Eigentlich zeichnet sich die Eurozone insgesamt durch eine starke Wirtschaft aus, die im Schnitt mehr exportiert als importiert. Doch mit der Energiekrise hat sich das Blatt gewendet. Die EU steht vor einem wirtschaftspolitischen Scherbenhaufen.
Traditionell verzeichnet die Eurozone mit der „Lokomotive Deutschland“ stets einen Handelsüberschuss mit dem Rest der Welt. Doch in den letzten Monaten konnten die Exporte insbesondere wegen der hohen Kosten für Energie nicht mehr mit den Importen mithalten, obwohl der Außenhandel insgesamt zulegte. Die Folge: Im August wurde ein Rekorddefizit im Außenhandel verzeichnet, wie die europäische Statistikbehörde Eurostat in einer Aussendung mitteilte. So stiegen die Importe im Vergleich zum Vorjahresmonat um 53,6 Prozent auf 282,1 Milliarden Euro an (183,6 Milliarden Euro im August 2021), während die Exporte nur um 24 Prozent (von 186,1 auf 231,1 Milliarden Euro) stiegen. Damit wurde aus dem Überschuss von 2,8 Milliarden Euro im letzten August nun ein Defizit von 50,9 Milliarden Euro. Das hat es bislang noch nicht gegeben.
In den ersten acht Monaten dieses Jahres stiegen die Exporte der Eurozone um 18,7 Prozent auf 1.859,8 Milliarden Euro, während die Importe um 44,7 Prozent auf 2088,6 Milliarden Euro anstiegen. Damit lag das gesamte Handelsbilanzdefizit für die ersten zwei Drittel des Jahres bei 228,8 Milliarden Euro, nachdem im Vergleichszeitraum des Vorjahres noch ein Plus von 124 Milliarden Euro erzielt wurde. Und für die Europäische Union selbst sieht es nicht viel besser aus.
Interessant ist jedoch die Aufschlüsselung nach Handelspartnern. So sind die EU-Exporte nach China im Jahresvergleich der ersten acht Monate von Januar bis August nur um 2,2 Prozent gestiegen, während die Importe gleich um 42,6 Prozent zulegten. Damit hat sich das Handelsdefizit mit dem Reich der Mitte von 139,8 auf 259 Milliarden Euro beinahe verdoppelt. Gleichzeitig hat sich trotz der umfangreichen LNG-Importe aus den Vereinigten Staaten und des zunehmend starken US-Dollars der Überschuss im Außenhandel nur leicht von 109,4 auf 100 Milliarden Euro reduziert.
Aufgrund der Sanktionen sind die Exporte nach Russland erwartungsgemäß stark eingebrochen (-34,3 Prozent), während gleichzeitig die Importe (infolge der hohen Gas- und Ölpreise) um 60,9 Prozent stiegen. Damit stieg das Außenhandelsdefizit mit Russland von 37,3 auf 115 Milliarden Euro an. Ebenfalls ein großer Profiteur der hohen Energiepreise ist Norwegen, mit dem die Europäische Union in den ersten acht Monaten des Vorjahres noch ein Handelsdefizit von 2,6 Milliarden Euro hatte, welches jedoch im diesjährigen Vergleichszeitraum auf ganze 60,1 Milliarden Euro anstieg.
Wie geht es weiter?
Die anhaltend hohen Energiepreise werden den Exodus von ganzen Industrien (Chemieindustrie, Metallverarbeitung/-verhüttung, Düngerproduktion usw.) vorantreiben. Das senkt zwar den Bedarf an Erdgas, wird jedoch auch die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Europäischen Union massivst schwächen. Die starken Zuwächse bei den Exporten beruhen eher auch auf den inflationären Konditionen und weniger auf einer tatsächlichen (quantitativen) Zunahme der Ausfuhren. Mit der sich abzeichnenden Deindustrialisierung wird sich dies nicht zum Besseren ändern.
Gleichzeitig werden die Energiepreise weiterhin hoch bleiben, was die Ausgaben für die Importe von Erdöl, Erdgas und Kohle weiterhin auf einem hohen Niveau bleiben lässt. Sofern es der EZB nicht gelingt, den Euro gegenüber dem US-Dollar zu stärken, könnte eine weitere Schwächung der Gemeinschaftswährung gegenüber der Weltleitwährung sogar für eine weitere Verschlechterung der Lage sorgen. Denn ohne günstige Energie hat Europa nicht mehr viele Produkte, die selbst bei einem schwachen Euro zu konkurrenzfähigen Preisen ins Ausland verkauft werden können.