Enttäuschender Stillstand: Wo bleibt die Aufarbeitung in Kunst und Kultur?

Bild: R24

Gratismut zeigen Kulturschaffende gern, doch Kritik an politischem Versagen äußert man lieber nicht. Die Künstleraktion #allesdichtmachen verdeutlichte im Frühjahr 2021, was geschieht, wenn man öffentlich vorherrschende Narrative anzweifelt. Seither fand eine Aufarbeitung der sogenannten Pandemie auch im Kunst- und Kulturbetrieb kaum statt. Ist die Angst vor der Cancel Culture zu groß? Die GGI-Initiative beleuchtet das scheinbare neue Mantra in der Filmwelt: Statt „alles dicht machen“ lieber „alles nicht machen“.

Stillstand in der Filmwelt? Besser alles nicht machen!

Presseaussendung der GGI-Initiative am 22.02.2024

Von einer Reflexion der Pandemie ist bisher im Kunst- und Kulturbetrieb kaum etwas zu spüren. Wurde das Thema vergessen oder verdrängt? Wurden kritische Werke durch „Silencing“ und „Cancel Culture“ verunmöglicht?

Film “Stillstand” von Nikolaus Geyrhalter

Seit 9. Februar läuft der aktuelle Film „Stillstand“ des renommierten Dokumentarfilmers Nikolaus Geyrhalter österreichweit in den Kinos. Angekündigt als Dokumentation der Pandemie, gibt er, ähnlich wie Geyrhalters Vorgängerfilme, bewusst kaum Hintergrundinformationen. Geisterstraßenbahnen, mit Plastikbändern abgesperrte Spielplätze, virtuelle Klassenzimmer auf der einen, Spitäler, Teststationen, Labors, Bestattungsunternehmen und geheime Lagerstätten für Schutzausrüstungen auf der anderen Seite. Darunter auch viele absurde Bilder: etwa das für den Krisenfall mit mehreren hundert Betten eingerichtete Notlager in der Wiener Messehalle, dessen Personal tagelang auf den ersten Patienten wartete. In gewisser Weise ist, so Nikolaus Geyrhalter, der Film auch „ein Denkmal an die Menschen, die das Krisenmanagement getragen haben“. Die Interviewten zeigen sich mehrheitlich erleichtert darüber – mitunter nicht ohne Stolz, dass die „Schreckensbilder aus Italien“ in Österreich dank bestem Gesundheitssystem ausgeblieben seien. Der Film dokumentiert das Geschehen von März 2020 bis Dezember 2021, meist wurde in Wien gefilmt. Die Aufnahmen der Proteste werden im Film jeweils gerahmt von Bildern aus Intensivstationen oder anderen Spitals- oder Sterbeszenen. Interviews mit skeptischen LehrerInnen, ÄrztInnen oder PflegerInnen kommen im Film nicht vor.

Alles nicht machen!

Nikolaus Geyrhalter war einer der wenigen Filmschaffenden, die überhaupt versuchten, den Ausnahmezustand möglichst von Anfang an filmisch festzuhalten. Vorerst drehte er in Erwartung, dass es sich nur um wenige Wochen handeln würde, ohne konkretes Vorhaben daraus einen Film zu machen. Die Aufnahmen waren gedacht als wichtiges Material fürs Archiv.

Nach den Diffamierungskampagnen, die im Frühjahr 2021 auf die Kultur-Initiative „alles dicht machen“ folgten und bis zu Morddrohungen führten, ist es kein Wunder, wenn inzwischen die Zahl der Kulturschaffenden, die es wagen, das Thema zu bearbeiten, noch weiter gesunken ist. Während es 2020/21 noch zahlreiche Videos und Memes gab, die die Maßnahmen aufs Korn nahmen, und auch einige Low-Budget-Filme auf Festivals gezeigt wurden, die die im Namen der Virusbekämpfung gesetzten Maßnahmen thematisierten, ist es danach weitgehend still geworden. Der Kurzfilm „Spring will not be televised“ von Michael Heindl, der während des ersten „Covid-Frühlings“ durch die nächtlichen Straßen Wiens streifte, um dabei „so viele Blicke wie möglich auf hinter den Fenstern sichtbare Fernsehgeräte zu werfen“, war auf der Viennale 2020 zu sehen. Kristina Schranz dokumentierte in ihrem Diplomfilm „Vakuum“ den Lockdown im Bezirk Oberwart im Südburgenland.

Solche Filme mit ein paar Jahren Abstand zu zeigen, könnte bisher ausgebliebene Diskussionen in Gang bringen und die gesellschaftliche Spaltung ein Stück weit überwinden: Denn auch wenn jede und jeder für sich die Jahre des Ausnahmezustands hautnah erlebt hat, so entstand durch das verordnete social distancing eine enorme Verarmung der Erfahrungswelt, die auch in der Erinnerung nachwirkt und die durch Filmbilder an Vielfalt gewinnen kann.

Wird Aufarbeitung in Kunst und Kultur ausbleiben?

Klarerweise sind größere Produktionen von öffentlicher Finanzierung abhängig und haben lange Vorlaufzeiten. Ob in den nächsten Jahren mehr zu erwarten ist, bleibt jedoch fraglich. Wenn die „Aufarbeitung“ ähnlich läuft wie in anderen Bereichen, werden es brisante Werke schwer haben, auch gezeigt zu werden, eher affirmative Projekte zur Förderung gelangen und daran angeknüpfte Diskussionen Kontroversen zu vermeiden wissen. Einen Vorgeschmack darauf bot die Podiumsdiskussion zum Kinostart von „Stillstand“ im Wiener Stadtkino, zu der neben dem Filmemacher auch drei ProtagonistInnen geladen waren: Susanne Drapalik – Präsidentin des Samariterbunds, Andrea Fössl – Lehrerin in einem Döblinger Gymnasium und Peter Hacker – Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport in Wien. Die Diskussion war von gegenseitigem Schulterklopfen dominiert. Auch wenn die eine oder andere Maßnahme vielleicht übertrieben war, man habe viel aus der Pandemie gelernt, aus der Situation das Beste und eigentlich alles richtig gemacht.

Es wäre eine interessante Vorstellung, das gesamte für „Stillstand“ aufgenommene Material einem Archiv zur Verfügung zu stellen. Eine an der Aufarbeitung interessierte Nachwelt könnte davon außerordentlich profitieren. Denn vieles musste weggelassen werden und blieb so unnahbar wie die offizielle Darstellung: „Wie sehr die offizielle Kommunikationspolitik gegenüber der Bevölkerung inszeniert wurde, ist durch unsere Bilder von den Pressekonferenzen der Regierung angedeutet. […] Es gab seitens der Politik offizielle Statements, aber für Journalisten keine informelle Ebene, um etwas nachzufragen.“

Kritische Filme Mangelware

Wer kritische Filme über die Hintergründe und Folgen der Corona-Jahre sehen will, muss sich vermutlich weiterhin abseits der großen Kinos umsehen. Ob das auch damit zu tun hat, dass manche Kunstschaffende durch die Corona-Fonds erstmals in ihrem künstlerischen Leben ein regelmäßiges, gesichertes Einkommen hatten? Interessiert das Thema nur wenige? Oder wurden viele, die sich kritisch geäußert hatten, so sehr eingeschüchtert, dass sie sich nicht mehr trauen? Patricia Marchart konnte jedenfalls gemeinsam mit Judith Raunig bzw. Georg Sabransky in den letzten Jahren eine Reihe von spendenfinanzierten Dokumentationen zum Thema realisieren.

Auch wenn manches bislang ausgeblieben ist, nicht gefördert wurde oder nicht gezeigt wird. Die Filmwelt steht nicht still.

Quellen

Langfassung dieses Textes sowie Quellen und Links zu Filmen und Videos im Blogbeitrag auf der GGI-Homepage: https://ggi-initiative.at/wp/2024/02/21/stillstand-in-der-filmwelt-besser-alles-nicht-machen/

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