Der unter anderem in Schulen verteilte Folder „Wissenswertes zur Corona-Schutzimpfung“ der österreichischen Bundesregierung enthält etliche falsche und irreführende Informationen: Das prangert der Grazer Mediziner und Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Martin Sprenger in einem offenen Brief an Gesundheitsminister Rauch an. Die Kampagne verursache somit mehr Schaden als Nutzen. Das ehemalige Mitglied der Beraterkommission der Regierung bittet die politisch Verantwortlichen inständig, die Impfkampagnen für junge Menschen zu beenden.
Im Folgenden lesen Sie den offenen Brief von Univ.-Prof. Dr. med. Martin Sprenger an Gesundheitsminister Rauch:
Sehr geehrter BM Johannes Rauch,
gestern sind meine Kinder mit dem beigefügten Folder „Wissenswertes zur Corona-Impfung“ von der Schule nach Hause gekommen. Leider erfüllen die Informationen in diesem Folder nicht die österreichischen Kriterien für gute Gesundheitsinformation (https://bit.ly/3Ep1ePM).
Begründung anhand der einzelnen Aussagen in chronologischer Reihenfolge:
1) „Die Impfung ist ab dem 5. Lebensjahr empfohlen“ – Das mag zwar in Österreich so sein, trifft aber nicht auf alle Länder in der EU zu. So gibt es in unserem Nachbarland der Schweiz – https://bit.ly/3UK5YVu – oder skandinavischen Ländern dazu keine Empfehlung. Das sollten interessierte Eltern wissen. Auch eine aktuelle Übersichtsarbeit hat mehr Artikel gefunden die sich gegen eine Impfung von Kindern aussprechen als dafür – https://bit.ly/3NVOpiY – Wobei zu bedenken ist, dass eine Impfempfehlung immer das aktuelle Nutzen/Risiko-Verhältnis (Gesundheitszustand, zirkulierende Varianten, Immunstatus, etc.) berücksichtigen muss.
2) „Auch genesene Personen benötigen für den bestmöglichen Schutz eine Grundimmunisierung bzw. Auffrischung“ – Diese Aussage ist nicht evidenzbasiert und widerspricht auch den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden anderer EU-Staaten.
3) „Alle derzeit verfügbaren Impfstoffe sind umfangreich getestet und zeigen einen guten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und Long Covid“ – Ob die frühzeitig enblindeten Zulassungsstudien und nach wie vor nicht zugänglichen Rohdaten die Aussage „umfangreich getestet“ zulässig machen, darf debattiert werden – https://bit.ly/3En2Rxf
„Schwere Krankheitsverläufe“ bei Kindern und Jugendlichen sind extrem selten. So mussten gemäß dem Register der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) – https://bit.ly/3To0YVn – im Zeitraum 01. März 2020 bis 06.11.2022 in 200 Kinderklinischen Zentren exakt 7.217 unter 20-Jährige (entspricht zirka 17 Millionen Personen) wegen COVID-19 auf einer Normalstation und 220 (3%) auf einer Intensivstation versorgt werden. Die Hälfte war 1 bis 2 Jahre alt und auf der Intensivstation hatten zwei Drittel der jungen Patienten Begleiterkrankungen. Aktuell ist das Risiko eines gesunden jungen Menschen an COVID-19 schwer zu erkranken minimal, v.a. wenn sich die Person schon ein- oder mehrmals mit SARS-CoV-2 infiziert hat.
Dass die „verfügbaren Impfstoffe“ „einen guten Schutz“ vor Long Covid bieten ist empirisch nicht belegt – https://go.nature.com/3fXS5Ew – Die verfügbaren Beobachtungsstudien bieten dazu keine verlässliche Datenbasis. Hinzukommt, dass Long Covid bei jungen Menschen ebenfalls nicht gut belegt ist – https://go.nature.com/3GcIF2N – und auch für Erwachsene das Risiko unter Omikron noch einmal deutlich abgenommen hat.
4) „Expertinnen und Experten weltweit sind sich einig“ – ist eine Fehlinformation. Einigkeit in der Wissenschaft ist sehr selten. Nicht einmal die europäischen Gesundheitsbehörden und Impfkommissionen sind sich einig.
5) „COVID-19 ist weiterhin gefährlich“ ist in Bezug auf junge gesunde Menschen eine Fehlinformation, da aktuell das Risiko vergleichbar mit anderen, gesellschaftlich gut akzeptierten Infektionskrankheiten und Gesundheitsrisiken ist.
6) „Die Impfung schützt auch vor möglichen Langzeitfolgen von COVID-19 (Long Covid)“ – Diese Aussage ist nicht evidenzbasiert. Siehe oben.
7) „Eine durchgemachte Infektion schützt nicht vor einem schweren Krankheitsverlauf“ – Diese Aussage ist durch unzählige Studien widerlegt. Sogar aus Österreich – https://bit.ly/3hxQcim
8) „Aktiv werden!“ – Auf Basis der oben angeführten irreführenden und nicht korrekten Informationen aktiv zu werden ist problematisch.
9) „Die Impfung wirkt. Sie kann eine Ansteckung nicht immer verhindern …“ – Ist eine irreführende Information. Der Passus „nicht immer“ suggeriert, dass dies in den meisten Fällen gelingt. Das ist nicht korrekt – https://bit.ly/3EozScH
Fazit: Der Folder der Bundesregierung, des Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) und der Initiative #GemeinsamGeimpft erfüllt nicht die 15 Kriterien für Gute Gesundheitsinformation, enthält sogar irreführende oder nicht korrekte Informationen. Eine Verbreitung des Folders könnte das Vertrauen in (alle) Impfungen weiter beschädigen. Der Nutzen dieser Kampagne für die Akzeptanz von Impfungen könnte deutlich geringer sein als der damit verbundene Schaden.
Ich bitte Sie deshalb inständig – so wie viele andere europäische Länder – die Impfkampagne für junge Menschen zu beenden und stattdessen die Energie und Ressourcen in eine zielgruppenorientierte Kampagne zu stecken, um bestehende Impflücken in Risikopopulationen zu schließen.
Mit freundlichen Grüßen,
Martin Sprenger
Arzt und Gesundheitswissenschaftler, Graz