Es ist ein demokratiepolitisch gefährlicher Vorgang, der sich derzeit in Thüringen abspielt. Bodo Ramelow, Noch-Ministerpräsident und politischer Dauerbrenner der Linkspartei, hat eine Idee, die so kühn wie fragwürdig ist: Ein schriftliches Regelwerk, das die Zusammenarbeit mit der AfD im Thüringer Landtag nicht nur moralisch, sondern auch formal unterbindet. Ein „Pflichtenheft“ soll es sein, das den Fraktionen vorschreibt, sich nicht gegenseitig mit der Unterstützung der AfD zu erpressen. Ein demokratisches Minenfeld.
Ramelow begründet seinen Vorstoß mit der Notwendigkeit, die „destruktiven Spielchen der AfD“ zu unterbinden. Die Partei, die bei der letzten Landtagswahl mit 32 Sitzen zur zweitstärksten Kraft avancierte, ist für ihn nicht nur ein politischer Gegner, sondern ein toxisches Element, das es zu isolieren gilt. „Es geht um den ausdrücklichen Verzicht, dass die AfD bei Entscheidungen das Zünglein an der Waage sein kann“, erklärte Ramelow gegenüber der dpa. Doch was bedeutet das in der Praxis?
Die AfD ist, ob man sie mag oder nicht, eine demokratisch gewählte Partei. Ihre Wähler sind Bürger dieses Landes, ihre Abgeordneten haben ein Mandat, das ihnen von einem nicht unerheblichen Teil der Thüringer Bevölkerung verliehen wurde. Sie einfach aus dem parlamentarischen Prozess auszuschließen, mag für Ramelow und seine Unterstützer ein moralischer Sieg sein, doch es ist auch eine Verhöhnung der Demokratie. Denn Demokratie bedeutet nicht, nur mit denjenigen zusammenzuarbeiten, die einem ideologisch genehm sind. Sie bedeutet, auch mit den Unbequemen und den Andersdenkenden umzugehen – und zwar auf der Grundlage von Argumenten, nicht von Ausschlussmechanismen.
Ramelows Vorschlag, der am Montag mit den potenziellen Koalitionspartnern der sogenannten Brombeer-Koalition (CDU, BSW und SPD) besprochen werden soll, ist nichts anderes als der Versuch, die politische Realität per Dekret zu verändern. Die Realität ist jedoch, dass die AfD in Thüringen eine Macht ist, die man nicht ignorieren kann. Mit 32 Sitzen im Landtag ist sie nicht nur die größte Oppositionspartei, sondern auch ein potenzieller Königsmacher. Das mag vielen nicht gefallen, aber es ist die Konsequenz einer demokratischen Wahl.
Die CDU, die sich in dieser Frage in einer Zwickmühle befindet, hat den Vorschlag eines schriftlichen Regelwerks bereits abgelehnt. Andreas Bühl, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, machte deutlich, dass man sich auf solche Spielregeln nicht einlassen werde. Doch die Gespräche gehen weiter, und die CDU scheint zumindest gesprächsbereit zu sein. Ein gefährliches Spiel, denn jede Annäherung an Ramelows Vorschlag könnte von der AfD als Beweis für die „Altparteien-Kungelei“ ausgeschlachtet werden – ein kaum von der Hand zu weisendes Narrativ, das die Partei nur noch stärker machen dürfte.
Es ist bezeichnend, dass Ramelow seinen Vorschlag als „Präzisierung“ des bestehenden Konsultationsverfahrens zwischen den Fraktionen bezeichnet. Doch was hier als Präzisierung verkauft wird, ist in Wahrheit eine Einschränkung. Ein „Pflichtenheft“, das die Zusammenarbeit mit einer bestimmten Partei verbietet, ist nichts anderes als eine Selbstentmachtung des Parlaments. Es nimmt den Abgeordneten die Freiheit, nach ihrem Gewissen zu entscheiden, und ersetzt sie durch eine starre Regel, die den politischen Diskurs einfriert.
Man mag von der AfD halten, was man will. Ihre Rhetorik mag vielleicht manchmal etwas grenzüberschreitend sein, ihre Positionen sind in manchen Fällen eventuell etwas radikal. Doch sie ist eine Partei, die im Rahmen der demokratischen Spielregeln agiert. Wer sie ausgrenzt, grenzt auch ihre Wähler aus – und das sind in Thüringen nicht wenige. Ramelows Vorschlag ist ein gefährlicher Präzedenzfall. Denn wenn man heute die AfD ausschließt, wer ist dann morgen dran? Die Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen, nicht von ihrer Uniformität.
Thüringen steht vor einer schwierigen Regierungsbildung. Die Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD hat keine Mehrheit, und die AfD wird in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle spielen – ob man das will oder nicht. Ramelows „Pflichtenheft“ mag kurzfristig für Ruhe sorgen, doch langfristig wird es die Gräben nur vertiefen. Die AfD wird sich zu Recht als Opfer inszenieren, ihre Wähler werden sich ebenfalls zu Recht bestätigt fühlen, und die politische Polarisierung wird weiter zunehmen. Die Demokratie ist kein bequemes System. Sie erfordert Kompromisse, Aushandlungen und manchmal auch die Zusammenarbeit mit denen, die man ablehnt. Ramelow scheint das vergessen zu haben – oder als Kommunist auch ideologisch begründet sehen. Sein Vorschlag ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Denn wer die Demokratie schützen will, darf sie nicht aushöhlen.