In Deutschland wird erneut über „mehr Verantwortung“ im Ukraine-Konflikt diskutiert. Sogar die Entsendung eigener Soldaten wird erwähnt. Deutschland liefert bereits Waffen und militärische Ausbildung für Soldaten in der Ukraine nach Europa. Tatsächlich engagiert sich Deutschland jedoch über die NATO und die EU zunehmend in der europäischen Sicherheitspolitik. Hier stellt sich eine wesentliche Frage: Basieren Entscheidungen in Deutschland noch auf nationalen Interessen oder ist Deutschland bereits zu einem ausführenden Organ der transatlantischen Politik geworden?
Gastkommentar von Paul Weber
Ein mögliches Engagement der Bundeswehr in der Ukraine wäre ein historischer Bruch. Zum ersten Mal seit dem Krieg 1945 würden deutsche Soldaten im Rahmen eines großen Landkrieges in Osteuropa eingesetzt, diesmal gegen Russland. Hier geht es nicht um Kleinigkeiten in der Außenpolitik. Es geht um eine existenzielle Frage. Soll Deutschland eine unabhängige Nation sein oder soll es seine Sicherheitspolitik und seine Zukunft der Logik einer anderen Nation unterwerfen?
Wer über einen Einsatz der Bundeswehr in der Ukraine spricht, muss sich zunächst einmal die Frage nach den deutschen Interessen stellen. Es geht hier nicht um die NATO, um die EU oder andere Staaten. Es geht in erster Linie darum, unser eigenes Volk vor Krieg, Terror, Energiekrisen und wirtschaftlichem Zusammenbruch zu schützen. Das bedeutet sichere Arbeitsplätze, sichere Energieversorgung, sichere Infrastruktur, innere Sicherheit und die strikte Einhaltung des Grundgesetzes. Ein direkter militärischer Konflikt mit Russland würde all dies untergraben. Die Bundesrepublik würde ihre Rolle als wirtschaftliches Zentrum Europas gegen ein potenzielles militärisches, cybertechnisches und hybrides Angriffsziel eintauschen. Ein Krieg in einem fremden Land würde auch ein potenzielles Risiko für die heimischen Lieferketten, für landesweite Investitionen und für den sozialen Frieden bedeuten.
Die Agenda der NATO und der USA – nicht automatisch unsere
Die Debatte über Sicherheitspolitik wird allzu oft so geführt, als hätten Deutschland, Amerika und die Europäische Union dieselben Ziele. Das ist eine gefährliche Illusion. Die strategische Agenda Amerikas und der NATO besteht in der langfristigen Kontrolle Russlands, der Ausweitung ihres Einflussbereichs nach Osten und der Etablierung ihrer militärischen Vorherrschaft in Eurasien. Für Deutschland waren diese Ziele schon immer andere: wirtschaftliche Integration mit Ost und West, möglichst spannungsfreie Beziehungen zu Russland und den Nachbarn in Osteuropa sowie politische und militärische Zurückhaltung, gelernt aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts.
Wenn Deutschland seine Soldaten in die Ukraine schickt, lässt es sich in einen Krieg hineinziehen, der im Wesentlichen außenpolitischen Kalkülen dient und nicht der Sicherheit der Menschen zwischen Rhein und Oder.
Staatliche Souveränität und politischer und medialer Druck
Zunächst einmal steigt gleichzeitig in Berlin der Druck, „mehr zu tun“. Es gibt Forderungen nach einer Erhöhung der Waffenlieferungen, einer Intensivierung der Ausbildungsmissionen und in bestimmten Kreisen der politischen Elite sogar nach einem „multinationalen“ oder europäischen Soldatenkonzept. Die Medien, insbesondere die renommierteren Nachrichtenagenturen, sind jedoch schnell dabei, jedes Anzeichen von Zurückhaltung als „unsympathisch“ oder „pro-russisch“ zu brandmarken. Aus Umfragen und der öffentlichen Reaktion geht klar hervor, dass nach wie vor eine deutliche Zurückhaltung besteht, sich direkt in den Konflikt einzumischen. Es bleibt jedoch die Frage: Ist der Bundestag in der Lage, seine Politik unabhängig zu bestimmen, oder wird er von einem Kurs getrieben, der von Washington und Brüssel vorgegeben wird?
Die Beteiligung des deutschen Militärs in der Ukraine wäre mehr als nur eine weitere ausländische Intervention. Vielmehr würde dies den Beginn eines neuen Sicherheitsgleichgewichts markieren, in dem die Interessen des deutschen Staates selbst hinter der großen Weltpolitik nicht mehr sichtbar sind. Wer an Souveränität glaubt, muss hier eine Grenze ziehen. Der deutsche Staat selbst darf seine Zukunft nicht in einem Konflikt opfern, dessen Eskalation er nicht kontrollieren kann. Deutsche Bodentruppen haben in der Ukraine nichts zu suchen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine unvermeidliche Selbstbehauptung in einer Welt, die ernsthaft aus dem Gleichgewicht geraten ist.
