Über 84.200 Stellungnahmen sind zum umstrittenen österreichischen Impfpflichtgesetz eingegangen. Ein Dokument mit besonderer Sprengkraft wurde am 10. Januar vom Dachverband der Verwaltungsrichter (DVVR) eingereicht: In ihrer Stellungnahme kommen die Verwaltungsrichter zu dem Schluss, dass eine zeitnahe Vollziehung der Covid-Impfpflicht schlicht und ergreifend nicht möglich ist. Das liegt vor allem daran, dass die Politik den gewaltigen Mehraufwand für die Verwaltungsgerichte außer Acht lässt, der durch die erwartbare Masse an Klagen entstehen wird.
Der Gesetzesentwurf für die Impfpflicht in Österreich geht von folgenden Zahlen von Verwaltungsstrafverfahren in den kommenden Jahren aus (zitiert aus der Stellungnahme des DVVR, hier nachzulesen):
Der Entwurf schätzt in seinen Erläuterungen, dass sich die Impfpflicht im Jahr 2022 in 1,400.000, im Jahr 2023 in 400.000 und im Jahr 2024 in 40.000 Verwaltungsstrafverfahren niederschlagen wird, in denen im Jahr 2022 in 100.000 Fällen und in den Jahren 2023 und 2024 in 30.000 bzw. 3.000 Fällen die Verwaltungsgerichte (der Länder) mit Beschwerde angerufen werden; der Zeitaufwand pro verwaltungsrechtlichem Verfahren wird vom Entwurf mit 3 Stunden veranschlagt.
Das schätzt der Dachverband der Verwaltungsrichter jedoch als zu gering ein. Offenbar unterschätzt man laut Ansicht der Richter den Widerstand gegen die Impfpflicht in der Bevölkerung:
Aus rechtspolitischer Sicht ist zu erwarten, dass Impfpflichtige, die bislang noch nicht vom Impfangebot Gebrauch gemacht haben, ihre bisher eingenommenen Standpunkte wohl konsequent zu verteidigen versuchen werden, indem sie vom Rechtsschutz Gebrauch machen, und zwar in höherem Ausmaß als vom Entwurf erwartet.
Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurses über die Impfpflicht ist nicht nur eine Rechtsmittelquote von unter 10 Prozent optimistisch gering geschätzt, sondern auch der Zeitaufwand pro Fall unrealistisch niedrig veranschlagt, weil in zahlreichen Fällen Beschwerdevorbringen zu erwarten ist, das auf die Beziehung von Sachverständigen durch die Verwaltungsgerichte hinauslaufen wird, wie dies die zahlreichen Verwaltungsstrafverfahren auf Grund des COVID-19-Maßnahmengesetzes zeigen.
Dabei würden schon die im Gesetzesentwurf genannten Zahlen laut Stellungnahme mindestens eine Verdoppelung der Zahl der Richter in den Verwaltungsgerichten im Jahr 2022 erfordern. Wie das umzusetzen sein soll, bleibt jedoch völlig offen – darüber scheint die Politik sich keine Gedanken gemacht zu haben. Und das ist noch nicht alles:
Ebenso ist eine signifikante Zahl von Beschwerden und – angesichts der Diskussionen um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Impfpflicht – von Normprüfungsanträgen an den Verfassungsgerichtshof zu erwarten: so definiert der Entwurf das Ziel, an Hand dessen die Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht fortlaufend zu beurteilen sein wird, nur vage. Auch räumt der Entwurf in § 4 Abs. 7 dem federführenden Minister eine sehr weit umschriebene Verordnungsbefugnis ein. Vergegenwärtig man sich die Zahl der Normprüfungsverfahren hinsichtlich der zahlreichen legistischen und exekutiven COVID-19-Maßnahmen, ist eine Vielzahl weiterer Normprüfungsanträge zu erwarten. Diese wiederum könnten in eine Unterbrechung von zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren münden.
Das Fazit des DVVR fällt entsprechend deutlich aus:
Ohne eine Vorsorge auch für diesen Mehraufwand ist eine zeitnahe Vollziehung der Impfpflicht und damit eine Verwirklichung des gesetzgeberischen Ziels nicht zu erwarten.
Zuvor hatte schon die ELGA in ihrer Stellungnahme zum Impfpflichtgesetz festgehalten, dass eine technische Umsetzung des Vorhabens über das nationale Impfregister frühestens im April möglich sein wird (Report24 berichtete).