Die neue Legislaturperiode soll viele Veränderungen für Deutschland bringen: Unser Redakteur Holger W. Sitter berichtet über die neuesten Entwicklungen im Bundestag. Positives für die Bürger gibt es derzeitig nicht zu vermelden – gerade im Hinblick auf die Corona-Maßnahmen und die politisch forcierte Impfkampagne sind trotz des angekündigten Endes der epidemischen Lage keine Erleichterungen in Sicht. Und auch Entwicklungen in anderen Bereichen werfen Fragen auf.
von Holger W. Sitter
Epidemische Lage und Vorstufe zur Impfpflicht
Bevor die epidemische Lage am 25. November enden soll, wollen die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP neue Leitplanken zur Eindämmung der Pandemie beschließen. Der Bundestag plant daher eine „Corona-Sondersitzung“ für den 18. November. An diesem Tag soll über Änderungen und Aktualisierungen des Infektionsschutzgesetzes – abschließend – entschieden werden. Das verlautet aus Fraktionskreisen von SPD, FDP und Grünen. Einen Tag später, am 19. November, soll dann der Bundesrat mit einer Sondersitzung folgen, um die Entscheidungen des Bundestages zügig abzusegnen. Die erste Beratung des von den Ampel-Fraktionen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite steht bereits am Donnerstag auf der Tagesordnung.
Geplant ist u.a. eine tägliche Testpflicht für Mitarbeiter und Besucher in Pflegeheimen, unabhängig davon, ob diese geimpft oder genesen sind. Noch-Kanzleramtsminister Helge Braun tut in seinen letzten Amtstagen nahezu alles, um die sog. „Booster-Impfungen“ als Vorstufe zur generellen Impfpflicht auf breiter Front durchzudrücken. Mit dem Hinweis, dass man doch bitte jetzt rasch handeln müsse, wenn die zweite Impfe länger als ein halbes Jahr her ist, führt er allerdings die gesamte Impfstrategie der scheidenden Bundesregierung einmal mehr ad absurdum. So langsam müsste es wirklich jedem dämmern, dass dieses „Flickwerk“ mehr aus Willkür, denn aus Vernunft betrieben wird!
Kaum noch Unternehmer im neuen Parlament
Ein beliebtes Medienthema nach jeder Bundestagswahl ist die Aufschlüsselung der Berufe unter Hinzuziehung von neu eingezogenen Abgeordneten. Wie viele Rechtsanwälte, wie viele Landwirte, wie viele Lehrer und wie viele Berufsversager haben es ins neue Parlament geschafft? Fest steht, dass im neuen Bundestag kaum noch Unternehmer sitzen. Dabei wird gerade ihre Expertise dringend benötigt für ein Land, dass sich zunehmend aus vorderen Marktstellungen sukzessive verabschiedet hat in 16 Merkel-Jahren. Doch die Unternehmenskultur in Deutschland ist noch immer in weiten Teilen hierarchisch organisiert – d.h. Entscheidungen und Strategien in Unternehmen brauchen keine langen Wege bis zur Umsetzung und bedürfen nicht ausgiebiger Debatte – von Mehrheitsentscheidungen ganz zu schweigen. Damit wird die FDP Stück für Stück in ihrem Markenkern ausgehöhlt. Sie macht ja sowieso seit Jahren erkennbar kaum noch wirkliche Politik für ihre Klientel mehr.
Stetige Ignoranz gegenüber der AfD
Und dann wurde ja auch ein neues Bundestagspräsidium gewählt. In der Geschäftsordnung des Bundestages steht, dass jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin vertreten sein soll. Die Wahl von Bärbel Bas als Präsidentin in der Nachfolge von „Dino“ Schäuble zeigt den wachsenden Einfluss der SPD-Linken. Die AfD hingegen ist seit der Bundestagswahl 2017 mit insgesamt 6 vorgeschlagenen Kandidaten in 18 Wahlgängen gescheitert, weil sich die Abgeordneten der anderen Fraktionen schlicht weigerten, sie zu wählen. Dabei wurden die Kandidaten nicht als Personen, für ihre Positionen oder ihr Auftreten gering geschätzt und abgelehnt, sondern einzig wegen ihrer Nominierung durch die AfD selbst. Daraufhin scheiterte die Partei mit einem Eilantrag vor dem Verfassungsgericht aus „formalen Gründen“, wie es hieß. Ebenso wenig spannend wird der nächste Anlauf sein, nachdem Dr. Michael Kaufmann (wurde im März 2020 Vizepräsident des Thüringer Landtags!) als nächster Kandidat bereits am 26. Oktober neben 118 Jastimmen, leider auch 609 Stimmen (553 Neinstimmen, 29 Enthaltungen und 27 ungültige Stimmen) nicht auf sich vereinigen konnte. Abgesehen davon, dass den guten und traditionsreichen Sitten des hohen Hauses mit dieser Respektlosigkeit Hohn gesprochen wird, ist diese Verweigerungshaltung schlicht undemokratisch und entlarvt viele Sonntagsreden im Parlament. Und noch etwas sollte jeder Abgeordnete bedenken: Sobald er gewählt ist, ist er laut Grundgesetz Vertreter des ganzen Volkes, also auch ein Vertreter der AfD-Wähler.
Reformen überall?
Wohin man in diesen Tagen auch sein Hörorgan ausrichtet, das neue Lieblingswort der künftigen Koalitionäre lautet: Reform! So ziemlich alles soll jetzt Hals über Kopf reformiert werden, was in der Ära Merkel noch unantastbar erschien. Polizei, Bildung und Schule, Wohnungsbau und – selbstverständlich – die Energiepolitik. Und natürlich die Bundeswehr! Für 2031 hat Deutschland der Nato drei voll ausgerüstete Heeresdivisionen zugesagt, ebenso Luftwaffen- und Marinepakete. Die Merkel-Regierung lag viele Milliarden Euro hinter ihrem Plan. Da müssen jetzt endlich Fakten geschaffen werden!
Aber für all das braucht es einen Staat, der funktioniert. Haben wir den? Angesichts der vielen Pannen, die im Jahr passieren? Der Bundesrechnungshof kommt kaum zum Durchatmen. Allein die Kritik an Spahns inflationärer Geldverschwendung ist ein abendfüllendes Programm… Empfehlenswert dazu ist das Buch: „Bürokratie, Regulierung, Verwaltung in der Krise: Update für Deutschland„. Es stammt aus der Feder von Johannes Ludewig, dem ehemaligen Staatssekretär und Wirtschaftsberater von Helmut Kohl. Der Autor stellt u.a. die Frage, ob wir eine Belastung ohne Ende zu erwarten haben und beschreibt aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen, was im Regierungsapparat gut bzw. was schiefläuft. Er zeigt detailliert auf, wie Bürokratie, Regulierung und Verwaltung neu aufgestellt werden könnten – gerade in diesen Tagen der FDP wärmstens zu empfehlen.
Über Holger W. Sitter
Holger W. Sitter war schon immer ein den Worten verpflichteter Freigeist. Schon 1987 übernahm er eine „linkskonservative“ Zeitung als Chefredakteur praktisch aus dem Nichts. „Mach es doch besser“, wurde dem Nörgler ans Herz gelegt und er tat, wie ihm geheißen.
Seine klassische Ausbildung machte er dann Anfang der 90er bei der WAZ in Essen und Dortmund, begleitete dann viele Jahre seinen Lieblingsverein in Sport-Kolumnen für die Westfälische Rundschau und gründete 2003 das Magazin „Gib mich die Kirsche“, das er dreizehn Jahre als Chefredakteur führte. Dann kam die Politik und holte ihn zurück – zuerst nach Düsseldorf, dann nach Berlin. Dort macht er nicht nur mit, sondern mischt sich ein. Für Report24 schreibt er jetzt mit Beginn der 20. Wahlperiode über Lach- und Sachgeschichten rund um den Bundestag.
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