservativen Barnier durch Präsident Macron stieß bei der politischen Linken auf scharfe Kritik. Das Linksbündnis, das bei den Neuwahlen im Juli aufgrund von Wahlabsprachen mit Macrons Zentristen bei der zweiten Wahlrunde die meisten Sitze gewonnen hatte, sprach von einer „Demokratieverweigerung“. Marine Tondelier von den Grünen kritisierte: „Die, die uns gewählt haben, dachten, es würde sich etwas ändern.“
Anders beim Rassemblement National. „Er scheint zumindest das erste Kriterium zu erfüllen, das wir gefordert hatten, nämlich jemand zu sein, der die verschiedenen politischen Kräfte respektiert,“ sagte Marine Le Pen nach Barnier’s Ernennung. „Er ist ein Mann, der sich nie abschätzig über das Rassemblement National geäußert hat, der den RN nie ausgegrenzt hat, er ist ein Mann des Dialogs,“ betonte die rechtskonservative Politikerin weiter. Damit bestehen durchaus Chancen, dass sich die politische Lage in Frankreich stabilisiert.