Man kennt sie inzwischen: die digitalen Frontkämpfer. Menschen, die mit großem Eifer und moralischer Gewissheit Kriegsparolen in die Welt schicken – von zu Hause aus, mit WLAN und Latte Macchiato. Sie posten auf sozialen Medien, von X bis Instagram, von Facebook bis TikTok, und schreiben mit ernster Miene Sätze wie: „Russland muss wie Nazi-Deutschland vollständig besiegt werden.“ Klingt fast heroisch. Doch kann man diese Tastaturhelden ernst nehmen?
Gastkommentar von Lothar Renz
Wer derartige Forderungen ernst meint, spricht nicht nur von mehr Waffenlieferungen. Er spricht auch – ob bewusst oder nicht – von mehr Toten. Davon, dass andere kämpfen sollen. Dass andere ihre Söhne verlieren. Dass andere im Matsch erfrieren, im Kugelhagel sterben, verstümmelt aus dem Krieg zurückkehren – falls überhaupt.
Diese digitalen Frontkämpfer leben in sicheren Ländern, weit weg von den Frontlinien. Ihre Vorstellung von Krieg ist stark von Serien, Podcasts und militärhistorischen YouTube-Kanälen geprägt. Ihre Beteiligung besteht aus Reposts, Wutkommentaren und moralischer Selbstvergewisserung im Newsfeed. Sie sind, mit Verlaub, Generäle im Warmen. Ihre Waffe: Empörung. Ihr Schlachtfeld: der Algorithmus.
Der Preis des Sieges
Ein „totaler Sieg“ – das klingt vielleicht erstrebenswert, wenn man ihn nicht selbst erringen muss. Aber was heißt das konkret? Moskau in Trümmern? Jahrzehntelanger Guerillakrieg? Ein neuer Eiserner Vorhang, diesmal auf beiden Seiten elektrisch geladen? Eine nukleare Eskalation?
Und was kostet das alles? Nicht in Geld – sondern in Leben, in Zukunft, in Vertrauen?
Und nicht nur auf einer Seite. Auch auf russischer Seite sterben junge Männer. Söhne, Väter, Onkel. Viele, die keine Wahl hatten, die für ein System kämpfen, das sie nicht hinterfragt haben, oder das sie zum Schweigen gebracht hat. Jeder Tote – auf beiden Seiten – ist einer zu viel.
Wer ernsthaft meint, dieser Krieg müsse bis zum letzten Mann geführt werden, sagt im Grunde: mehr Gräber, mehr Elend, mehr Verstümmelung. Auch unter denen, die man vielleicht gar nicht hasst – sondern nur entmenschlicht hat, weil sie auf der „falschen Seite“ stehen.
Frieden ist nicht bequem, aber klug
Ein Frieden, der Kompromisse verlangt, fühlt sich unbefriedigend an. Er passt nicht zur Rechthaberei vieler, die sich online mit moralischer Entrüstung schmücken. Aber er verhindert weiteres Sterben.
Frieden ist keine Kapitulation. Er ist auch kein Deal mit dem Teufel. Er ist der Versuch, aus der Logik der Zerstörung auszubrechen, bevor sie alles verschlingt. Selbst ein schlechter Frieden kann Zeit, Luft und Hoffnung schaffen – etwas, das der Krieg systematisch vernichtet.
Wer Krieg will, soll ihn selbst führen
Wer also den großen Endkampf fordert, soll bitte ehrlich sein. Nicht „wir“ müssen dann kämpfen. Sondern „sie“, die Couch-Krieger. Wer Krieg will, soll ihn nicht fordern – er soll ihn führen. Alles andere ist feige.
Denn Mut misst sich nicht in Likes oder rhetorischer Schärfe. Sondern im Risiko, das man selbst bereit ist zu tragen. Und vielleicht ist es an der Zeit, die eigene Aufgeheiztheit zu dämpfen. Die App mal zu schließen. Und zu erkennen: Frieden ist unbequem. Aber Krieg ist die Hölle.