Wer den Staat “delegitimiert”, bei dem kann offenkundig Fluchtgefahr unterstellt werden: Damit wird die “Delegitimierung des Staates” (andere nennen es Regierungskritik) zum potenziellen Haftgrund. Auf diese gefährliche Entwicklung weist Rechtsprofessor Martin Schwab gerade bezugnehmend auf den Fall von Arne Schmitt hin: dem Pianisten, der während seines Prozesses im Gerichtssaal verhaftet wurde (wir berichteten). Kann in Deutschland bald jeder für eine “falsche” Meinung ins Gefängnis wandern?
Nachfolgend lesen Sie den Kommentar von Prof. Martin Schwab (via Facebook):
Liebe Community,
Um jemanden in Deutschland in U-Haft zu nehmen, müssen strenge Voraussetzungen erfüllt sein (§ 112 StPO): Der Beschuldigte muss einer Straftat dringend verdächtig sein, die Haft darf nicht außer Verhältnis zur voraussichtlichen Strafe stehen, und es muss ein Haftgrund bestehen. Haftgründe sind (im Wesentlichen) Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr.
Am 2.9.2025 erließ das Amtsgericht Berlin/Tiergarten einen Haftbefehl gegen Arne Schmitt, der vielfach mit seinem fahrbaren Klavier auf Corona-Demonstrationen aufgetreten war. Gegen ihn war zu dieser Zeit beim Landgericht Berlin in einer anderen Sache ein Strafverfahren anhängig, und er wurde am Ende eines der dortigen Verhandlungstage noch im Gerichtssaal verhaftet. Mittlerweile ist er (zum Glück) wieder auf freiem Fuß.
Ob dem Haftbefehl gegen Arne – der mir vorliegt – tatsächlich ein strafbares Verhalten von Arne zugrunde lag, ist nicht Gegenstand dieses Textes; dazu werde ich mich ggf. in einem gesonderten Beitrag äußern. Heute geht es mir vielmehr allein darum, zu hinterfragen, mit welcher Begründung das Amtsgericht Berlin/Tiergarten die Fluchtgefahr bejaht hat.
In der Begründung des Haftbefehls heißt es nämlich gleich zu Beginn der Passage, mit welcher die Fluchtgefahr begründet wird, dass Arne jener Szene angehöre, welche vom Verfassungsschutz unter dem Phänomenbereich „Delegitimierung des Staates“ beobachtet werde. Sodann folgen weitere Aspekte (z. B. fehlende Meldeadresse, nicht vorhandene feste soziale Kontakte). Anschließend geht das Gericht auf den Umstand ein, dass Arne in dem Strafverfahren, das seinerzeit noch gegen ihn wegen Landfriedensbruchs lief, an sämtlichen Verhandlungstagen anwesend war. Das, so das Gericht, sei kein Beleg dafür, dass Arne bereit sei, sich einem Strafverfahren zu stellen. Denn sein Verteidigungsverhalten sei ausschließlich darauf angelegt gewesen, die Verhandlung zu sabotieren und seine den Staat ablehnende Geisteshaltung zu inszenieren.
Nicht mitgeteilt werden die Tatsachen, auf die das Gericht diese Bewertung des Verteidigungsverhaltens stützt. Für eine gerichtliche Entscheidung, die immerhin die Grundlage dafür bildet, dass ein Mensch, für den die Unschuldsvermutung gilt, in staatlichen Gewahrsam genommen und seiner körperlichen Fortbewegungsfreiheit beraubt wird, ist das ein Armutszeugnis. Und dass die Praxis der Verfassungsschutzbehörden, Regierungskritiker unter dem Vorwand zu beobachten, es gelte die „Delegitimierung des Staates“ zu bekämpfen, ohne jede kritische Nachfrage in die Begründung eines Haftbefehls einfließt (wenn auch „nur“ als einer unter mehreren Aspekten), ist ein absolutes Alarmsignal.
Wir müssen nämlich jetzt befürchten, dass die Exekutive jetzt nur noch mithilfe bereitwilliger Helfer in der Justiz Straftaten gegen Regierungskritiker zu konstruieren braucht, um diese anschließend in Untersuchungshaft zu setzen. Und dass es in der deutschen Justiz derartige Helfer gibt, zeigt die immer stärker ausufernde Praxis, Regierungskritiker wegen angeblich strafbarer, in Wirklichkeit aber von der Meinungsfreiheit gedeckter Äußerungen gegen Politiker und deren Handeln zu verurteilen.
Über ein besonders abschreckendes Beispiel berichtet Haintz Media vom 24.10.2025. Das Amtsgericht Essen verhängte gegen einen dort angeklagten Mann (das war jetzt NICHT Arne, sondern jemand anders) eine Geldstrafe wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB), weil dieser den folgenden Text veröffentlicht hatte:
„Die Grünen vernichten unsere Wirtschaft und das tun die Grünen Antidemokraten mit fanatisch böser Absicht. Als Friedens- und Umweltpartei hat sich diese kranke Ideologiesekte unser Vertrauen erschlichen um systematisch den Mittelstand zu zerstören und den Wirtschaftsstandort Deutschland finanziell ausbluten zu lassen. Die Grünen halten ihre Wahlversprechen nicht ein, lügen und betrügen die Landwirte, Unternehmer, Gastronomen und jeden Steuerzahler, der auf ihre Parolen reingefallen ist. Die Grünen provozieren für die USA und NATO systematisch einen Krieg gegen Russland und spalten mit ihrer kranken Genderumerziehung vorsätzlich unsere Gesellschaft. Jeder, der diese offensichtliche Wahrheit erkennt und es in der Scheindemokratie des besten Deutschlands aller Zeiten wagt, laut auszusprechen, wird von den Regierungsmedien als rechts oder Nazi beschimpft. Wann klicken bei diesen Verbrechern endlich die Handschellen?“
Dem Amtsgericht Essen war diese Kritik an den Grünen, die gewiss heftig ausfiel, aber im demokratischen Diskurs nun einmal hinzunehmen ist, eine Geldstrafe wert. Und jetzt müssen wir nur noch die Punkte verbinden und zum Haftbefehl gegen Arne zurückkehren: Wer solche Kritik als jemand äußert, der unter dem Gesichtspunkt der „Delegitimierung des Staates“ vom Verfassungsschutz beobachtet wird, läuft in Zukunft Gefahr, allein schon deshalb ins Gefängnis zu wandern. Ohne Urteil. Nur wegen einer „falschen“ Meinung. Das wird jedenfalls dann passieren, wenn die Begründungslinie aus dem Berliner Haftbefehl gegen Arne Schule macht.
Fairerweise muss man zwar sagen, dass der Berliner Haftbefehl gegen Arne die Fluchtgefahr nicht ausschließlich auf den Aspekt der Delegitimierung des Staates stützte, sondern – wie oben beschrieben – weitere Gesichtspunkte einflossen. Aber dieser Haftbefehl ist möglicherweise der Anfang einer gefährlichen Entwicklung, an deren Ende die willkürliche Inhaftierung von Regierungskritikern allein mit der Begründung stehen könnte, sie seien „Staatsfeinde“. Es ist meine Aufgabe als Rechtswissenschaftler, auf solche Gefahren hinzuweisen, bevor sie sich eines Tages verwirklichen.
Dem Angeklagten aus Essen ist die U-Haft erspart geblieben. Jedenfalls dieses Mal noch. Aber die 160 Tagessätze, die das Amtsgericht Essen für die oben zitierte Kritik an den Grünen verhängte, sind auch schon eine ordentliche Ansage…
Besorgte Grüße
Ihr und Euer
Martin Schwab
