Der Sky Shield-Beitritt und die Neutralität: Alles kein Problem? Dr. Petrovic kontert Filzmaier

Bild: Flagge von Österreich (C) Freepik @www.slon.pics

Schon seit Beginn des Ukraine-Krieges fürchten die Bürger zunehmend um die österreichische Neutralität. Der Beitritt zum NATO-Projekt „Sky Shield“ – per definitionem ein Militärbündnis – ist mit dieser nach Ansicht vieler keineswegs vereinbar. Doch für die Besorgnis der Menschen hat man im Mainstream nichts übrig. So behauptete jüngst Peter Filzmaier in einem Beitrag in der „Krone“, dass jeder, der diese Unvereinbarkeit anspricht, „schlicht die Unwahrheit“ sage. Dr. Madeleine Petrovic hat Filzmaiers Behauptungen analysiert.

Im Folgenden lesen Sie die Pressemitteilung von Dr. Madeleine Petrovic:

REPLIK VON MADELEINE PETROVIC ZU „FILZMAIER ANALYSIERT – SKY SHIELD: DER SCHUTZSCHIRM UND DIE NEUTRALITÄT“

Im Artikel „Sky Shield: Der Schutzschirm und die Neutralität“ in der Kronenzeitung vom 09.07.2023 widmet sich Peter Filzmaier der Frage, ob der Beitritt zu Sky Shield mit der österreichischen Neutralität vereinbar wäre. In seiner politikwissenschaftlichen Analyse beweist er jedoch ein – gelinde gesagt – eigentümliches Rechtsverständnis, welches ihn schlussendlich zu einem rechtlich unhaltbaren Ergebnis führt.

Im Folgenden werden die relevanten Passagen im Detail beleuchtet:

In Punkt 3. stellt Filzmaier die Frage, ob neutrale Länder Sky Shield überhaupt beitreten dürfen und antwortet sogleich „Für Österreich ist die Antwort eindeutig ja – wenn wir das wollen. Was eine politische Frage ist. Denn wir können selbst entscheiden, wie wir unsere Neutralität auslegen. Dabei kann man für oder gegen den Schutzschirm sein. Doch wer behauptet, es würde eine gesetzliche oder sonstige neutralitätsrechtliche Unvereinbarkeit geben, der sagt schlicht die Unwahrheit.“

Die Frage, die sich dem aufmerksamen Leser hier stellt, ist: Wer ist „wir“. Meint er mit „wir“ die gesamte österreichische Bevölkerung, ist ihm hier wohl beizupflichten. Dass die Bevölkerung im Wege eine Volksabstimmung die Neutralität abschaffen bzw. ändern kann, ist die – nahezu unwidersprochen – herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft.

Bezieht sich das „wir“ jedoch auf die parlamentarischen Volksvertreter:innen, die mit 2/3 Mehrheit die Verfassungsmaterie ändern könnten, bewegt er sich zwar im Bereich der herrschenden Meinung, wobei es doch einen Teil der rechtswissenschaftlichen Vertreter:innen gibt, die eine Volksabstimmung für (zwingend) notwendig oder zumindest für geboten erachten. Immerhin handelt es sich bei der Neutralität um eine Staatszielbestimmung, also eine besonders gewichtige verfassungsrechtliche Bestimmung.

Geht Filzmaier jedoch davon aus, dass mit „wir“ die Vertretung der Bevölkerung durch die Regierung oder einzelne Minister gemeint ist, so ist dem klar zu widersprechen. Die Regierung ist Teil der Verwaltung und streng an das Legalitätsprinzip (Art. 18 B-VG) gebunden. Das Prinzip besagt, dass die Verwaltung nur auf Basis von Gesetzen und Verordnungen tätig werden darf. Und es gibt nun einmal ein Neutralitätsgesetz im Verfassungsrang, an welches sich die Regierung zu halten hat.

In diesem Sinne handelt es sich hierbei auch nicht ausschließlich um eine politische Frage, sondern vorwiegend um eine juristische. Wir können auch nicht frei entscheiden, wie wir unsere Neutralität auslegen. In der Rechtswissenschaft gelten Auslegungs- und Interpretationsregelungen. Ein Gesetz kann daher nicht einfach durch eine Uminterpretation der Rechtsbegriffe sinnentleert werden.

Beitritt ohne Verfassungsänderung nicht möglich

Sowohl nach der „Willenstheorie“ (was war der Wille des Gesetzgebers, als die Bestimmung geschaffen wurde), als auch nach der „Theorie der immanenten Gesetzesdeutung“ (welche Bedeutung wohnt dem Gesetz selbst inne) ergibt sich, dass ein Beitritt zur Sky Shield Initiative vom Wortlaut des Neutralitätsgesetzes nicht gedeckt ist. Kurz gesagt: Ohne Verfassungsänderung – und damit der Abschaffung der Neutralität im heutigen Sinne – ist ein Beitritt nicht möglich. Das bedeutet auch, dass die Regierung nicht ohne die Einbindung des Parlaments – konkret mittels 2/3 Mehrheit – bzw. durch eine Volksabstimmung derartige Entscheidungen treffen kann. Ihr fehlt schlichtweg die demokratische und rechtsstaatliche Legitimation dafür. In einem Rechtsstaat gibt es Regeln hinsichtlich der demokratischen Willensbildung, die in Gesetzen ihren Ausdruck findet und diese Regelungen sind penibel zu beachten!

In diesem Sinne muss es – entgegen Filzmaiers Ansicht – heißen: Doch wer behauptet, es würde eine gesetzliche oder sonstige neutralitätsrechtliche Unvereinbarkeit geben, der sagt schlicht die Wahrheit.

Denn genau so ist die derzeit gültige Rechtslage.

Beschlusslage darf nicht willkürlich geändert werden

Im 4. Punkt führt Filzmaier aus: „Es ist sowohl kompliziert als auch letztlich sehr einfach. Im Neutralitätsgesetz steht, dass Österreich immerwährend neutral sei. Das klingt nach bis in alle Ewigkeit. Was insofern falsch ist, als man die Neutralität abschaffen kann. Weil wir sie ja eigenständig beschlossen haben. Österreich hat sich keinem anderen Staat gegenüber dazu verpflichtet. Die eigene Meinung bzw. Beschlusslage kann und darf aber jeder jederzeit ändern.“

Es mag heute die vorherrschende juristische Meinung sein, dass Österreich die Neutralität jederzeit abschaffen kann, da diese eigenständig beschlossen worden wäre – doch diesbezüglich gibt es eine juristische Mindermeinung, die eine andere Rechtsansicht vertritt. In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick ins Archiv. Im Moskauer Memorandum 1955 wurden die Verhandlungsergebnisse zum österreichischen Staatsvertrag festgehalten.

Der wichtigste Punkt der Verhandlungen war die Frage der österreichischen Neutralität. Die Sowjetunion befürchtete eine Vereinnahmung Österreichs durch die Alliierten (Frankreich, Großbritannien, USA) und machte diese deshalb zur Bedingung.

Wörtlich heißt es in dem Dokument „(…)wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird.“ Die Vertreter beider Staaten unterzeichneten das Dokument. Die Neutralität in Österreich wurde umgesetzt und verfassungsrechtlich verankert. Dass sich Österreich keinem anderen Staat gegenüber dazu verpflichtet habe, ist also historisch gesehen falsch.

„Die eigene Meinung bzw. Beschlusslage kann und darf aber jeder jederzeit ändern.“,

so der letzte Satz des Absatzes. Auch das ist unrichtig. Die eigene Meinung kann zwar jederzeit geändert werden, jedoch ist eine bestehende Beschlusslage nur dann abänderbar, wenn die hierfür gesetzlich erforderlichen Mehrheiten, Kriterien und Verfahren eingehalten werden. Das nennt man „Rechtsstaat“.

Russische Interpretation sehr wohl relevant

Weiter ergänzt Filzmaier unter Punkt 5: „Anders formuliert: Niemand auf der Welt hat irgendwo unserer Neutralität extra zugestimmt. Das bedeutet, dass kein Land die Neutralität mit oder für uns verteidigen muss. Genauso darf sich freilich kein Russe oder Amerikaner darüber aufregen, wenn wir sie wieder abschaffen. Noch weniger haben die genannten oder irgendwelche Nationen eine Beschwerdemöglichkeit, wenn Österreich seine Neutralität freiwillig so versteht, dass man unter den Sky Shield schlüpfen kann.“

Nun, dass sich kein Staat über die Aufgabe der Neutralität aufregen dürfe, ist im Völkerrecht doch eine einigermaßen irrelevante Feststellung. Denn auch Russland durfte keinen Angriffskrieg gegen die Ukraine beginnen, und auch die USA hätten z.B. keinen Angriffskrieg gegen den Irak (der die als Kriegsgrund vorgeschützten „weapons of mass destruction“ nicht besaß) beginnen dürfen, ginge es nach dem Völkerrecht.

Und ob ein Herr Filzmaier Russland das Recht abspricht, sich über die Aufgabe der österreichischen Neutralität aufzuregen, wird einem Putin in der geostrategischen Realpolitik herzlich egal sein. Denn dort regiert – leider – die Macht des Stärkeren. Auch wenn dies mit dem Völkerrecht nicht im Einklang steht. Daher hat die russische Interpretation der Entscheidung für Österreich unmittelbare, geopolitische Relevanz – unabhängig davon, ob wir die Interpretation teilen oder nicht.

Auch Filzmaier gibt zu: Österreich darf keinem Militärbündnis beitreten

Zumindest gesteht Filzmaier im 9. Punkt zu: „Unbestritten ist derzeit einzig und allein, dass gemäß Neutralitätsgesetz Österreich keinen Militärbündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen darf. Ein via Satellit gesteuerter Schutzschirm gegen anfliegende Raketen ist weder das eine noch das andere.“

So richtig und wahr der erste Satz, so falsch ist der zweite. Die European Sky Shield Initiative ist zweifelsohne ein Militärbündnis. Ein Militärbündnis ist ein zwischen verschiedenen Staaten geschlossenes Bündnis mit dem Zweck, militärisch zu kooperieren. Ein solches Bündnis kann materielle Bestimmungen etwa über die Koordination der Sicherheitspolitik, gemeinsame Manöver, den Austausch von Militärtechnik oder die Verpflichtung zu kollektiver Verteidigung umfassen, darüber hinaus aber auch formell eine Organisation wie NATO oder CSTO schaffen.

Filzmaiers Rechtsmeinung widerspricht zudem der Rechtsmeinung des Präsidenten des österreichischen Verfassungsgerichtshofs. So schreibt Grabenwarter in seinem Kommentar zur österreichischen Bundesverfassung

„Art I Abs 1 BVG über die Neutralität Österreichs betont die immerwährende Neutralität Österreichs zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und der Unverletzlichkeit seines Gebiets. Auch verpflichtet es Österreich zur Enthaltsamkeit im Bereich internationaler militärischer Zusammenarbeit.“ (1)

Österreich hat sich also der militärischen Zusammenarbeit zu enthalten, das bedeutet, es darf an einer Zusammenarbeit nicht teilnehmen.

Im Rahmen des EU-Beitritts wurde die Neutralität in ihrer Bedeutung eingeschränkt. Dies jedoch korrekterweise im Zuge einer Volksabstimmung. Erhalten blieb ihr militärischer Kern – die Nichtteilnahme an Kriegen, die Freiheit von militärischen Bündnissen sowie die Verhinderung fremder militärischer Präsenz im Inland. (2) Es ist der Wesenskern der Neutralität, dass neutrale Staaten ihre Landesverteidigung eigenständig und unabhängig organisieren. Ein Kooperationsvertrag zur gemeinsamen Verteidigung, wie es die Sky Shield Initiative darstellt, steht dem fundamental entgegen.

Will die österreichische Regierung daher in die Neutralität eingreifen und Sky Shield beitreten, muss sie sich diesbezüglich um die erforderliche Verfassungsmehrheit bemühen. Der Umgang mit dem hier erörterten Vorhaben birgt aber noch mehr Gefahren als die einer Verletzung des Verfassungsrechts in sich.

Es braucht kritischen Diskurs!

Gerade weil es um eine umstrittene Thematik geht, weil sich sehr, sehr viele „normale“ Menschen in Österreich Sorgen um die Neutralität bzw. deren scheibchenweise Demontage machen, halte ich ausführliche Debatten in der Öffentlichkeit für unerlässlich.

Insbesondere geht es meines Erachtens nicht an, dass es auch in dieser Frage kaum ausführliche und kontrovers besetzte Diskussionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen gibt. Ganz offenkundig scheint die Devise zu sein, bloß „keine Wellen“ zu erzeugen. Ein zentraler Aspekt der Neutralität soll offenbar möglichst rasch und ohne Aufsehen entsorgt und vollendete Tatsachen geschaffen werden. Vordergründig mag das einfach erscheinen, demokratiepolitisch verstärkt es das Misstrauen gegen Regierungspolitik und Medien einmal mehr.

Auch ohne fundierte rechtliche Kenntnisse ahnen immer mehr Menschen, dass sie eingelullt und beschwichtigt werden. Eine moderne, pluralistische und weltoffene Demokratie sieht anders aus!

Dr.in Madeleine Petrovic

(1) _Grabenwarter/Frank,_ B-VG Art 9a Rz 1 (Stand 20.6.2020, rdb.at)
(2) _Grabenwarter/Frank,_ B-VG Art 9a Rz 2 (Stand 20.6.2020, rdb.at)

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