Einem Bericht des britischen Telegraph zu Folge sollen mehr als die Hälfte aller in der britischen Covid-19 Krankenhaus-Statistik erfassten Patienten, die stationär behandelt wurden, erst nach der Aufnahme positiv auf das Coronavirus getestet worden sein – in einzelnen Fällen sogar Wochen später. Sie seien wegen ganz anderer Beschwerden ohne Bezug zu Covid-19 eingeliefert worden. Das Virus sei bei einer nicht unerheblichen Anzahl an Patienten nur durch anlasslose Routinetests erfasst worden, die Anzahl der täglich gemeldeten Positivtests auf diese Art und Weise konstant künstlich hochgehalten.
Von Max Bergmann
Britische Experten wiesen nach Veröffentlichung dieser neuen Daten durch den Telegraph darauf hin, die landesweiten offiziellen Statistiken, die täglich unter anderem auf der Seite der Regierung veröffentlicht werden, könnten damit in erheblichem Maße überbewertet worden sein. Die gemeldeten Zahlen wurden auch regelmäßig von Ministern bei der Bewertung neuer Maßnahmen herangezogen und waren somit auch die Basis für massive Einschränkungen der Grundrechte durch Lockdowns und Ausgangssperren.
56 Prozent aller Patienten nur durch anlasslosen Routine-Test „Covid-Kranker“
Die nun durchgesickerten Daten belegen, nur 44 Prozent aller Patienten, die später im Zusammenhang mit Covid-19 stationär behandelt wurden, waren zum Zeitpunkt ihrer Krankenhausaufnahme schon positiv getestet. Die Mehrheit aller Fälle sei erst später und nach routinemäßigen, anlasslosen Covid-19 Tests überhaupt entdeckt worden, flossen dennoch in vollem Umfang in die Statistik ein. 56 Prozent aller Covid-Krankenhauseinweisungen seien laut den Daten, die dem Telegraph eigener Aussage nach exklusiv vorliegen, überhaupt nur durch diese anlasslose Massentestung der Patienten in die Statistik eingeflossen.
Bei dieser Gruppe offenbart sich die gravierende Problematik mit der britischen Statistikführung: Es wurde nicht unterschieden zwischen
- Patienten, die wegen einer schweren Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert wurden und bei denen sich dann herausstellte, der SARS-CoV2 Erreger sei für die Beschwerden verantwortlich und
- den Patienten, die ohne den Routinetest niemals von Ihrer Ansteckung mit Covid-19 erfahren hätten.
Teilweise Wochen später: Krankenhäuser diagnostizieren Covid-19 nachträglich
Britische Mediziner wiesen die NHS-Trusts (eine Organisationseinheit des nationalen Gesundheitsdienstes) vergangenen Monat an, eine systematische Kategorisierung des aktuellen Bestands an Covid-19 Patienten vorzulegen, aufgeschlüsselt nach denen, die wegen ihrer Covid-19 Infektion stationär behandelt wurden und denen, die aus sonstigen Gründen in Behandlung aber positiv getestet waren. Der NHS blieb diese Daten bislang schuldig.
Die nun durchgesickerten und vom Telegraph am Montag veröffentlichten Daten machen deutlich: In der überwiegenden Mehrheit der Fälle wurde Covid-19 als Grund für die Einweisung ins Krankenhaus erst nachträglich diagnostiziert und in der Statistik erfasst, in einigen Fällen sogar erst Wochen später, wie der Telegraph berichtet.
Deutliche Mehrheit der „Covid-Patienten“ wegen anderer Erkrankung eingeliefert
Die Analyse der Statistik der Covid-19 Hospitalisierungen in Großbritannien zeigt, von den mehr als 780 Krankenhauseinweisungen am vergangenen Donnerstag seien nur 44 Prozent der Personen bereits innerhalb 14 Tage vor ihrer stationären Aufnahme positiv getestet worden. Weitere 43 Prozent der positiven Covid-19 Tests seien dann erst innerhalb von 2 Tagen nach der Einlieferung der Patienten ins Krankenhaus statistisch erfasst worden, in 13 Prozent der Fälle sogar erst nach einigen Tagen bis hin zu Wochen – einschließlich derjenigen Ansteckungen, die aller Voraussicht nach im Krankenhaus stattfanden. Einige britische Experten vermuteten, die hohe Zahl der Ansteckungen, die erst spät entdeckt wurden, deute darauf hin dass viele der Patienten aus anderen Gründen als Covid-19 ins Krankenhaus überwiesen wurden.
Covid-19 wurde oft nur „entdeckt“ weil zielgerichtet danach gesucht wurde
Prof. Carl Heneghan, Direktor des Center for Evidence-Based Medicine (Zentrum für evidenzbasierte Medizin) an der University of Oxford, resümierte mit Blick auf die Statistik: „Diese Daten sind unglaublich wichtig und sollten fortlaufend veröffentlicht werden. Wenn die Leute von Krankenhausaufenthalten in Verbindung mit Covid hören, nehmen sie an, dass Covid die wahrscheinliche Ursache ist, aber die vorliegenden Daten zeigen etwas völlig anderes – es geht hier darum, dass Covid entdeckt wird, weil man mit Tests danach gesucht hat“.
Unklare Datenlage führt zu falschen Schlussfolgerungen in der Bevölkerung
Prof. Heneghan forderte die britische Regierung auf, für eine klare Datenlage zu sorgen und diese zu veröffentlichen, einschließlich der Einschätzung, ob das Coronavirus die Hauptursache für die stationäre Behandlung war oder nicht. „Dies muss dringend erhoben werden“, stellte er fest und ergänzte, die bisher veröffentlichten Daten könnten in der Bevölkerung „zu falschen Schlussfolgerungen“ über die tatsächliche Auslastung der Krankenhäuser führen, die Situation dramatischer wirken als sie tatsächlich sei.
Alle positiv getesteten Patienten als Covid-Kranke auszuweisen ist irreführend
Sir Graham Brady, der Vorsitzende des im Jahr 1922 gegründeten Ausschusses der Tory-Abgeordneten, kritisierte die unklare Datenlage heftig: „Nach fast 18 Monaten Covid-Krise wirkt es absurd, dass Daten, die die Krankenhauseinweisungen aufschlüsseln, der breiten Öffentlichkeit bis heute nicht zugänglich gemacht werden. Alle positiv getesteten Patienten pauschal als Covid-Krankenhauseinweisungen auszuweisen ist zwangsläufig irreführend und vermittelt ein falsches Bild von den anhaltenden gesundheitlichen Auswirkungen des Virus“, so Brady.
Fehlende Unterscheidung: Wer kam „wegen“ Covid, wer nur „mit“ Covid?
Greg Clark, der Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Technologie im britischen Unterhaus, sagte am Montagabend, er werde Gesundheitsminister Sajid Javid persönlich schreiben und ihn bitten, die Aufschlüsselung dieser wichtigen Daten regelmäßig der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen nachdem der Telegraph zu Beginn der Woche auf die unklare Datenlage aufmerksam machte. „Sollten Krankenhausaufenthalte aufgrund von Covid ein entscheidender Faktor dafür sind, wie besorgt wir sein sollten und wie schnell die Beschränkungen aufgehoben werden sollten, ist es wichtig, dass die Daten nicht so präsentiert werden, dass sie zu falschen Schlussfolgerungen führen könnten“, sagte Clark. „Einige der Menschen sind möglicherweise ursächlich wegen Covid eingeliefert worden, derzeit wissen wir aber nicht, wie viele. Im Falle der anderen ist es unerlässlich, zu unterscheiden, ob ein Patient ausdrücklich wegen Covid ins Krankenhaus eingeliefert wurde oder wegen etwas anderem, obwohl eine Covid Infektion in einer so milden Form vorlag, dass sie nicht ursächlich für die stationäre Behandlung war“.
NHS-Datenexperte: Bisher veröffentliche Daten verzerren das wahre Bild
Die nun veröffentlichten Statistiken stammen aus den täglichen Lageberichten des NHS, die Daten werden von allen Krankenhäusern in England gesammelt und dann zusammengetragen. Auch ein NHS-Datenexperte sagte, die bisher veröffentlichten Daten verzerrten das wahre Bild und stellte fest: „Es entsteht der Eindruck dass all diese Menschen mit Covid ins Krankenhaus kommen und das ist einfach nicht der Fall. Die Menschen sind besorgt und verängstigt und verstehen die Wirklichkeit nicht – das empfinde ich als verachtenswert.“
Nationaler Gesundheitsdienst erklärt sich für überlastet – trotz sinkender Zahlen
Ein Sprecher des NHS versuchte, sich zu erklären: „Viele Patienten werden wegen ihrer Covid-Symptome und -Komplikationen ins Krankenhaus eingeliefert, die dann mit einem Covid-Test nach der Aufnahme bestätigt werden, und in anderen Fällen können sie zunächst präsymptomatisch oder asymptomatisch sein.“
Führende Vertreter des NHS teilten nun am Dienstag mit, der nationale britische Gesundheitsdienst sei heute ähnlich überlastet wie auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie im Januar – und baten um zusätzliche Mittel. Die gemeldeten Positivtests sinken in Großbritannien zwischenzeitlich den siebten Tag in Folge deutlich, und das obwohl – oder gerade weil – seit dem 19. Juli fast alle freiheitseinschränkenden Maßnahmen im Rahmen des „Freedom Days“ aufgehoben wurden.
Verband der britischen Krankenhäuser warnt vor Überlastung der Intensivstationen
In einem Schreiben an den britischen Premierminister Boris Johnson, den Kanzler und den Gesundheitsminister äußerte „NHS-Providers“, der Verband der britischen Krankenhäuser, die Befürchtung, die Situation auf den Intensivstationen könne sich zunächst noch zusätzlich verschärfen bevor sie sich entspannt. Insgesamt gebe es regional sehr „unterschiedliche Belastungen“, einschließlich einer hohen Anzahl an pflegebedürftigen Patienten und Mitarbeitern, die sich auf Grund eines Risikokontakts selbst isolieren oder aber im Jahresurlaub sind. Die Situation in den britischen Krankenhäusern sei demnach „genauso schlimm wie zu Jahresbeginn“.