Deutschland und EU setzen auf Kriegstüchtigkeit gegen Russland: Wer fragt das Volk?

Symbolbild: KI / R24

Brüssel, Berlin und die NATO rüsten sich für einen militärischen Konflikt mit der Nuklearmacht Russland. Rekordmilitärausgaben, neue Sicherheitsstrategien und der politische Schlachtruf von der „Kriegstüchtigkeit“ machen die Runde. Europa steht an einer historischen Weggabelung: Eskalation oder Vernunft, Konfrontation oder Diplomatie. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hingegen geht einen anderen Weg: Er will sein Volk über diesen „Kriegskurs“ abstimmen lassen.

Von Guido Grandt

Am 19. September 2025 drangen drei russische MiG-31 über dem Finnischen Meerbusen für rund zwölf Minuten in den estnischen Luftraum ein, bevor sie von italienischen F-35 abgefangen wurden.

Estland beantragte daraufhin NATO-Konsultationen nach Artikel 4. Moskau hingegen bestritt eine Luftraumverletzung. Die Faktenlage war heikel – und die politischen Reaktionen waren und sind es noch mehr.

CDU verschärfte den Ton – „Bis hin zum Abschuss“

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Jürgen Hardt (CDU) forderte eine klare militärische Antwort: „Der Kreml braucht ein klares Stoppschild.“ Wirkung werde nur die „klare Botschaft an Russland“ haben, „dass jede militärische Grenzverletzung mit militärischen Mitteln beantwortet wird – bis hin zum Abschuss russischer Kampfjets über NATO-Gebiet.“ Zudem warnte Hardt: „Diese Provokationen und Tests Russlands werden nur enden, wenn wir sämtliche militärischen Grenzverletzungen klar beantworten.“

Doch dies bedeutet unmissverständlich: Ein Abschuss wäre ein direkter militärischer Akt gegen Russland. Auch wenn ein solcher völkerrechtlich als Verteidigungsmaßnahme über eigenem Territorium begründet werden könnte, würde er das Eskalationsrisiko sprunghaft erhöhen – bis hin zu Gegenangriffen oder Vergeltungsmaßnahmen. Das wäre der Schritt von der Gefahrenlage in die akute Kriegsgefahr.

Kritik an „Grauzonen“

Sicherheitsexperte Nico Lange, früher Leiter im Leitungsstab des Bundesverteidigungsministeriums, erwägt ebenfalls eine solche Eskalation: „Entweder schießen wir russische Flugzeuge und Drohnen ab, die unseren Luftraum verletzen oder wir ergreifen andere Konsequenzen wie z. B. das Stornieren russischer Diplomatenvisa oder das Stoppen von Schiffen der Schattenflotte.“ Und weiter: „Wir schaffen keine Klarheit, während Putin Grauzonen produziert – das ist extrem gefährlich.“

Genau diese Grauzonenpolitik ist jedoch der Nährboden, auf dem Forderungen nach maximaler Härte – bis zum Abschuss – gedeihen.

Hingegen erklärte selbst Estlands Ex-Geheimdienstchef Eerik-Niiles Kross, dass obwohl die Russen-Jets bewaffnet waren, ein Abschuss in diesem Fall nicht nötig gewesen wäre. 

Konkret: „Heute war eine Selbstverteidigung unserer Piloten nicht erforderlich, eine klare feindliche Absicht war nicht erkennbar. Das heißt aber nicht, dass wir es uns beim nächsten Mal nicht noch einmal überlegen werden.“

Was ein Abschuss auslösen kann

Ein Abschuss von russischen Jets in einer ohnehin aufgeheizten Lage wäre mehr als Symbolpolitik. Er wäre militärische Gewaltanwendung gegen eine nuklear bewaffnete Großmacht und könnte Gegenreaktionen (etwa elektronische Kriegsführung, Raketen- oder Drohnenangriffe jenseits der Ukrainefront, asymmetrische Schritte) nach sich ziehen.

Parallel würde der NATO-Rat in laufenden Artikel-4-Konsultationen die Lage neu bewerten – und die Schwelle zur kollektiven Verteidigung (Artikel 5) würde politisch näher rücken, selbst wenn sie juristisch nicht automatisch ausgelöst werden würde.

Kurzum: Die Forderung nach Abschuss russischer Jets, die selbst keine Angriffsabsichten haben, ist ein Eskalationsbeschluss mit Kriegslogik. Wer heute einen solchen Abschuss fordert, muss der Öffentlichkeit offen sagen, was das bedeutet: ein massives Eskalationsrisiko – bis hin zum Krieg in Europa.

Es geht nicht um „Stärke zeigen“, sondern um die Frage, ob wir die Schwelle vom Krisenmanagement zur militärischen Konfrontation überschreiten. Genau davor sollte Politik die Bürger schützen – mit Klartext statt Kampfparolen.

Und dennoch geschieht dies nicht. Ganz im Gegenteil!

EU- und bundesdeutsche Kriegstrommeln

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte am 8. Oktober 2025: 

„Machen Sie keinen Fehler: Dies ist Teil eines besorgniserregenden Musters wachsender Bedrohungen. In unserer gesamten Union wurden Unterseekabel beschädigt, Flughäfen und Logistikzentren durch Cyberangriffe lahmgelegt und Wahlen ins Visier bösartiger Einflusskampagnen genommen. Diese Vorfälle werden voraussichtlich im Dunkeln der Abstreitbarkeit verharren. Dies sind keine zufallsverteilten Belästigungen. Es handelt sich um eine kohärente und eskalierende Kampagne, die darauf abzielt, unsere Bürger zu verunsichern, unsere Entschlossenheit auf die Probe zu stellen, unsere Union zu spalten und unsere Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.“

Bundeskanzler Friedrich Merz sagte am 5. Oktober 2025:

„Deswegen stehen wir der Ukraine bei – nicht nur, um der Ukraine zu helfen, sondern um Russland davor abzuschrecken, weitere Länder in Europa anzugreifen. Das könnte als Nächstes Moldau betreffen, das könnte die baltischen Staaten betreffen, das könnte Polen betreffen. Wir müssen die NATO so stark machen, dass Russland abgeschreckt wird. Und so haben wir es immer genannt. Ich habe es auf einen Satz gebracht: Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen (…) Das ist Russland. Russland hat auf Aggression umgeschaltet, Russland will die gesamte politische Nachkriegsordnung zerstören, und dagegen müssen wir uns jetzt zur Wehr setzen. Und das tun wir auch.“

CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter ließ am 7. Oktober 2025 verlauten:

„Es ist eine Übergangsphase, und wenn wir wirklich den Frieden bewahren wollen, also uns vor dem Krieg schützen wollen, dass der Krieg sich nicht außerhalb der Ukraine ausweitet, dann müssen wir sehr klar begreifen, dass Russland gerade das versucht (…) Aber das Fatale ist ja, dass Russland in der Ukraine militärisch nicht vorankommt, aber bei uns versucht, ein Angstgefühl zu erzeugen, dass wir mehr auf uns selber konzentrieren. Und eben diese Frage, dass Russland hier weiter eskaliert, dass wir jetzt endlich debattieren müssen.“

Der Militärhistoriker Sönke Neitzel meinte am 8. Oktober 2025:

„Ich würde nach wie vor sagen, die nächsten drei Jahre sind die gefährlichsten. Es kann nach wie vor zu einer militärischen Auseinandersetzung mit Truppen zwischen Russland und der NATO kommen, und es kann gut sein, dass unsere Truppen in Litauen kämpfen müssen – nächstes Jahr, übernächstes Jahr. Diese Gefahr ist nach wie vor da.“

Deutschland und die EU stramm auf „Kriegskurs“ gegen Russland

Die Bundesregierung fährt ihre Verteidigungspolitik deutlich hoch: Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI)-Bericht stiegen die deutschen Militärausgaben 2024 um rund 28 % auf etwa 77,6 Mrd. €. 

Zudem verabschiedete die Bundesregierung am 4. Dezember 2024 die neue Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie („SVI-Strategie“), die klar auf eine starke, industrialisierte Verteidigungs- und Rüstungsindustrie in Deutschland abzielt. 

Der aktuelle Verteidigungsminister erklärte explizit, Deutschland müsse bis spätestens 2029 „kriegstüchtig“ sein – also in der Lage sein, schnelle und effektive militärische Operationen gemeinsam mit Bündnispartnern durchzuführen. 

Statt „Friedenspolitik“ nun „Kriegsgeschrei“

Diese Entwicklung markiert einen historischen Bruch. Jahrzehntelang galt das Prinzip der „Friedenspolitik durch Zurückhaltung“. Heute rückt Deutschland wieder in den Mittelpunkt militärischer Machtpolitik – mit neuen Kommandostrukturen, massiven Beschaffungsprogrammen (darunter F-35-Kampfjets, neue Panzer, Raketenabwehrsysteme) und einem sich wandelnden öffentlichen Diskurs, in dem „Wehrhaftigkeit“ wieder als Tugend gilt.

Kritiker warnen vor einer schleichenden Militarisierung der Gesellschaft. Schon jetzt werden an Schulen und Universitäten verstärkt Bundeswehr-Informationskampagnen durchgeführt, und die Wiedereinführung einer „Dienstpflicht“ wird offen diskutiert. 

Friedensforschungsinstitute wie das BICC – Bonn International Centre for Conflict Studies oder die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK) sehen darin eine gefährliche Normalisierung militärischer Logik in Politik und Gesellschaft.

An der „Kriegstüchtigkeit“ verdient nur die Rüstungsindustrie

Fest steht: Deutschland ist auf dem Weg, wieder ein militärischer Akteur zu werden – politisch gewollt, gesellschaftlich umstritten, aber mit wachsender finanzieller Wucht. Ob diese neue „Kriegstüchtigkeit“ wirklich Sicherheit bringt oder nur eine neue Rüstungsspirale in Gang setzt, bleibt die zentrale Frage der kommenden Jahre.

Die BSW-Politikerin Sevim Dagdelen erklärte am 10. Oktober 2025 dazu:

„Lassen wir uns also nicht dumm machen. All diese Falschbehauptungen haben nämlich eines gemeinsam: Sie sollen Stimmung machen für Aufrüstung, für Konfrontation und letztlich für den Krieg. Dieser Wahnsinn muss endlich aufhören. (…) Wir müssen denen, die leichtfertig unser aller Leben aufs Spiel setzen, in den Arm fallen, liebe Freunde. Denn jetzt wollen Politiker wie Kiesewetter den Spannungsfall ausrufen. Was bedeutet das? Das bedeutet, Grundrechte außer Kraft zu setzen. Ziel ist es, jeden Protest gegen den Kriegskurs zum Schweigen zu bringen.“

Ungarn will Volksbefragung über „EU-Kriegskurs“

Ganz anders in Ungarn! Ministerpräsident Viktor Orbán will das Volk selbst entscheiden lassen – über Fragen, die in Brüssel lieber hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Er kündigte eine Volksbefragung an, in der die Menschen darüber abstimmen sollen, ob Milliarden in Aufrüstung, Waffen und neue Schulden fließen, oder ob Ungarn weiterhin auf Frieden, Neutralität und Diplomatie setzt.

Damit macht Ungarn unmissverständlich klar, was „echte Demokratie“ bedeutet: Nicht anonyme EU-Bürokraten, sondern das Volk selbst bestimmt über Krieg oder Frieden.

Doch gerade weil Orbán diesen EU-Kriegskurs nicht mitträgt, steht er seit Monaten unter Dauerbeschuss. Brüsseler Politiker und westliche Medien fahren eine regelrechte Kampagne gegen ihn und seine Regierung. Orbán wird „systemisch bekämpft“, weil er den politischen Konsens der Aufrüstung und Eskalation infrage stellt.

So viel also zur viel beschworenen „Meinungsvielfalt“ und „nationalen Souveränität“, mit der sich die EU gerne schmückt. Wäre sie wirklich daran interessiert, würden alle Mitgliedstaaten ihre Bürger über Fragen von Militarisierung, Waffenlieferungen und Kriegstreiberei abstimmen lassen. Und nicht nur ein kleiner Kreis von Politikern, die oft genug nicht einmal ihre eigenen Kinder in einen möglichen Krieg schicken würden.

Guido Grandt (geb. 1963) ist investigativer Journalist, Publizist, TV-Redakteur und freier Produzent. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf Recherchen zu organisierter Kriminalität, Geheimgesellschaften sowie auf brisanten Themen aus Politik, Wirtschaft, Finanzen, Militär und Sicherheit. Darüber hinaus widmet er sich der Aufdeckung verborgener oder tabuisierter Hintergründe zeitgeschichtlicher Ereignisse. Guido Grandt veröffentlichte bisher über 40 Sachbücher und verfasste rund 6.000 Artikel. 

Quellen:

Wenn Sie mit dafür sorgen möchten, dass unser unabhängiger Journalismus weiterhin eine Gegenstimme zu regierungstreuen und staatlich geförderten Medien bildet, unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende!

Informationen abseits des Mainstreams werden online mehr denn je bekämpft. Um schnell und zensursicher informiert zu bleiben, folgen Sie uns auf Telegram oder abonnieren Sie unseren Newsletter! Wenn Sie mit dafür sorgen möchten, dass unser unabhängiger Journalismus weiterhin eine Gegenstimme zu regierungstreuen und staatlich geförderten Medien bildet, freuen wir uns außerdem sehr über Ihre Unterstützung.

Unterstützen Sie Report24 via Paypal: