Einem Bericht der BILD-Zeitung nach kam es am Montag offenbar zu einer geheimen Schaltkonferenz zwischen Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und den Staatskanzlei-Chefs der Bundesländer. Auslöser war ein der Öffentlichkeit bisher unbekanntes neues Papier des RKI-Chefs Lothar Wieler, indem er der Politik mit Nachdruck empfiehlt, weitere Verschärfungen von Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Merkel-Minister Braun machte zuletzt mit Forderungen nach massiven Einschränkungen für Ungeimpfte auf sich aufmerksam.
Von Max Bergmann
In dem Papier, das der BILD-Zeitung laut eigenen Angaben exklusiv vorliege , betont der Chef des deutschen Robert-Koch-Instituts, die vierte Welle habe bereits begonnen. Der 7-Tage-Inzidenz Wert müsse außerdem weiterhin „Leitindikator“ für die Pandemie bleiben. Der starre Blick auf Inzidenzen wurde zuletzt vermehrt kritisiert, da dieser Wert alleine wenig aussagekräftig ist und die Lage in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen nicht abbildet. Noch vor einigen Wochen teilte Wielers Behörde mit, die Inzidenzzahl verliere zunehmend an Bedeutung – die Hintergründe dieser radikalen Kehrtwende sind bislang unklar. Selbst der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte in diesem Zusammenhang: „Die Inzidenz verliert zunehmend an Aussagekraft!“.
Wieler: „Prävention hat weiterhin die höchste Priorität“
In dem nun veröffentlichen Strategie-Papier empfiehlt das Robert-Koch-Institut der Politik nur kurze Zeit später eine völlig konträre Position. „Eine steigende 7-Tage-Inzidenz geht dieser Entwicklung voraus, sie ist und bleibt der früheste aller Indikatoren. Die 7-Tage-Inzidenz bleibt daher wichtig, um die Situation in Deutschland zu bewerten und frühzeitig Maßnahmen zur Kontrolle zu initiieren. Hohe Impfquoten alleine sind nicht ausreichend die vierte Welle flach zu halten“, so Wieler. Was die Gründe für die Abkehr von der bisherigen Position des RKI sind bleibt unerwähnt.
Beruhigende Daten wurden im Strategie-Papier komplett unterschlagen
Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen verwies der RKI-Chef in seinem Papier auch auf angeblich steigende Fallzahlen in Großbritannien (Wieler: „Starker Anstieg der Fälle“). Der Tierarzt verwendete hierfür Informationen der BILD-Zeitung nach Zahlen vom 22. Juli, das Papier des Regierungsberaters sei aber datiert auf den 26. Juli. Nach übereinstimmenden Medienberichten sind die gemeldeten Fallzahlen in Großbritannien seit mehr als einer Woche im Sinkflug. Die britische Daily Mail berichtete am Montag, man sei zwar weit entfernt von Zero Covid, aber ein Ende sei in Sicht.
Sinkende Fallzahlen nach britischer Maßnahmen-Abschaffung in Deutschland ignoriert
Großbritannien feierte am 19. Juli seinen „Freedom-Day“, fast alle Einschränkungen des öffentlichen Lebens wurden ersatzlos aufgehoben. Das Infektionsgeschehen im Vereinigten Königreich flaut dennoch – oder gerade deswegen – merklich ab. Britischen Experten nach sei es noch zu früh, die Auswirkungen des Freedom Days auf das aktuelle Infektionsgeschehen einzuschätzen. Dennoch brachen die Fallzahlen in Großbritannien 6 Tage hintereinander um etwa 38 Prozent ein, gleichzeitig wurden um 24 Prozent weniger Todesfälle gemeldet. Diese eklatant positive Entwicklung verschweigt Lothar Wieler in seinem Strategie-Papier vollständig. Viel mehr: Er erweckt den Eindruck, die Fallzahlen dort würden ansteigen – eine gravierende Falschaussage.
10. August: Ministerpräsidentenkonferenz geplant – folgt erneuter Lockdown?
Kanzleramtsminister Braun (CDU) forderte am Rande der geheimen Schaltkonferenz noch am Montag, es müsse eine Richtungsentscheidung getroffen werden. Soll das Ziel von Bund und Ländern sein, die Überlastung des Gesundheitssystems durch schwer an Covid-19 Erkrankte zu verhindern? Dann wäre eine Abkehr vom Inzidenzwert als ausschlaggebender Richtungswert durchaus vertretbar, hohe Inzidenzen stellen der Erfahrung der letzten Monate nach kein Problem dar. Junge Menschen erkranken in der Regel nicht schwer an Covid-19 und die Risikogruppen sind weitestgehend geimpft.
Die alt bekannte Panikmache mit unbekanntem Ziel
Oder ist das Ziel, Inzidenzen so niedrig wie möglich zu halten um den Gesundheitsämtern die Kontaktnachverfolgung weiterhin zu ermöglichen? Diese Niedrig-Inzidenz-Strategie fordert Wieler nun von der Politik ein und kommt damit indirekt der Forderung nach einem erneuten Lockdown und Ausgangssperren spätestens im Herbst bedenklich nahe. Wie nun bekannt wurde haben sich die Vertreter der Länder als Reaktion auf das neue Strategiepapier des Robert-Koch-Instituts zu einer außerplanmäßigen Zusammenkunft mit Bundeskanzlerin Merkel am 10. August verabredet. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), erklärte am Dienstag: „Der Korridor, um der gegenwärtigen Entwicklung noch wirksam entgegenzuwirken, wird enger“.
Übrigens: Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein offizielles Verfassungsorgan und auch nicht an der Gesetzgebung des Bundes oder der Länder beteiligt. Dass Entscheidungen, die ganz Deutschland betreffen, im Zuge der behaupteten Corona-Pandemie von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen werden ist grundgesetzwidrig.
Update 28.07, 15:45.: Auf Anfrage von Report24 teilte die Pressesprecherin des Robert-Koch-Instituts, Susanne Glasmacher, per E-Mail mit, man wolle „Gespräche dieser Art nicht kommentieren“. Vorausgegangen ist eine Anfrage der Redaktion an die Pressestelle des RKI mit der Frage, warum die Zahlen in Großbritannien mit „Starker Anstieg der Fälle“ beschrieben werden obwohl seit mittlerweile 7 Tagen das Gegenteil der Fall ist.