Mit nur 34 Prozent der Stimmen – und 20 Prozent der Wahlberechtigten – erhielt die sozialdemokratische Labor-Party 63 Prozent der Sitze im britischen Unterhaus. Das Mehrheitswahlrecht macht es möglich. Noch nie war dieser Verstärkereffekt für die siegreiche Partei so groß wie bei diesen Wahlen.
Das britische Wahlsystem mit einem Mehrheitswahlrecht nach Wahlkreisen war immer schon ein Vorteil für die größeren Parteien. Allerdings fielen die Mehrheiten im Abgeordnetenhaus früher nicht so extrem aus, weil bestimmte Regionen tendenziell eher konservativ oder sozialdemokratisch geprägt waren. In den 50ern und 60ern beispielsweise gewannen die Tories oder Labour mit Stimmenanteilen in den oberen 40er-Prozenten Sitzanteile in den 50er-Prozenten. 1950 beispielsweise erhielt Labour mit 46 Prozent der Stimmen 50 Prozent der Sitze. Bei den vorgezogenen Wahlen 1951 konnten sich die Tories mit 48 Prozent der Stimmen 51 Prozent der Sitze sichern.
Um mehr als 60 Prozent der Sitze zu ergattern, waren früher immer mehr als 40 Prozent der Stimmen notwendig. Selbst im Jahr 2005, als die britischen Sozialdemokraten mit 35 Prozent ein ähnliches Ergebnis einfuhren wie heute, reichte es „nur“ für 55 Prozent der Abgeordneten. Heute sind es 34 und 63 Prozent. Übrigens der niedrigste Prozentsatz an Wählern, den eine „siegreiche“ Partei jemals brauchte, um eine Mehrheit zu erhalten. Die Grafiken beim „Spectator“ verdeutlichen die ganzen Entwicklungen. Der nachfolgende Tweet zeigt auch den Unterschied zwischen Wähleranteilen und Sitzverteilung auf.
Die britischen Sozialdemokraten haben nur deshalb einen Erdrutschsieg in Sachen Abgeordnetenzahl hingelegt, weil sich die konservativen Stimmen zwischen den Tories und der Reform-Partei von Nigel Farage aufteilten. Zusammen erhielten die beiden Parteien 38 Prozent (648 von 650 Wahlkreisen ausgezählt) der Stimmen, aber zusammen nur 126 Abgeordnete (Labour gewann 411 Sitze). Die Spaltung des konservativen Lagers machte also diesen enormen Sieg der Sozialdemokraten möglich – und auch die niedrige Wahlbeteiligung von gerade einmal 59,9 Prozent.
Anders ausgedrückt: 20 Prozent der Wahlberechtigten haben Labour gewählt und den Sozialdemokraten damit beinahe eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus verschafft. Eine solch große Diskrepanz gab es im Vereinigten Königreich wohl noch nie. Mehr noch verdeutlicht dieses Ergebnis, dass die britische Demokratie ganz offensichtlich „kaputt“ ist. Den Wählerwillen spiegelt das Ergebnis nämlich nicht einmal ansatzweise wider.