Die Ukraine sieht sich gezwungen, ausgerechnet bei jenen Nachbarn um Gas zu betteln, die sie zu Jahresbeginn noch vor den Kopf gestoßen hatte. Seit dem vergangenen Freitag pumpt das kriegsgebeutelte Land in Rekordmengen Gas aus der Slowakei und Ungarn – denselben Ländern, denen Kiew erst vor wenigen Monaten den russischen Gastransit durch ukrainisches Territorium verwehrte.
Die Daten, die vom tschechischen News-Outlet “Echo24” veröffentlicht wurden, sprechen eine eindeutige Sprache: Allein an der slowakisch-ukrainischen Grenze, an der Übergabestation Budince, wurde am Samstag mit 7,3 Millionen Kubikmetern der höchste Tageswert seit über einem Jahr gemessen. Ein bemerkenswerter Vorgang, wenn man bedenkt, dass die diplomatischen Beziehungen zu beiden Nachbarländern nach dem ukrainischen Transit-Stopp praktisch auf dem Gefrierpunkt waren.
Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Hatte die Ukraine den Gastransit-Stopp noch mit der Begründung durchgesetzt, sich von russischem Einfluss zu befreien, macht sie sich nun ausgerechnet von jenen Ländern abhängig, die sie mit dieser Entscheidung vor massive Probleme stellte. Der Grund für diesen energiepolitischen Spagat liegt in den verstärkten russischen Angriffen auf die ukrainische Gasinfrastruktur, besonders in der westlichen Region Lwiw.
Die Folgen dieser Politik sind weitreichend. Das jahrelang praktizierte System des “virtuellen Reverse Flow”, bei dem die Ukraine faktisch russisches Gas über europäische Zwischenhändler bezog, ist zusammengebrochen. Gleichzeitig hat Moskau nun freie Hand bei Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur – schließlich fließt kein russisches Gas mehr durch die Leitungen, das dabei zu Schaden kommen könnte.
Viktor Mikita, Gouverneur des Transkarpatischen Gebiets, brachte die Situation auf den Punkt: “Wir befinden uns in einer äußerst prekären Lage. Die Versorgungssicherheit hat oberste Priorität, auch wenn dies bedeutet, dass wir uns an jene wenden müssen, die wir zuvor vor den Kopf gestoßen haben.”
Die Ukraine sucht nun fieberhaft nach Alternativen. Präsident Selenskyj setzt dabei verstärkt auf Flüssiggas-Lieferungen aus den USA. Doch bis diese Alternative in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, bleibt Kiew auf das Wohlwollen seiner europäischen Nachbarn angewiesen – eine Situation, die man sich zu Jahresbeginn wohl anders vorgestellt hatte.