Bundestagswahl: Trotz gravierender Wahlfehler soll Neuwahl verhindert werden

Symbolbild: freepic @black.salmon

Der Tag der Bundestagswahl in Berlin war kein guter Tag. Chaos reihte sich an Chaos, Wahlzettel fehlten oder wurden vertauscht, es bildeten sich zahlreiche lange Schlangen vor den Wahllokalen. In mindestens einem Fall wurden ganz bewusst ungültige Wahlzettel ausgegeben. Gewählt wurde in Berlin bis in den späten Abend hinein, und das, obwohl bereits nach 18 Uhr die ersten Prognosen veröffentlicht wurden. Die Wahlfehler waren mehr als gravierend, doch eine Neuwahl lehnt Berlins Landeswahlleiterin nun entschieden ab.

Von Max Bergmann

Im vergangenen September waren die Berliner Wahlberechtigten nicht nur dazu aufgerufen, den Deutschen Bundestag zu wählen und damit Einfluss auf die neue Bundesregierung zu nehmen. Auch die Wahl des Landesparlaments (Berliner Abgeordnetenhaus) und der Bezirksparlamente (Bezirksverordnetenversammlung) fand im gleichen Atemzug statt. Das absolute Versagen der Berliner Behörden an diesem Wahltag fand zwar durchaus mediales Echo, auch Report24 berichtete vor Ort. Konsequenzen wurden bislang jedoch nicht gezogen. 

Massive Wählerbeeinflussung: Gewählt wurde bis in die Abendstunden

Schon am Nachmittag des Wahltages wurde bekannt, dass zahlreiche Wahlzettel entweder vollständig fehlten, oder zwischen den Wahlkreisen vertauscht wurden. So konnten Wähler entweder gar keine Stimme abgeben, oder nicht den für ihren Wahlkreis bestimmten Direktkandidaten wählen. In der Folge bildeten sich vor vielen Wahllokalen teils kilometerlange Warteschlangen. Als dann ab 18 Uhr die ersten Prognosen per Eilmeldung auf den Smartphones der immer noch wartenden Wahlwilligen eintrafen, hatten Tausende Berliner ihre Stimme noch nicht abgegeben. Einzelne Wahllokale waren sogar noch bis nach 21 Uhr geöffnet. Die Folge: Wählerbeeinflussung durch Kenntnisnahme der Hochrechnungen und Prognosen vor der Stimmabgabe.

Protokoll beweist: Wahlzettel nachträglich für ungültig erklärt

In einem Wahllokal in Friedrichshain-Kreuzberg wurden sogar in vollem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit falsche Wahlzettel an Wähler ausgegeben. Die Schriftführerin des Wahllokals dokumentierte die skandalösen Wahlfehler unter dem Titel „Besondere Vorkommnisse“ wie folgt:

„Zu Beginn der Stimmabgabe standen für die Zweitstimmen der Abgeordnetenhauswahl nur ungültige, da für den Bereich Charlottenburg-Wilmersdorf bestimmte Wahlzettel zur Verfügung. Der Fehler wurde gegen 8.15 vom Wahlvorstand dem Bezirkswahlamt gemeldet. Von dort kam zunächst die Weisung, mit der Wahl mit den falschen Wahlzetteln fortzufahren. Etwa 2 Stunden später bekamen wir die Information, dass die ‚Charlottenburg-Wilmersdorf‘-Wahlzettel als ungültig zu behandeln sind. Bis dahin hatten 82 Personen diese Wahlzettel genutzt. (…) Nur 3 Personen kehrten anschließend wieder, um die Zweitstimmenabgabe für die Abgeordnetenhauswahl zu wiederholen. Gegen 10:30 erhielten wir die richtigen Stimmzettel.“

Handschriftliches Protokoll eines Wahllokals in Berlin-Friedrichshain, Quelle: Berliner Zeitung

Bundeswahlleiter fordert Neuwahl

Bundeswahlleiter Georg Thiel verlangte zwischenzeitlich, dass die Bundestagswahl in mindestens sechs Berliner Bezirken vollständig wiederholt werden muss. Die Wahlfehler seien zu gravierend gewesen, erklärte er. Thiel sprach sogar von einem „kompletten systematischen Versagen der Wahlorganisation“ in Berlin. Konkret waren die Fehler in den Wahlkreisen 75 Berlin-Mitte, 76 Berlin-Pankow, 77 Berlin-Reinickendorf, 79 Berlin-Steglitz-Zehlendorf, 80 Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf, 83 Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost so schwerwiegend, dass ein Festhalten am aktuellen Ergebnis nicht möglich erscheint.

Mehr als 1 Million Wähler betroffen

In den vorgenannten Wahlkreisen leben mehr als 1 Million Wahlberechtigte. In mindestens 116 Fällen sei die Wahl in den Wahllokalen unterbrochen worden, weil Wahlzettel fehlten. Nach 18:31 Uhr sei in 255 Wahllokalen weiterhin gewählt worden. Wähler wurden durch Eilmeldungen über Prognosen und Hochrechnungen so vor ihrer Stimmabgabe massiv beeinflusst. Die „Schwere, Vielzahl und die Nichtnachweisbarkeit“ von Wahlfehlern haben Bundeswahlleiter Georg Thiel davon überzeugt, dass keine andere Lösung möglich sei. „Diese Probleme gab es im Bundesgebiet noch nie“, erklärte er in der Berliner Zeitung. 

Neue Landeswahlleiterin sieht keinen Korrekturbedarf

Die neu angetretene Landeswahlleiterin Ulrike Rockmann lehnte Thiels Einspruch gegenüber den Wahlergebnissen indes vollständig ab. Sie sehe keine ausreichenden Wahlfehler und keinen Korrekturbedarf am amtlichen Endergebnis der Wahlen in Berlin. Rockmann folgte ihrer Vorgängerin Petra Michaelis, die 3 Tage nach der Wahl ihren Rücktritt erklärte. Bundeswahlleiter Thiel erklärte ausdrücklich, er sehe eine Mandatsrelevanz durch die zahlreichen Wahlfehler. Konkret heißt das, das Wahlergebnis hätte durchaus anders aussehen können, wenn die Wahl in korrekter Art und Weise durchgeführt worden wäre. Er geht von einer hohen Dunkelziffer an Personen aus, die aufgrund der geschilderten Ereignisse ihre Stimme nicht abgeben konnten. Landeswahlleiterin Rockmann widersprach dieser Sicht der Dinge: „Man hätte wählen können, wenn man gewartet hätte.“ Und Rockmann ergänzte: „Das Empfinden von Wartezeiten ist sowieso so’ne Sache.“

Ausgang weiterhin unklar: Fehlerhafte Wahl hat weiterhin Bestand

Bundeswahlleiter Georg Thiel legte bereits im November vergangenen Jahres Einspruch ein. Bis heute hat das als amtliches Endergebnis verkündete Wahlergebnis jedoch Gültigkeit. „Aufgrund der Häufung und Schwere von einzelnen Wahlfehlern habe ich Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag in sechs Berliner Wahlkreisen eingelegt. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war auch eine mögliche Mandatsrelevanz. Zudem waren die Fehler organisatorisch vermeidbar. Ich habe die Berliner Landeswahlleitung deshalb darum gebeten, möglichst frühzeitig umfassende Maßnahmen zu ergreifen, um in Zukunft Wahlfehler zu vermeiden“, so Bundeswahlleiter Thiel im November. Ob und wenn ja in welcher Form die Wahlen in Berlin wiederholt werden müssen, ist also weiter unklar. Nur eines wurde deutlich: Die Vertreter der Wahlgewinner haben kein großes Interesse daran, den Berlinern ihr Recht auf freie, demokratische und fehlerlose Wahlen wenigstens im Nachgang zu gewähren. 

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