Europäische Union sanktioniert weitere Politikwissenschaftler und Journalisten

Ursula von der Leyen (C) R24/KI

Die Europäische Union verschärft ihr Sanktionsregime und greift zunehmend in Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit ein. Neue Strafmaßnahmen richten sich gezielt gegen Journalisten, Politikwissenschaftler und Kommentatoren. Begründet wird dies mit angeblicher Desinformation, „falschen“ geopolitischen Positionen oder Kritik an NATO, Corona-Politik und Nahost-Narrativen. Damit verabschiedet man sich einen weiteren Schritt von Rechtsstaat und Demokratie. Diese Art von Maßnahmen ist schlichtweg rechtswidrig.

Dieser Text erschien zunächst auf multipolar.

Dutzende Personen sind auf Beschluss des EU-Rats für Auswärtige Angelegenheiten am 15. Dezember mit Sanktionen belegt worden. Ihnen wird Beteiligung an „destabilisierenden Aktivitäten Russlands“ vorgeworfen. Konkret unterliegen insgesamt 59 Personen aus verschiedenen Ländern „restriktiven Maßnahmen“. Ihnen werden „sämtliche Gelder und wirtschaftliche Ressourcen“ blockiert. Bürger und Unternehmen der EU dürfen ihnen „weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung“ stellen oder „zugutekommen“ lassen. Der sanktionierten Person ist die Einreise in die EU und die Durchreise durch EU-Mitgliedstaaten verboten.

Betroffene aus Journalismus und Wissenschaft

In die neueste Sanktionsliste wurden neben dem pensionierten Schweizer Offizier Jacques Baud auch fünf russische Politikwissenschaftler und Funktionsträger im Diskussionsforum „Waldai-Klub“ aufgenommen. Darunter befindet sich auch der Forschungsdirektor und Journalist Fjodor Lukjanow. Dem Chefredakteur der Zeitschrift „Russia in Global Affairs“ wird vorgeworfen, er stelle Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine als defensive Reaktion auf die westliche Politik dar. Er beschuldige wiederholt die Europäische Union, die Nato und die USA, den Konflikt zu „provozieren“, rechtfertige russische Militäraktionen als „notwendig“, um die Nato-Erweiterung zu stoppen. Er trage zu „systematischen Desinformationskampagnen“ bei, mit denen „die Schuld für den Krieg der Ukraine und dem Westen zugeschrieben“ werde.

Ukrainische Kriegsverbrechen dürfen nicht benannt werden

Ähnliches wird dem Wissenschaftler Andrej Suschentsow zur Last gelegt. Er habe „Narrative“ verbreitet, etwa dass die von den USA geführte „unipolare Weltordnung“ zusammenbreche und Russland gemeinsam mit China und dem Globalen Süden „eine gerechtere multipolare Welt“ aufbaue. Zu den beanstandeten Thesen gehört auch, dass westliche Sanktionen „unrechtmäßig und selbstzerstörerisch“ seien und als „Druckmittel gegen souveräne Staaten eingesetzt“ würden. Unter den neu sanktionierten Personen befindet sich zudem die ukrainisch-russische Journalistin Diana Panschenko. Sie wird der „Manipulation“ bezichtigt, da sie ukrainische Behörden als „Nazis“ darstelle und ihnen vorwerfe, „ihr eigenes Volk zu verraten“. Die von der EU angeführten Belege gegen Panschenko stammen vom ukrainischen Geheimdienst (SBU). Der norwegische Politologe Glenn Diesen erklärte, viele Berichte Panschenkos beträfen die „brutale Mobilisierung ukrainischer Männer, die aus ihren Wohnungen und von den Straßen geholt werden“, um an die Front geschickt zu werden. In der Denkweise der EU sei alles, was den Krieg nicht unterstützt, anti-ukrainisch.

Politische Meinungsäußerungen als Sanktionsgrund

Medienschaffende von Osteuropa über Afrika bis nach Lateinamerika, denen pro-russische, anti-ukrainische oder anti-westliche Perspektiven vorgeworfen werden, wurden bereits sanktioniert. Ein Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes, Redaktionsleiter der „African Initiative“ und Gründer zweiter Medienunternehmen in Afrika, Artjom Kureew, wurde bereits im Dezember 2024 gelistet, da er „Verschwörungstheorien“ verbreite. Dazu gehöre, etwa dass „Afrika von westlichen Pharmaunternehmen mutmaßlich für Experimente der biologischen Kriegsführung und illegale Tests von verschiedenen Arzneimitteln benutzt wird“. Die „Social-Media-Influencerin“ Nathalie Yamb, Schweizerin mit kamerunischen Wurzeln, wird seit Juni 2025 sanktioniert, da sie „der von Moskau vorgegebenen Sprache“ folge sowie „Frankreich und den Westen ins Visier“ genommen habe, „um sie vom afrikanischen Kontinent zu verdrängen“. Nathalie Yamb beschreibt in einem Video auf „X“ die praktischen Folgen der Sanktionen.

Corona-Kritik und geopolitische Abweichungen

Auch pro-palästinensische oder israelkritische Positionen werden bestraft. Dem australisch-russischen Blogger Simeon Boikov wird die „Verbreitung kremlfreundlicher Narrative“ und „Fehlinformationen insbesondere in Bezug auf die COVID-19-Pandemie“ vorgeworfen. Er wurde im Juli in die Sanktionsliste aufgenommen. Den Ukrainer Oleg Woloschin traf es im Mai. Er sei ein Vertreter der „prorussischen“ Opposition in der Ukraine, bis 2023 Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Ihm wird vorgeworfen, ein Instrument des ukrainischen Exilpolitikers Viktor Medwedtschuk zu sein. Er habe Konferenzen mit Parlamentariern aus Frankreich, Deutschland, Russland und der Ukraine organisiert, um vor dem russischen Angriff die Konfliktlage zu lösen.

Fehlende Anhörung und Rechtsschutz

Die Ausweitung der Sanktionen auf natürliche Personen wird seit Oktober 2024 mit einer „systematischen hybriden Kriegsführung“ Russlands begründet. Sie „untergrabe oder bedrohe“ die „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität oder Sicherheit in der Union, in einem oder mehreren ihrer Mitgliedstaaten, in einer internationalen Organisation oder in einem Drittland“. Seit Mai 2025 genügt für eine Sanktionierung der Vorwurf, „unmittelbar oder mittelbar“ an „Informationsmanipulation und Einflussnahme“ beteiligt (Seite 56) zu sein. „Die EU und ihre Mitgliedstaaten“ würden „alle verfügbaren Mittel in vollem Umfang nutzen, um sich vor solchen böswilligen Handlungen zu schützen“ oder „davon abzuschrecken“, heißt es in der Presseerklärung des Rates vom Oktober diesen Jahres.

Rechtsgutachten mit deutlicher Kritik

Ein von den BSW-Europaabgeordneten Michael von der Schulenburg und Ruth Firmenich in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten sieht im EU-Sanktionsregime gegen natürliche Personen eine Vielzahl an Verstößen gegen EU-Recht. Die Juristinnen kritisieren unter anderem, die Sanktionen seien nicht auf Fälle begrenzt, in denen „offensichtlich ist, dass es sich um Desinformation handelt“ und „die betreffende Desinformation zu den destabilisierenden Aktivitäten Russlands beiträgt“. Es finde keine Anhörung der Person vor der Sanktionierung statt. Daher verstießen die Sanktionen gegen etliche Artikel der Charta der Grundrechte. Entscheidungen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) könnten nicht vom EU-Parlament vor dem EuGH angefochten werden, da der EU-Vertrag dies ausschließe.

Grundsatzfrage zur Meinungsfreiheit in der EU

Auf Anfrage von Multipolar beim Rat der EU verwies ein EU-Beamter auf ein Dokument des Rates, wonach die Sanktionen sich gezielt gegen Personen richteten, „die für die Politik oder Maßnahmen verantwortlich sind, auf die die EU Einfluss nehmen möchte“. Die EU-Sanktionen seien „keine Strafmaßnahmen“, heißt es darin weiter, sondern wollten eine Änderung des Verhaltens der Betroffenen bewirken. Seit einem EU-Ratsbeschluss vom 28. November 2022 gelte die „Verletzung restriktiver Maßnahmen“ als „EU-Straftat“. „Damit wird verhindert, dass die Sanktionen in den Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße durchgesetzt werden und dass diese Maßnahmen umgangen werden können“, ist in dem Dokument zu lesen. Darüber hinaus habe der Rat am 12. April 2024 neue Vorschriften erlassen, „um sicherzustellen, dass die Verletzung restriktiver Maßnahmen unter Strafe gestellt wird“.

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