75 Jahre Staatsfunk – das war der ARD natürlich eine große Jubiläumsshow wert. Mit dabei? Dieter “Didi” Hallervorden, der bei dieser Gelegenheit seinen Kultsketch – den mit “Palimpalim”, dem Kaufmannsladen im Knast und der Flasche Pommes Frites – noch einmal aufführte. Hallervorden wagte es allerdings, eine dem Zeitgeist angepasste Bemerkung zum Grund seiner Haft hinzuzufügen: Er habe verbotenerweise “Negerkuss” und “Zigeunerschnitzel” gesagt. Der mediale Vulkanausbruch folgte prompt. Damit entlarvte man aber nicht den Komiker, sondern sich selbst.
Hallervorden verpasste seinem Gefängnissketch eine neue Einleitung – und entlarvte mit nur zwei Wörtern die gesamte Wokeria. Durch die Erzählung, er sitze ein, weil er die Worte “Negerkuss” und “Zigeunerschnitzel” gesagt habe, nahm er die woke Empörungsgesellschaft aufs Korn – und die sprang gehorsamst über das Stöckchen. Bei der “Zeit” ist man so entsetzt, dass man sich gar nicht traut, die bösen Worte auch nur auszuschreiben: “und dann spricht Hallervorden das Z-Wort (für ein Schnitzel) und das N-Wort (für eine Süßigkeit) aus”, gab die Redakteuse sich fassungslos. Wie konnte das nur passieren, fragt man sich in linkslinken Redaktionsstuben. Das liest sich dann so wie hier in der “Zeit”:
Die Show geht danach kommentarlos weiter. Nun kann man nicht beurteilen, ob beispielsweise der Moderator Pflaume gehört hat, was Hallervorden gesagt hat. Womöglich waren er und die anderen Gäste auf dem anderen Teil der Bühne gerade abgelenkt. Im Bild waren sie jedenfalls nicht. Aber die Show wurde aufgezeichnet, vor mehreren Tagen. Die Verantwortlichen hätten diese Sequenz problemlos herausschneiden können. Sie hätten den erst nach dieser Einleitung richtig beginnenden Sketch auch dann noch ausstrahlen können.
Ja, Mensch, warum wurde der Didi denn nicht direkt verhaftet? Warum schnitt die sonst so brave ARD nicht alle Spuren von Gesellschaftskritik aus der Sendung? Bei der “Zeit” sieht man hier einen Verstoß gegen den Medienstaatsvertrag – weil eine Süßigkeit und ein Schnitzel im satirischen Kontext eines Sketches so benannt wurden, wie sie nun einmal seit jeher bezeichnet wurden, fördere die ARD Diskriminierung und verletze die Menschenwürde, so die Unterstellung.
Was sagt das eigentlich über einen Menschen aus, wenn er beim Wort “Negerkuss” zwanghaft nur an schwarze Personen und deren Hautfarbe denkt, statt an ein Dessert? Und was sagt es über den deutschen Medienapparat aus, wenn man so sinnlose wie irrelevante Nebenkriegsschauplätze eröffnet, statt seiner tatsächlichen Arbeit nachzugehen?
Diese Frage wirft nun auch Hallervorden selbst auf, der den peinlichen Aufstand in den Medien in den sozialen Netzen kommentierte. Er empfahl, die Aufmerksamkeit “auf die eine oder andere Realsatire unserer Zeit” zu lenken, die leider bitterer Ernst sind. Das tragische Beispiel, das er nennt, ist die Rekrutierung von möglichst viel “Kanonenfutter” für die Ostfront, die die Bundesregierung offenkundig anstrebt (auch wenn er sicher ist, dass man das so besser nicht nennt). Seinen Kommentar zitieren wir im Folgenden:
Satire wird nicht mehr verstanden, diesmal betrifft es die gestrige Ausstrahlung der Jubiläumssendung “75 Jahre ARD“.
Es werden Fragen wie diese gestellt: “Warum hat der Sender die Entgleisungen Hallervordens gesendet?” Es herrscht Verwunderung darüber, wieso die ARD diesen Moment unzensiert zuließ.
Gut so.
1. Ich will auf kein Gleis gestellt werden.
2. Ich möchte nicht zensiert werden.
DANKE, ARD.
Tatvorwurf: Ich spiele einen Knasti, der die nicht mehr korrekten Ausdrücke “Zigeunerschnitzel” und „Negerkuss“ benutzt und deshalb im Bau sitzt.
Pressevertretern, die eine Stellungnahme forderten, habe ich folgendes geantwortet:
Woke Menschen von heute versuchen ängstlich, nicht aus der Reihe zu tanzen, befolgen akribisch alle SocialMedia Gebote, um keine Likes aufs Spiel zu setzen und verstehen keine Satire mehr, weil Satire aus Angst vor Missverständnissen nicht mehr vorkommt.
Bei Pressevertretern scheint das Satire Gen auch schon ausge-Merz-t zu sein, es gab Zeiten, da konnte sich ein Journalist diese Fragen selbst beantworten, Satire-Verständnis gehörte zur geistigen Grundausstattung der schreibenden Zunft.
In Ermangelung von Mut, sich über die wirklichen Missstände zu erregen, weil diese anzuprangern, grade nicht in Mode ist, ereifert man sich über einen Komiker, der auf einem Knastbett sitzt und einen berühmten Sketch mit neuem Text beginnt: “Uiuiuiui, ich habe dies gesagt und das gesagt und das darf man heute alles nicht mehr tun, das hab ich irgendwie verpeilt und nun sitze ich im Bau.“
Wer weiß, vielleicht könnte das durchaus bald passieren, weil solche Bestrafung von den wirklichen Verfehlungen unserer Zeitenwende ablenkt.
Wenn Wokeness bedeutet: „Wachsamkeit für Missstände“ so wäre es wünschenswert, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die eine oder andere Realsatire unserer Zeit lenkt, die leider gar nicht satirisch gemeint ist, sondern mit feierlichem Ernst verkündet wird:
Die Bundesregierung nimmt gerade den Tod von tausenden von jungen Menschen billigend in Kauf, denkt darüber nach, dass die Streitkraft um 70.000 Soldat:innen erweitert werden müsste, denn die Nato hat letzte Woche ausgerechnet, dass an der „Ostfront“ täglich 5000 Soldat:innen sterben werden.
Ich gehe jede Wette ein, dass eine Satire mit Regierungsbeamten im Knast auf dem Index stünde und dass man “Kanonenfutter an der Ostfront“ im Zuge unseres neuen Demokratie-Verständnisses nicht sagen darf.
Dieter Hallervorden (via Facebook)