Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, hat sich als Schlüsselfigur in einem komplexen geopolitischen Schachspiel positioniert, das die ohnehin fragile Stabilität im Nahen Osten weiter gefährdet. Die Türkei führt eine Offensive in Nordwestsyrien durch, man sagt Erdogan nach, Aleppo erobern und auch halten zu wollen. Die Einmischung ist auch ein Spiel mit dem Feuer.
Die jüngste türkische Offensive in Nordwestsyrien, die schwersten Kämpfe seit 2020, offenbart eine erstaunliche Diskrepanz zwischen Erdogans öffentlicher Rhetorik und seinen tatsächlichen Handlungen. Während er nach außen hin als scharfer Kritiker Israels und des Westens auftritt, unterstützt seine Regierung aktiv islamistische Milizen wie die Hayat Tahrir al-Sham (HTS) bei ihrer Offensive gegen syrische Regierungstruppen.
„Die türkische Operation erfolgt eindeutig im Rahmen der Ziele der israelischen Besatzung und ihrer Unterstützer“, erklärte der syrische Außenminister Bassam Sabbagh in einer jüngsten Stellungnahme. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP und der Times of Israel wurde die Offensive von türkischen, ukrainischen und französischen Geheimdiensten koordiniert – mit israelischer Unterstützung und US-amerikanischer Billigung.
Besonders pikant: Während Erdogan öffentlich gegen die israelische Offensive im Gazastreifen wettert, scheint er insgeheim mit Tel Aviv und Washington zu kooperieren. Das Timing der Offensive, die mit der Waffenruhe im Libanon zusammenfällt, kommt Israel gelegen. Israelische Offizielle sehen darin eine Chance, Syrien zu schwächen und Irans Fähigkeit zur Unterstützung der Hisbollah einzuschränken.
Die türkischen Ambitionen gehen jedoch über taktische Vorteile hinaus. Erdogan verfolgt eine neo-osmanische Vision, die türkischen Einfluss in der Region ausweiten soll. Gleichzeitig steht er innenpolitisch unter Druck, eine Lösung für die über drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu finden.
Doch sein Doppelspiel könnte sich als kurzsichtig erweisen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland und China, die für die türkische Wirtschaft essenziell sind, werden durch diese Politik gefährdet. Moskau, das bisher erstaunliche Geduld mit Erdogans Schaukelpolitik zeigte, könnte nach Beendigung des Ukraine-Konflikts seine Position gegenüber Ankara überdenken.
Die ersten Konsequenzen zeichnen sich bereits ab: Nach russischen Angaben wurden in den ersten 24 Stunden der Kämpfe über 400 Milizionäre getötet. Russland und Syrien haben eine massive Gegenoffensive eingeleitet.
Erdogans riskantes Spiel könnte die Region in einen noch größeren Konflikt stürzen. Die Ausweitung der Kämpfe auf den Kaukasus, wo alle wichtigen Akteure des Nahost-Konflikts involviert sind, erscheint zunehmend möglich. Die Türkei manövriert sich damit in eine prekäre Position zwischen den Fronten des neuen Kalten Krieges.
Die kommenden Wochen werden zeigen, ob Erdogan sein komplexes diplomatisches Balancieren aufrechterhalten kann oder ob seine Politik der doppelten Standards letztlich zum Bumerang wird. Eines ist bereits jetzt klar: Die Stabilität im Nahen Osten wurde durch diese Entwicklung nicht gestärkt.