Die Social-Media Plattform #gettr ging vor wenigen Tagen an den Start und spricht hauptsächlich Nutzer an, die auf klassischen Plattformen wie Twitter und Facebook gesperrt sind oder sich dort auf Grund der Auflagen nicht mehr trauen, ihre Meinung frei zu äußern. Initiiert wurde der neue Mikroblogging-Dienst von engen, ehemaligen Beratern Donald Trumps – unter anderem Jason Miller. Man soll dort noch sagen dürfen, was man denke, Meinungsfreiheit sei der Grundpfeiler des Twitter-Klons. Doch der Dienst kämpft nicht nur mit Kinderkrankheiten, sondern auch mit ernstzunehmenden Sicherheitslücken.
Donald Trump ist gesperrt – nicht nur auf Twitter, auch auf Facebook. Seine teils provokanten Tweets und Postings sorgten immer wieder für Aufmerksamkeit und Erregung, zuletzt während des „Sturms auf das Kapitol“ Anfang des Jahres. Die Folge: Dauerhafte Account-Sperrung bei Twitter, zeitweise Account-Sperrung auf Facebook, mindestens bis ins Jahr 2023 hinein. Auch Google sperrte Trump: Der YouTube Kanal des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist ebenfalls nicht mehr verfügbar. Am Mittwoch kündigte Trump eine Sammelklage gegen Twitter, Facebook und Google an. „Das wird die größte Sammelklage aller Zeiten“, teilte der ehemalige US-Präsident seinen Anhängern mit. „Tausende Patrioten werden mitmachen“. Trump klagt sich also zurück. Zwischenzeitlich entwickelten Trump-nahe Mitarbeiter ein neues soziales Netzwerk, auf dem „Freedom of speech“ auch ebendieses noch sein soll und nannten es #gettr, ein Kofferwort aus „get together“. Trump ist dort bislang nicht vertreten.
Täuschend echte Fake Accounts bekannter Persönlichkeiten – auch Donald Trump betroffen
Nun kann man den Gründern von #gettr nicht vorwerfen, sie hätten nicht mitgedacht. Account-Namen wie @realDonaldTrump oder beispielsweise auch der von politischen Parteien wie @AfD können derzeit mit dem Hinweis auf eine Reservierung nicht registriert werden, der Versuch schlägt fehl. Diverse Account-Namen sind vorbehalten für Personen des öffentlichen Lebens, politischen Parteien, Vereinen, Gruppierungen und ähnlichem. Dennoch tauchten in den ersten Tagen immer wieder Accounts auf, die sich kurze Zeit später als Fälschung herausstellten. Donald Trump selbst ist bisher nicht auf der von seinen ehemaligen Beratern entwickelten Plattform zu finden. Das Konto @realDonaldTrump sei aber für ihn reserviert. Besonders dreist: Mehrere Nutzer haben, beispielsweise unter @presDonaldTrump, gefälschte Accounts im Namen des früheren US-Präsidenten angelegt und damit zwischenzeitlich beachtliche Reichweite erreicht. Ein Konto führt sogar einen schwarzen Haken im Profilnamen, um Authentizität zu suggerieren. Dass der echte Donald Trump überhaupt bei #gettr einsteigt ist mittlerweile mehr als fragwürdig. Die Bloomberg-Reporterin Jennifer Jacobs twitterte am 01. Juli, Trump werde sich nicht an der neuen Social-Media-Plattform beteiligen, unter anderem da er offenbar weiterhin Pläne für ein eigenes Netzwerk verfolge.
Auch die vermeintlichen #gettr Konten des bekannten Journalisten Boris Reitschuster und das von Professor Stefan Homburg, bekannt für seine Zahlen, Daten, Fakten zum Coronavirus und seiner Kritik an den Corona-Maßnahmen der deutschen Bundesregierung, sind gefälscht. Beides sind Persönlichkeiten mit zehntausenden Followern auf Twitter. Zuletzt distanzierte sich Stefan Homburg ausdrücklich von dem #gettr Account und teilte mit, er sei eine Fälschung.
#gettr nur ein billiges Twitter-Imitat?
Man muss nicht einmal genau hinsehen um festzustellen, wo man sich hat inspirieren lassen. Die #gettr App ähnelt sowohl optisch als auch von der Bedienung her Twitter in frappierender Art und Weise. Auch nutzt man offenbar die Twitter Programmierschnittstellen, auch APIs genannt. Damit besteht für Twitter-Nutzer die Möglichkeit, beim Wechsel zu #gettr Follower und Tweets „mitzunehmen“, ihr altes Profil quasi zu klonen – sofern der identische Nutzername auf beiden Portalen gewählt wird. Das US Online-Portal Tech Crunch hat dazu bei der Pressestelle von Twitter um eine Stellungnahme gebeten und keine Rückmeldung erhalten.
Eine Kurznachricht darf bei #gettr 777 Zeichen lang sein, Videos können mit bis zu 3 Minuten Länge hochgeladen werden.
Wichtige Werkzeuge in der Alltagsnutzung fehlen
So sehr #gettr Twitter auch optisch ähnelt, so stark unterscheiden sie sich im Detail: Wichtige Werkzeuge in der Alltagsnutzung fehlen bis auf weiteres, der Support reagiert bislang nicht auf Rückfragen zu diesen Themen. Direktnachrichten zwischen den Nutzern sind nicht möglich, auch Benachrichtigungen über Erwähnungen oder neue Follower sind für #gettr ein Fremdwort. Während man auf die Möglichkeit einer privaten Nachricht durchaus noch verzichten kann, ist die fehlende Benachrichtigungsfunktion ein gravierender Nachteil: Wird man auf #gettr erwähnt, sei es in einem Post oder in einer Antwort auf einem Post, erhält man keine Benachrichtigung, keine Push-Nachricht, keinerlei Information. Bislang bleibt nur die Möglichkeit, regelmäßig manuell die eigenen Posts nach Kommentaren anderer Nutzer zu durchforsten, sicher kein angenehmer Dauerzustand. Auch der Umgang mit den persönlichen Daten der Nutzer ist zu kritisieren – so kann die bei der Registrierung verwendete E-Mail-Adresse derzeit weder eingesehen geschweige denn verändert oder gar entfernt werden. Auch das vollständige Löschen des Kontos ist nicht möglich. Immerhin: Die Funktion, sein eigenes Passwort zu ändern, existiert. Um langfristig auf dem umkämpften Markt bestehen zu können ist dringend Nachbesserung gefordert.
Gleich 2-mal gehackt innerhalb weniger Tage – #gettr ein Sicherheitsrisiko?
Business Insider nach wurde der Dienst bereits am ersten Tag erfolgreich angegriffen, die dafür verantwortliche Person spricht auch von weiteren gravierenden Sicherheitslücken in den Programmierschnittstellen des sozialen Netzwerks. Unter den vom Hack betroffenen Profilen waren auch viele verifizierte Nutzer, die meisten von ihnen ehemalige Trump-Berater. Auch die Support-Seite von #gettr wurde angegriffen. Die Accounts zeigten alle den Namen des mutmaßlichen Hackers und ein und dieselbe Nachricht, die Palästina politisch unterstützte. Man habe nach etwa 90 Minuten die Situation unter Kontrolle gebracht. Der Hacker erklärte gegenüber Business Insider, dass #gettr den ursprünglichen Fehler zwar behoben habe, es aber immer noch möglich sei, Benutzerdaten von einzelnen Konten abzugreifen. Dazu zählen E-Mail-Adressen und auch das Geburtsjahr.
Am frühen Mittwochabend kam es zu einem erneuten Angriff auf die Plattform, diesmal waren auch zunehmend deutsche Nutzer betroffen. Wieder wurden Profilnamen und diesmal auch Profilbilder durch den Namen und ein Bild des mutmaßlichen Hackers ausgetauscht. In diesem Fall war auf den Profilen eine Nachricht mit der Falschinformation zu lesen, Twitter habe den Account Trumps – „dem besten Präsidenten, den Amerika jemals hatte“ – wiederhergestellt.
Die Nachricht wurde durch die betroffenen Accounts im Sekundentakt immer und immer wieder re-posted so dass die Timelines der restlichen Nutzer damit nach kurzer Zeit überflutet waren. Im Laufe der Nacht deutscher Zeit wurde das gesamte System offenbar vollständig heruntergefahren, Timelines wurden nicht mehr aktualisiert. Am Donnerstagmorgen funktionierte alles wieder wie gewohnt, alle vom Angriff betroffenen Accounts wurden aber kommentarlos gesperrt und waren nicht mehr nutzbar. Zum Hack und dessen Konsequenzen erfolgte aber keinerlei Stellungnahme auf der Support-Seite des Anbieters. Ob durch den wiederkehrenden Angriff erneut persönliche Daten der Nutzer abgegriffen wurden ist bislang unklar.
Vor Bundestagswahl in Deutschland: Welle der Zensur auf Twitter
Erste Tests legen nahe, Meinungsfreiheit wird auf #gettr tatsächlich ernst genommen. Für Äußerungen, wegen derer man auf Twitter gesperrt wurde, bleibt man auf #gettr weitestgehend unbehelligt. Twitter wird derzeit, wenige Monate vor den richtungsweisenden Wahlen in Deutschland, von einer wahren Zensur-Welle durchzogen. Viele bekannte und große Accounts wurden zeitweise oder gar permanent gesperrt – wegen einer Meinungsäußerung oder unbequemen Wahrheiten. Der FDP-Politiker Gerhard Papke beispielsweise wurde für seine Äußerung über Gewaltkriminalität durch Flüchtlinge zunächst gesperrt und nun wieder freigeschalten.
Auch die Journalistin Anabel Schunke wurde gesperrt – permanent. In ihrem Erfahrungsbericht dazu schildert sie auf achgut.com, wie die dauerhafte Sperrung ihres Twitter Kontos und der damit verbundene Wegfall von Reichweite ihre Existenz als Journalistin bedroht.
#gettr mit guten Ansätzen, aber schlecht umgesetzt
Die Stärkung der Meinungsfreiheit ist in der heutigen Zeit elementar wichtig, insbesondere in einem Wahljahr der Superlative. In Deutschland stehen im September noch Landtagswahlen sowie die Bundestagswahl an. Zensurgesetze wie das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verpflichten soziale Netzwerke zur Löschung unbequemer Wahrheiten, #gettr setzt sich hier bislang erfolgreich zur Wehr. Die geschilderten Umstände verlangen jedoch schnellstmögliche Beachtung durch die Verantwortlichen des neuen Netzwerks und dringende Nachbesserung. Es sind schon die nächsten Tage und Wochen, die für das Portal entscheidend sein werden. Sollte sich mit Hinblick auf Datenschutz, Sicherheit und Komfortfunktionen nicht alsbald Verbesserung einstellen wird #gettr nicht lange bestehen.