Der Grünen-Politiker Omid Nouripour hat vorgeschlagen, dass jeder Mensch bis zu seinem Renteneintritt ein verpflichtendes „Gesellschaftsjahr“ absolvieren soll. Ja, richtig gelesen: Zwangsarbeit für alle – weil Freizeit, Selbstbestimmung oder die wohlverdiente Entlastung im Alter offenbar völlig überschätzt werden.
Am Rande des Parteitags der Grünen in Hannover sprach sich Nouripour, Bundestagsvizepräsident und ehemaliger Bundesvorsitzender der Grünen, im Gespräch mit dem Fernsehsender phoenix dafür aus, ein verpflichtendes „Gesellschaftsjahr“ für alle Menschen einzuführen.
„Ich finde, jeder Mensch sollte in diesem Land bis zum Renteneintrittsalter – auch nicht an einem Stück, aber vielleicht ein Jahr, auch gestückelt, einfach mal einen Beitrag leisten“, erklärte der Grüne. Er fände ein Gesellschaftsjahr, „in dem dem Allgemeinwohl gedient wird, total sinnvoll“, aber eben nicht nur für junge Leute. „Wir haben ganz wenig durchgehende Erwerbsbiografien. Viele Leute haben Pausen dazwischen, da kann man auch mal drei Monate was machen“, so Nouripour. „Das muss auch nicht beim Bund sein.“ Entscheidend sei, dass „jetzt endlich was passiert“. In den sozialen Netzen sorgt das für Stirnrunzeln. Nouripour könnte ja mit gutem Beispiel vorangehen und seinen Beitrag leisten, befindet mancher – außer mehreren abgebrochenen Studiengängen hat er nichts vorzuweisen.
Die im aktuellen Entwurf des Wehrdienstmodernisierungsgesetzes der Bundesregierung enthaltene Musterungspflicht hält der Grüne für sinnvoll. Denn auch seine Partei müsse sich angesichts der Bedrohungslage durch Russland die Frage stellen: „Wie viel Zeit haben wir denn, zum Beispiel für eine Wehrpflicht, in welcher Form auch immer?“
Bundestagsvizepräsident Omid @nouripour spricht sich bei der 51. Bundesdelegiertenkonferenz der @Die_Gruenen für ein Gesellschaftsjahr aus. Das solle aber "nicht nur für die jungen Leute" gelten, sondern jeder solle bis zum Renteneintritt "einen Beitrag leisten". pic.twitter.com/hx5g4Mq44K
— phoenix (@phoenix_de) November 29, 2025
Nouripours Idee ist kein „Gesellschaftsjahr“. Sie ist ein staatlicher Eingriff in das Leben von Millionen Menschen, der in einer freiheitlichen Gesellschaft nichts zu suchen hat. Man muss sich das einmal vorstellen: Menschen, die 40 oder 45 Jahre gearbeitet, Kinder großgezogen und Steuern gezahlt haben, sollen nun kurz vor der Rente zum staatlich verordneten Zwangsdienst antreten. Einfach so. Weil sie angeblich nichts beigetragen hätten.
Dieser Vorstoß wirkt wie eine Idee aus einem politischen Elfenbeinturm, völlig abgekoppelt vom Alltag der Bürger. Viele Menschen leisten bereits unzählige Stunden unbezahlter Arbeit: Sie betreuen Angehörige, engagieren sich im Ehrenamt, halten Vereine, Feuerwehren und Hilfsdienste am Laufen – oft zusätzlich zu einem Vollzeitberuf, bei dem sie immense Abgaben abdrücken müssen. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn Politiker selbst erst einmal ein verpflichtendes „Realitätsjahr“ absolvieren: ein Jahr in normalen Jobs, mit normalen Problemen, in normalen Lebensbedingungen. Die Gesellschaft würde davon sicher profitieren.
