Zur “Trump-Sicherung” der transatlantischen Allianz arbeiten Europas führende Militärmächte an einem strategischen Plan, der die NATO auch bei einem möglichen US-Rückzug in den kommenden fünf bis zehn Jahren handlungsfähig halten soll.
Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die nordischen Staaten führen bereits informelle Gespräche über eine geordnete Machtübergabe und Neugestaltung des Verteidigungsbündnisses. Laut Financial Times zielen diese Diskussionen darauf ab, “das Chaos eines einseitigen US-Rückzugs aus der NATO zu vermeiden – eine Befürchtung, die durch Präsident Donald Trumps wiederholte Drohungen, die transatlantische Allianz zu schwächen oder zu verlassen, ausgelöst wurde.”
Die europäischen Bedenken verstärkten sich nicht nur durch die Ukraine-Politik des Weißen Hauses, sondern auch durch Äußerungen von Trumps engem Berater Elon Musk. Der Milliardär unterstützte Anfang des Monats öffentlich einen US-Austritt aus der NATO und erklärte auf seiner Social-Media-Plattform: “Es ergibt keinen Sinn, dass Amerika für die Verteidigung Europas zahlt.” Der Tesla-Mitbegründer und CEO stimmte einem Beitrag zu, der forderte: “Verlasst die NATO jetzt!”, mit den Worten “Das sollten wir wirklich.” Bereits am 3. März hatte Musk geschrieben, er stimme dem Vorschlag eines konservativen Kommentators zu, dass die USA sowohl die NATO als auch die Vereinten Nationen verlassen sollten.
Diese Haltung fand schnell Unterstützung bei einigen Republikanern im Kongress. Der Abgeordnete Thomas Massie bezeichnete die NATO als “Relikt des Kalten Krieges, das in eine Ausstellungsvitrine im Smithsonian gehört.” Senator Mike Lee (R-UT) erklärte: “Wenn die USA aus der NATO austreten würden, müsste Europa mehr für seine eigenen Sicherheitsbedürfnisse aufwenden – und wäre gezwungen, zwischen Sicherheit und Sozialismus zu wählen.”
Die Ironie der aktuellen Diskussionen unter den europäischen NATO-Ländern liegt darin, dass sie genau das umsetzen wollen, wozu Trump sie seit Jahren drängt: die Verteidigungsausgaben zu erhöhen und Washington nicht länger den Großteil der Last tragen zu lassen. Dem Financial Times-Bericht vom Donnerstag zufolge würde der Vorschlag “feste Zusagen zur Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben und zum Ausbau der militärischen Fähigkeiten umfassen, um Trump von einer schrittweisen Übergabe zu überzeugen, die es den USA ermöglichen würde, sich stärker auf Asien zu konzentrieren.” Die USA, die mehr für Verteidigung ausgeben als alle anderen NATO-Verbündeten zusammen, sind für die europäische Sicherheit unverzichtbar.
Neben ihrer nuklearen Abschreckung, die zur Verteidigung Europas eingesetzt wird – wobei mehrere europäische Luftwaffen US-Atomwaffen tragen – stellen die USA militärische Fähigkeiten bereit, über die kontinentale Verbündete nicht verfügen, betreiben Luft-, Marine- und Truppenstützpunkte und haben 80.000 Soldaten in Europa stationiert.
Frankreichs Präsident Macron hat kürzlich die Möglichkeit ins Gespräch gebracht, Frankreichs nukleare Abschreckung auf den gesamten Kontinent auszudehnen. Frankreich bleibt das einzige EU-Land mit eigenen Atomwaffen. Diese Entwicklungen fallen zusammen mit einem aktuellen Bloomberg-Bericht, wonach die NATO Europa und Kanada auffordern wird, ihre Waffen- und Ausrüstungsbestände um 30 Prozent aufzustocken.
NATO-Quellen zufolge sollen diese drastischen Erhöhungen der Waffenbestände und Verteidigungsausgaben bis Anfang Juni beschlossen werden. Zweifellos hat Trumps vorübergehender Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine diese Diskussionen und Entscheidungen in Europa beschleunigt, angesichts der “Alarmstimmung” unter Kiews entschiedensten Unterstützern.
Die europäischen Staaten stehen nun vor der Herausforderung, jahrzehntelange Abhängigkeit von der amerikanischen Sicherheitsgarantie zu überwinden und eigenständige Verteidigungsstrukturen aufzubauen. Experten bezweifeln jedoch, ob Europa kurzfristig die militärischen Kapazitäten der USA ersetzen kann, insbesondere im Bereich der strategischen Aufklärung, Logistik und nuklearen Abschreckung.
Verteidigungsanalysten weisen darauf hin, dass die europäischen NATO-Mitglieder trotz gestiegener Verteidigungsausgaben seit dem Maidan-Putsch und der ersten großen Eskalation in der Ukraine 2014 noch weit davon entfernt sind, die militärischen Fähigkeiten der USA zu kompensieren. Die Fragmentierung der europäischen Rüstungsindustrie und unterschiedliche nationale Prioritäten erschweren zudem eine effiziente Ressourcennutzung.
Der ehemalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen betonte in einer kürzlichen Rede: “Europa muss endlich erwachsen werden und Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernehmen. Die Zeit des Trittbrettfahrens ist vorbei.” Die Diskussionen über eine europäische Führungsrolle in der NATO werfen auch grundlegende Fragen zur künftigen Struktur des Bündnisses auf. Während Frankreich traditionell eine stärkere europäische Autonomie befürwortet, bestehen osteuropäische Mitgliedstaaten auf einer engen transatlantischen Bindung als Garantie gegen vermeintliche russische Ambitionen.
Für Deutschland bedeutet diese Entwicklung eine besondere Herausforderung. Als wirtschaftlich stärkste Nation Europas wird von Berlin eine Führungsrolle erwartet, die mit der traditionell zurückhaltenden deutschen Sicherheitspolitik bricht. Trotz der von Noch-Bundeskanzler Scholz ausgerufenen “Zeitenwende” bleibt die Bundeswehr unterfinanziert und von strukturellen Problemen geplagt.
Die Debatte über Europas militärische Zukunft findet vor dem Hintergrund wachsender geopolitischer Spannungen statt. Russlands anhaltender Krieg gegen die Ukraine, Chinas zunehmende Machtprojektion und regionale Konflikte im Nahen Osten erfordern eine kohärente westliche Sicherheitsstrategie in einer Zeit, in der die transatlantische Einheit auf die Probe gestellt wird.
Die aktuellen Planungen stellen einen Wendepunkt in der europäischen Sicherheitspolitik dar. Die Erkenntnis, dass Europa seine Verteidigung nicht länger ausschließlich auf amerikanische Garantien stützen kann, könnte langfristig zu einer ausgewogeneren transatlantischen Partnerschaft führen – oder den Beginn einer neuen, ungewissen Ära europäischer Sicherheit einläuten.
Mein neues Buch ist da: “Im Zensurwahn – Die Aushöhlung von Freiheit und Demokratie“.